Der rätselhafte Herr Meuthen

Gratwanderer: Jörg Meuthen, Co-Bundessprecher und Landtagsfraktionschef der AfD
Erstveröffentlicht: 
24.02.2017

In der AfD tobt ein Richtungsstreit um den Rechtsaußen-Flügel / Wo dabei der Vorsitzende der Stuttgarter Landtagsfraktion steht, wird nicht so ganz klar.

 

Von Sebastian Kaiser und Thomas Steiner

 

FREIBURG/STUTTGART. Mal will er eine klare Grenze ziehen, mal will er es nicht. Jörg Meuthen und der rechte Rand der AfD – das Verhalten des Co-Bundessprechers und Chefs der Stuttgarter Landtagsfraktion der Partei wirft Fragen auf. Wo steht der Baden-Württemberger? Ist er vom Vertreter des wirtschaftsliberalen Flügels, als der er vor zwei Jahren an die Parteispitze kam, zum Freund des rechtsnationalistischen Flügels um Björn Höcke geworden?

 

Die Causa Höcke

 

Björn Höcke ist die Symbolfigur des rechten Flügels der ohnehin schon weit rechts stehenden AfD. Mit seinen Reden über das Fortpflanzungsverhalten von Afrikanern, über die "dämliche" Holocaust-Erinnerungskultur und den angestrebten "vollständigen Sieg der AfD" machte er Schlagzeilen. Es stellt sich die Frage, ob er damit die Grenze zum Extremismus überschritten hat. Während es für die einen in der Partei zu weit geht, gehört es für die anderen noch zum Meinungsspektrum der Partei.

 

Als vergangene Woche der Bundesvorstand mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschloss, wegen dessen Dresdner Rede Mitte Januar ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke einzuleiten, hat Jörg Meuthen dagegen gestimmt. "Wir bringen damit nichts als Unruhe in die Partei, es wird uns über Monate begleiten, und am Ende steht nach meiner Überzeugung kein Parteiausschluss. Das deutsche Parteirecht setzt aus gutem Grund hohe Hürden für einen Ausschluss," sagt der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion im Gespräch mit der BZ.

 

Doch nicht nur wegen des taktischen Schadens für den kommenden Bundestagswahlkampf hat Meuthen gegen das Verfahren gestimmt. Auch inhaltlich sieht er es nicht gerechtfertigt. "Ich habe mich mit der Rede auseinandergesetzt", sagt er, "manches muss man sich vielleicht auch zweimal anhören, dann stellt es sich etwas anders dar."

 

Wirklich anders? Höcke hatte eine "180-Grad-Wende" der deutschen Gedenkkultur gefordert – weg vom Völkermord an den Juden, hin zu den Geistesgrößen der nationalen Geschichte. Bei Meuthen klingt das so: "Eine einseitige Erinnerungskultur, um einen Schuldkomplex in uns drinzuhalten, das ist es, woran Höcke sich stört. Das darf im Gegenzug aber nicht heißen, dass wir uns der Schuld der Barbarei der Nationalsozialisten nicht stellen. Wir brauchen eine lebendige Erinnerungskultur an die zwölf dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte, genauso brauchen wir eine Erinnerungskultur an die vielen guten Jahre der deutschen Geschichte."

 

Das habe Höcke eigentlich gemeint – meint Jörg Meuthen. Und so sieht er denn auch keinen Anlass für einen Parteiausschluss: "Es war eine misslungene Rede, an der einiges tadelnswert ist, in Inhalt und Stil. Die Frage ist aber, ob sie einen Parteiausschluss rechtfertigt. Ich bin der Meinung, dass sie es nicht tut, denn dann müssten wir auch an anderen Stellen Parteiausschlüsse für dieses und jenes anstreben."

 

Höcke ist in der Tat nicht der einzige in der AfD, der so redet, wie er redet. Auch André Poggenburg, Vorsitzender in Sachsen-Anhalt, tut es. Im Magdeburger Landtag bezeichnete er Anfang Februar linke Studenten als eine "Wucherung am deutschen Volkskörper", die es loszuwerden gelte. Eine Äußerung, die nach Nazi-Jargon klingt. Meuthen sagte auch hier, diesmal der Deutschen Presse-Agentur, die Äußerung sei "äußerst unangemessen, aber kein Grund für Ordnungsmaßnahmen".

 

Meuthen ist neben Frauke Petry der zweite Bundessprecher der AfD. In dieser Funktion hat er vergangenes Jahr am "Kyffhäusertreffen" des rechten AfD-Flügels teilgenommen. Er nimmt für sich in Anspruch, sich dort inhaltlich nicht angebiedert zu haben. Aber er sagt der BZ auch: "Ich bin einer von zwei Bundesvorsitzenden, deshalb bin ich für die gesamte Spannbreite der Partei verantwortlich. Wir haben diese nationalkonservative Richtung in der AfD, und sie ist für mich auch ein integraler Teil der Partei." Wo aber würde er dann noch eine Grenze nach rechts ziehen? "Ich sage es immer wieder: Antisemitismus geht nicht, Rassismus geht nicht, Fremdenfeindlichkeit geht nicht, sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stellen geht nicht."

 

Der Fall Gedeon

 

Auch in der baden-württembergischen AfD entzweit einer die Partei – Wolfgang Gedeon. Seine Kritiker werfen dem ehemaligen Maoisten Judenfeindlichkeit vor, in seinen Büchern vertrete er unter anderem antisemitische Verschwörungstheorien. Die politische Karriere von Jörg Meuthen wäre an Gedeon beinahe zerbrochen. Sein Versuch ihn aus der Landtagsfraktion auszuschließen, endete in der Spaltung. Er dulde keinen Antisemitismus in der AfD, hatte Meuthen auch damals gesagt. Mit zwölf weiteren Abgeordneten verließ er deshalb im Juli 2016 die Fraktion. Aus einer AfD-Fraktion wurden zwei. Erst als Frauke Petry intervenierte, erklärte Gedeon seinen Verzicht. Seit Oktober vergangenen Jahres sind die beiden Fraktionen wieder vereint. Ruhe eingekehrt ist deshalb nicht. Immer noch geht es um Gedeon und das Verhältnis der AfD zu Antisemitismus und Israel.

 

Wolfgang Gedeon sitzt inzwischen als fraktionsloses Mitglied im baden-württembergischen Landtag. Von seiner Parteimitgliedschaft hat er sich nicht verabschiedet – und auch von seinen Positionen zu Israel und zur deutschen Vergangenheitsbewältigung nicht. Er verbreitet sie nach wie vor. Er neige zur Vielschreiberei, sagen diejenigen in der Partei, die ihn kennen – ihn zu verstehen sei nicht einfach.

 

Sein jüngstes Schreiben hat Gedeon im Januar veröffentlicht. Es steht auf der Homepage des Abgeordneten und wird seither vor allem an der Parteibasis kontrovers diskutiert. Auch die Autonome Antifa Freiburg hat es in einem Internet-Dossier veröffentlicht. Das Schriftstück trägt den Titel "Das Antisemitismus-Problem nicht unter den Teppich kehren! Wird die AfD eine zionistische Partei?" Gedeon schreibt darin über den Antisemitismus-Streit, der sich an seiner Person entzündet hat. Von einer moralischen "Erpressungsrhetorik à la ,Tätervolk’ und ,Land der Mörder’ und Henker" ist die Rede. "Sollen wir also warten, bis ganze Schülergenerationen ideologische Kampfbegriffe wie ,sekundärer Antisemitismus' im zionistischen Sinn studiert und verinnerlicht haben?"

 

Sekundärer Antisemitismus ist eines von Gedeons Lieblingswörtern. Der Begriff geht unter anderem auf den Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno zurück. In den 1960er Jahren beschrieb er damit judenfeindliche Haltungen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, ohne direkten Bezug zum Nationalsozialismus. Gedeon sieht in diesem Begriff einen Kotau vor dem westlichen System, eine Form der Staatsräson, die den nationalen Selbsterhaltungswillen Deutschlands zersetze. An der Antisemitismus-Zionismus-Frage werde sich weisen, so Gedeon, aus welchem Holz die AfD geschnitzt ist.

 

Man könnte diese neuerlichen Äußerungen Gedeons als die Einzelmeinung eines radikalen Außenseiters abtun. Möglicherweise sind sie aber auch symptomatisch für eine Partei, die nach wie vor um ihre Haltung zur deutschen NS-Vergangenheit und zum Holocaust ringt. Eine Partei, die nicht nur – aber eben auch – radikale Kräfte vom äußersten rechten Rand bindet.

 

"Ich kannte diesen Text bislang nicht", sagt Jörg Meuthen im Gespräch mit der BZ. "Ich halte aber die Äußerungen von Wolfgang Gedeon für antisemitisch. Deshalb habe ich damals unter Qualen diesen Fraktionsausschluss eingeleitet." Ein Parteiausschlussverfahren sei auf den Weg gebracht.

 

Im Fall Gedeon hat sich Meuthen anders als in der Sache Höcke positioniert. Doch wie weit geht seine Bereitschaft, sich auch von anderen in seiner Fraktion abzugrenzen? Einer Fraktion, die von manchen im AfD-Landesverband, die sich dem liberal-konservativen Flügel zurechnen, kritisch betrachtet wird.

 

Der Abgeordnete Räpple

 

Zumindest der Kehler AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple macht offenbar keinen Hehl daraus, dass er den Ausschluss von Gedeon für falsch hält. Monatelang hat Jörg Meuthen verschwiegen, dass Räpple die Unterschrift unter ein Papier verweigert, das bei der Wiedervereinigung der Fraktionen aufgesetzt wurde und sich von Antisemitismus und Rassismus abgrenzt.

 

Fragt man nach Räpple, versucht Meuthen zu beschwichtigen. "Ich weiß, dass Herr Räpple der Auffassung ist, dass Gedeon wieder in die Fraktion aufgenommen werden müsse. Das ist auch der Grund, warum er sich weigert, dieses Schreiben zu unterzeichnen. Und zwar nicht, da muss man ihn in Schutz nehmen, weil er selbst antisemitische Positionen vertritt. Sondern weil er meint, es sei kein Antisemitismus."

 

Räpple selbst will solche Fragen nicht beantworten. Er spreche nur über politische Inhalte, sagt er am Telefon. Nachfragen zu Gedeon gehören nicht dazu. Aufgrund von Disziplinarmaßnahmen seiner Fraktion führt Räpple nur noch ein Schattendasein im Landtag: Redeverbot, Ausschluss aus Ausschüssen und Arbeitskreisen. Aus seinem Umfeld ist zu hören, er nehme nur noch sporadisch an Fraktionssitzungen teil. Die Fraktion hat ihn wohl nicht nur wegen der verweigerten Unterschrift sanktioniert, sondern auch weil er einen Fraktionskollegen körperlich attackiert hat, wie es heißt.

 

Ein Parteiausschlussverfahren als echte Konsequenz aus Räpples Verhalten wird es wohl nicht geben. Vor kurzem ist Stefan Räpple sogar von seiner Fraktion in den Beirat für die deutsch-jüdische Joseph-Ben-Issachar-Süßkind-Oppenheimer-Auszeichnung geschickt worden. Mit der Medaille zeichnen der Landtag und die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg "herausragendes Engagement gegen Minderheitenfeindlichkeit und Vorurteile" aus. Wie die Stuttgarter Nachrichten am Donnerstag berichteten, wurde die Nominierung Räpples jetzt von der AfD-Fraktion wieder zurückgenommen. Jörg Meuthen vollführt auch hier eine Gratwanderung.

 

So wie er sie beim Thema Gedenkkultur im Landtag vorgeführt hat: Erst sprach sich Meuthen dafür aus, die Zuschüsse des Landes für die NS-Gedenkstätte im französischen Gurs zu streichen, wohin unter anderem Juden aus Baden während des Zweiten Weltkriegs deportiert worden waren. Später nahm die AfD-Fraktion den Antrag zurück. Man habe fälschlicherweise angenommen, es handle sich um einen neuen Posten im Haushalt.

 

Räpple soll aber nicht der einzige sein, der hinter Gedeon steht. Aus Kreisen der Fraktion heißt es, dass es weitere Stimmen gebe, die einen Wiedereintritt befürworten. Namen nennen will keiner. Der Badischen Zeitung liegt eine E-Mail des AfD-Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner vor. Fiechtner spricht darin von einem "innerparteilichen Problemfeld des Judenhasses vulgo Antisemitismus", welches durch den Eklat um Gedeon offenkundig geworden sei. Auch nach dessen Ausschluss habe Gedeon einen "nicht unerheblichen Unterstützerkreis". Fiechtner schließt seine Ausführungen mit den Worten: "Für mich persönlich stellt sich im Augenblick die Frage, ob ich in einer Fraktion, die derartige Obstinationen mit derart gewichtigen Implikationen auf Dauer duldet, mitarbeiten kann und will. Die faule, böse Wurzel des Judenhasses wird sonst wieder Blüten treiben." Fiechtner ist mittlerweile auf Drängen Jörg Meuthens, wie es heißt, selbst von der Fraktionsarbeit ausgeschlossen worden.

 

War es, weil Fiechtner den Fraktionsvorsitzenden öfter – auch wegen des Gurs-Antrages – kritisiert hatte? Oder steckt noch mehr dahinter? Es sei eine irritierende Frage, so ist aus dem AfD-Landesverband zu hören, ob Jörg Meuthens Verhalten, auch im Fall Petry gegen Höcke, karrieretaktisch bestimmt sei – oder ob er seine Grundüberzeugung gewechselt habe.

 


 

Ein Höcke-Effekt?

 

Die umstrittene Dresdner Rede von Björn Höcke hat der AfD geschadet – so sehen es die innerparteilichen Gegner des Thüringers. Fakt ist, dass die Rechtspartei momentan in den Wählerumfragen nur noch auf acht Prozent kommt. Das ist weit entfernt etwa von den 15 Prozent, welche sie bei der baden-württembergischen Landtagswahl bekam. Allerdings geht es allen kleinen Parteien im Moment so – der Höhenflug der SPD geht auf ihre Kosten, auch Grüne, Linke und FDP liegen nur bei acht oder weniger Prozent.

 

Der sächsische Landesverband der AfD, die politische Heimat der Höcke-Gegnerin Nummer eins, der Bundesvorsitzenden Frauke Petry, beklagte dieser Tage einen anderen "Höcke-Effekt": Nach der Dresdner Rede seien mehrere Großspender abgesprungen, berichtete der stellvertretende Landesvorsitzende Thomas Hartung. "Insgesamt kostet uns diese Veranstaltung deutlich über 100 000 Euro", sagte Generalsekretär Uwe Wurlitzer der Lausitzer Rundschau. Der Welt berichtete er, allein ein Finanzier aus der Nähe von Chemnitz habe seine Zusage von 50 000 Euro zurückgezogen. Das Geld fehle dem Landesverband nun im Etat für den Bundestagswahlkampf.