Staatsschutz ermittelt in Heidenau

Erstveröffentlicht: 
12.04.2017

Nach Diebstählen, Beschädigungen und Kämpfen wird zur Bürgerwehr aufgerufen. Dahinter steckt noch etwas anderes.

 

Von Heike Sabel

 

Heidenau. Der Hubschrauber über Heidenau erinnerte Sonnabendnacht manchen Einwohner an das Hochwasser 2002, andere an den August 2015. Damals wurden am Praktiker Polizisten attackiert, als sie das Heim für Asylbewerber beschützen wollten, später gab es Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppen. Die Flüchtlinge zogen schon vor einem Jahr aus dem ehemaligen Baumarkt aus. Der Tatort hat sich indes ins Zentrum zwischen Bahnhof und Markt verlagert. Zwei Wochenenden hintereinander sollen sich hier Gruppen nicht nur verbal attackiert haben.

 

Beide Male wurde die Polizei alarmiert und beide Male war bei deren Eintreffen niemand mehr da. Am Sonnabend wurden der Polizei etwa 50 Leute gemeldet. Deshalb war parallel zu den Einsatzfahrzeugen auch der Hubschrauber im Einsatz, damit sich die Beamten einen Überblick verschaffen. Der Einsatz endete wie schon der eine Woche zu vor: keine Geschädigten, kein Ermittlungsverfahren, keine Zeugen. Bis auf den, der die Polizei angerufen hatte. Der habe zwar den Eindruck gehabt, da bahne sich etwas an, mehr konnte er aber nicht sagen. Die Polizei macht ihm trotzdem keinen Vorwurf. Lieber rechtzeitig als zu spät informieren. Nachdem die Beamten nun aber zweimal vor Ort weder Täter noch Opfer antrafen, wird davon ausgegangen, dass das kein Zufall mehr ist.

 

Diese Alarmierungen reihen sich in einige Vorfälle der vergangenen Tage ein. Ein angegriffener und verletzter Radfahrer, eine überfallene Frau, ein versuchter Fahrraddiebstahl, zehn beschädigte Autos. Die Polizei war jetzt an einem extremen Tag zehnmal in Heidenau im Einsatz – Verkehrsunfälle, Streitigkeiten, Lärmbelästigungen, Kellereinbrüche, Betrunkene. Für rechte Facebook-Seiten war offenbar jedes Mal jemand vor Ort und meldete die Täter: Flüchtlinge, die sie „Fachkräfte“ und neuerdings auch „Raketenwissenschaftler“ nennen. Unter den Tätern sind in der Tat Flüchtlinge, aber nicht nur. In die Schlägerei am 4. April zum Beispiel waren ein Afghane und ein Deutscher verwickelt. Nun wird zur Bürgerwehr aufgerufen.

 

Wenn Staat und Polizei die Heidenauer nicht mehr schützen könnten, müsse man das eben selbst in die Hand nehmen, argumentiert die rechte Facebook-Seite. Sie wird seit 2015 von der Staatsanwaltschaft beobachtet. Seither gab es nach Auskunft der Behörde mehrere Verfahren gegen die Seite. Administratoren rühmen sich damit, wieder für eine Zeit gesperrt worden zu sein. In wie vielen Fällen die Sperrung von der Staatsanwaltschaft und wie oft von Facebook ausging, ist offen. In Freital ging aus einer Bürgerwehr eine mutmaßliche terroristische Gruppe hervor. Acht Mitglieder stehen derzeit vor Gericht. Sie haben laut Anklage Flüchtlingsunterkünfte mit Sprengstoffböllern angegriffen und sich dabei auch des versuchten Mordes schuldig gemacht.

 

Bürgerwehren agieren ohne rechtliche Grundlage und verstoßen gegen das staatliche Gewaltmonopol – „Bürgerwehren dürfen die Grenze zur Selbstjustiz nicht übertreten“, sagt das Innenministerium. Sie dürfen keine Waffen tragen und keine Gewalt ausüben. Jedermann darf zwar Verdächtige auf frischer Tat festhalten, dafür muss es aber „einen hinreichenden und eindeutigen Anlass“ geben. Und: In jedem Fall ist umgehend die Polizei zu verständigen. Verfassungsschutz und Innenexperten warnen vor Selbstjustiz und Unterwanderung durch Rechtsextremisten. Der Linke-Landtagsabgeordnete Enrico Stange sagt, Beispiele aus Sachsen würden zeigen, dass neben dem scheinbaren Ziel, Menschen zu schützen, Bürgerwehren immer offen für rechtsextremes Gedankengut sind. Auch in Heidenau schließt die Polizei politisch motivierte Gründe für die jüngsten Ereignisse nicht aus. Deshalb wurde nun der Staatsschutz eingeschaltet. Der hat bereits einige Heidenauer im Visier. Beobachter vermuten, dass rechte Kräfte gegenwärtig die Sorge der Heidenauer bewusst ausnutzen und damit eine Stimmung nähren, die dann als Begründung für Aktionen gegen Ausländer herhalten soll.

 

Wieder steht ein Wochenende bevor. Die Polizei kündigt für Donnerstag je nach den jüngsten Ermittlungsergebnissen Maßnahmen an, um Selbstjustiz keinen Raum zu lassen und eine Wiederholung oder gar Eskalierung der Ereignisse zu verhindern.