Die Baskin Nekane Txapartegi, die nach ihrer Verhaftung 1999 bestialisch gefoltert wurde, soll nun von der Schweiz an die spanischen Peinigern übergeben werden. Sie hatte in einem Interview die Vorgänge geschildert, doch die Schweiz ficht auch nicht an, dass unabhängige Folterexperten die Folter bestätigt haben.
„Es kann nicht sein, was nicht sein darf“, sagt ein Freund der Baskin Nekane Txapartegi. Mit dem großen EU-Mitglied wolle sich die Schweiz nicht anlegen. Aus Staatsräson sei entschieden worden, die 44-jährige an Spanien auszuliefern. Seinen Namen will der frühere Journalistenkollege der Frau nicht genannt wissen, die mit falscher Identität seit 2009 in Zürich gelebt hat und dort vor einem Jahr verhaftet wurde. Auch der Asylantrag der früheren Stadträtin wurde vom Staatssekretariat für Migration (SEM) abgelehnt, obwohl sie in Spanien 1999 nach ihrer Verhaftung bestialisch gefoltert wurde.
Dass sie wieder in die Hände ihrer Folterer gelangt, wollen ihre Familie, Freunde und Genossinnen allerdings verhindern. Ihre Verteidiger haben Widerspruch vor dem Bundesstrafgericht angekündigt. Während Sie daran arbeiten, wird gegen die Auslieferung protestiert. Am Mittag des 6. April wird vor dem Schweizer Konsulat in Bilbao dagegen demonstriert, dass die Schweiz die Folter unterstützt, heißt es in einem Aufruf. Am Abend findet an ihrem Heimatort Asteasu erneut eine Demonstration statt. Auch bei der „Korrika“, wenn sich alle zwei Jahre zahllose Menschen am „Lauf“ über 2500 Kilometer für die baskische Sprache beteiligen, war Txapartegi am Dienstag (4. April) vertreten, als die Korrika am frühen Morgen die Nachbargemeinde Zizurkil durchquerte. An zehn Tagen wird 24 Stunden ohne Unterlass durch alle sieben Provinzen des unter Spanien und Frankreich aufgeteilten Baskenlands gerannt.
Viele haben hier nun die Hoffnung verloren, wenigstens die Schweiz sei ein Rechtsstaat. „Die immanente Logik dieser Entscheidungen ist, dass in einem EU-Land per so nicht gefoltert wird“, erklärt Freund. Wie man sich in Bern winde, zeige die Begründung des Bundesamt für Justiz. 70 Seiten habe es gebrauch, um die „mehr als fragwürdige Entscheidung“ zu begründen. Angeblich habe man die Foltervorwürfe „sehr gut abgeklärt“, welche die 44-jährige Baskin nach den dramatischen Vorfällen 1999 detailliert erhoben hat.
Bundesamtssprecher Folco Galli berief sich auf die spanischen Behörden, die den Fall umfassend dokumentiert hätten. Txapartegi habe weder „glaubwürdig darlegen können, dass sie gefoltert wurde“, noch das „in Spanien die Vorwürfe nicht ernsthaft untersucht wurden“, schreibt das Bundesamt. Es fordert von ihr Beweise, dass sie schon auf den rund 400 Kilometern aus dem baskischen Hochland nach Madrid geschlagen, mit einer Tüte nahe an den Erstickungstod gebracht und Opfer einer Scheinhinrichtung wurde. Sie soll belegen, tagelang bestialisch misshandelt und vergewaltigt worden zu sein. Letzteres ist sogar hier eine Ausnahmeerscheinung und gehört nicht zum Standardprogramm wie Prügel, Elektroschocks, Erstickungsmethoden….
Ein solcher Nachweis kann aber kaum erbracht werden. Das perfide System macht das praktisch unmöglich. Sogar Grundrechte werden denen verweigert, die der Unterstützung der Untergrundorganisation ETA beschuldigt werden. Sie haben keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Bis zu zehn Tage kann die berüchtigte „Incomunicado“-Haft dauern, in der man nicht einmal Kontakt zu seinem Anhalt hat. Deshalb fordern Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die die Schweizer Entscheidung hart kritisieren, ihre Abschaffung. Immer wieder konnte auch das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) Folterspuren nach der Kontaktsperre belegen, wenn die Spezialisten bei Ad-hoc-Besuchen Zugang zu Gefangenen hatten. Weil „Folterpraktiken, Misshandlungen, grausame oder unmenschliche Behandlung“ in Spanien „mehr als sporadisch“ angewandt würden, forderten auch die UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte ein Ende der Kontaktsperre. Zwischenzeitlich sollte die Zeit darin lückenlos auf Video dokumentiert werden, forderten Theo van Boven und sein Nachfolger Martin Scheinin erfolglos.
Im Fall Txapartegi wurden sogar vom der Gefängnisarzt bei der Einlieferung die Spuren von Gewalt am ganzen Körper dokumentiert. Doch für das Bundesamt sollen die eher auf die Verhaftung zurückgehen, gegen die sich Txapartegi gewehrt habe. Doch das ist falsch. Bern hätte dazu die anwesenden Angehörigen befragen können und Aussagen von Augenzeugen gehabt. Denn Gutachten von Folterexperten wie Önder Özkalipci und Thomas Wenzel weist das Bundesamt zurück und weist sie als „Berichte und Aussagen von Drittpersonen, die keine Zeugen waren“ zurück. Der türkische Rechtsmediziner Özkalipci und der Wiener Psychiater Wenzel haben ihre Expertisen aber auf Basis des auch von UNO anerkannten „Istanbul-Protokolls“ zur Folteruntersuchung durchgeführt. Das Ergebnis war, dass sie in der Kontaktsperre gefoltert wurde.
Bern hätte auch bemerken können, dass sogar Spanien bisweilen Folterer verurteilt, auch wenn sie meist schnell begnadigt werden, wie Enrique Rodríguez Galindo. Der ehemalige General der Guardia Civil wurde zu einer Haftstrafe von 75 Jahren verurteilt, weil er daran beteiligt war, zwei baskische Jugendliche zu Tode zu foltern. Und Bern verschließt die Augen davor, dass Spanien in den letzten Jahr in acht Fällen vom Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt wurde, weil die Folter nicht untersucht wurde.
Dass Txapartegi, die einst zu den meistgesuchten „ETA-Führungsmitgliedern“ gesucht wurde, vom Obersten Gerichthof gerade zum „kleinen Licht“ abgestuft wurde, bringt Bern auch nicht dazu, die Glaubwürdigkeit Spaniens zu hinterfragen. Von der einstigen 11-jährigen Haftstrafe in einem Massenprozess, blieben nun noch 3,5 Jahre übrig, da das Gericht nur einen „minderschweren Fall“ sieht und auch das könnte vom Verfassungsgericht oder in Straßburg noch kassiert werden, weil das Urteil nur auf Folteraussagen basiert.
Dass die ETA vor mehr als fünf Jahren ihren bewaffneten Kampf für ein vereintes, unabhängiges und sozialistisches Baskenland eingestellt hat, ändert am Verfolgungswillen in Spanien und seinen Unterstützern nichts. So wurde im Bund mit Frankreich bisher auch die Entwaffnung hintertrieben. Die soll nun am Samstag öffentlich von der Zivilgesellschaft durchgeführt werden. Tausende werden im französisch-baskischen Baiona (Bayonne) dem Aufruf der „Handwerker für den Frieden“ folgen, um sicherzustellen, dass erneut eine Entwaffnung unterbunden wird, wie zuletzt über Festnahmen von Friedensaktivisten im vergangenen Dezember.
Unten Bilder vom Aktionstag gegen ihrer Auslieferung
© Ralf Streck, den 01.04.2017
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