Das Zakk lud zur Podiumsdiskussion ein: Versuch einer Zwischenbilanz fünf Wochen nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters.
Von Andreas Flammang
Am Ende sind sich alle Experten in einem Punkt einig: Bei den Ermittlungen nach dem Bombenanschlag am S-Bahnhof Wehrhahn wurden Fehler gemacht – und zwar viele.
Zu diesem Ergebnis kamen am Mittwochabend die Teilnehmer des Diskussionsforums von Zakk und Antirassistischem Bildungsforum Rheinland. Ziel war eine Bestandsaufnahme, fünf Wochen nachdem am 1. Februar der Tatverdächtige Ralf S. festgenommen werden konnte. Mehr als 16 Jahre sind seit dem Sprengstoffanschlag am S-Bahnhof Wehrhahn vergangen, zehn Menschen wurden dabei schwer verletzt, ein ungeborenes Baby getötet. Unter den Verletzten waren auch vier Solinger.
Enttäuschung über Untersuchungsausschuss
Eine Reihe von Fehlern ausgemacht hat etwa Jürgen Peters. Der Journalist und Bildungsreferent recherchiert seit Jahren zu dem Anschlag. Ihm stößt vor allem auf, dass Ralf S. schon früh unter Verdacht stand, den Hinweisen aber nicht konsequent nachgegangen worden sei. „Wie kann es sein, dass die Hausdurchsuchung so oberflächlich durchgeführt wurde?“ Ralf S. sei ein bekannter Rechtsradikaler gewesen, im Stadtteil „bekannt wie ein bunter Hund“.
Eine Vertreterin der Initiative NSU-Watch NRW, die nicht namentlich genannt werden will, zeigt sich verärgert. Die zum Anschlag eingesetzte Ermittlungskommission „EK Furche“ solle „EK Zufall“ genannt werden. Und zwar, weil Ralf S. erst 2015 durch das Prahlen mit der Tat während einer Haftstrafe auffiel.
Zudem hat ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Aufgabe, das Fehlverhalten der Behörden aufzudecken. Das Podium sieht das als größtenteils gescheitert an. „Seit Mitte 2015 wurde das Verfahren wieder aufgenommen, allerdings unter Verschluss“, erklärt die Vertreterin von NSU-Watch NRW. Der Untersuchungsausschuss habe davon gewusst, jedoch um die Ermittlungen nicht zu gefährden, geschwiegen - 18 Monate lang. „Das hat ein Gschmäckle“, fügt sie hinzu. „Wie kann es sein, dass ein Ausschuss, der die Ermittlungsbehörden überwachen soll, mit diesem zusammenarbeitet?“ Sie fordert einen weiteren Untersuchungsausschuss allein zum Wehrhahn-Anschlag. Grund: So würde nicht nur Ralf S., sondern auch die Rolle der Behörden in den Fokus rücken.
Kritisch setzt sich Sozialwissenschaftler Jan Schedler mit der Theorie des Einzeltäters auseinander und sucht nach vergleichbaren Attentätern. „Es gibt nicht das klassische Profil.“ Der Begriff Einzeltäter sei zudem umstritten, weiß der Wissenschaftler, der auch als Sachverständiger im Untersuchungsausschuss aussagte. „Oft individualisiert und entpolitisiert man so die Tat.“
Weiterer Kritikpunkt: Während in der öffentlichen Debatte viel über den mutmaßlichen Täter diskutiert wird, stehen die Opfer kaum im Mittelpunkt „Wir reden kaum über die Betroffenen rechtsextremer Gewalt, noch weniger mit ihnen“, beklagt die Vertreterin der Opferberatung Rheinland. Sie wisse, wie belastend das Gespräch über den Angriff für die Betroffenen ist. Auch während der Befragung durch die Polizei. „Ohnmacht“ sei das zentrale Gefühl. „Die Betroffenen sind meist nicht persönlich gemeint, sondern das, was der Täter ihnen zuschreibt.“ Die Ohnmacht würde sich dann oft auch während der Ermittlungen breit machen. „Deshalb ist es wichtig, dass Betroffene durch eine Nebenklage aktiv im Prozess sein können.“
Die Podiumsteilnehmer beleuchteten den Wehrhahn-Anschlag aus verschiedenen Perspektiven und zeichnen ein düsteres Bild zu den Ermittlungen. Und es sei sehr fraglich, ob die Tat nach so langer Zeit mittels einer „Indizienkette“ aufgeklärt werden könne.