Ermittlungs-Pannen Wehrhahn-Attentat: Was wusste der Verfassungsschutz?

Erstveröffentlicht: 
12.02.2017

Düsseldorf.   Ein V-Mann des NRW-Geheimdienstes kannte den mutmaßlichen Wehrhahn-Bombenleger gut. Erst zwölf Jahre nach der Tat erfährt die Polizei davon.

 

Besonders vertrauenswürdig scheint André M. nicht zu sein: Eine Polizistin beschrieb den Kleinkriminellen M., Spitzname „Gonzo“, als chronisch klammen „Junkie, Dealer und Weiberheld“. Dennoch scheint „Gonzo“ fast ein Jahr lang das Vertrauen des NRW-Verfassungsschutzes genossen zu haben. Der Inlandsgeheimdienst hatte den Mann zwischen August 1999 und Mai 2000 als V-Mann „Apollo“ geführt.

 

André M. hatte als Skinhead Kontakte in die rechte Szene in Düsseldorf und war im Sommer 2000 als Wachmann für den Rechtsextremisten und Militaria-Händler Ralf S. tätig, also für den Mann, den die Polizei für den Bombenleger von Wehrhahn hält. Jetzt, fast 17 Jahre nach dem Anschlag, stellt sich heraus, dass sich der V-Mann „Apollo“ offenbar ausgerechnet an dem Tag, an dem die Bombe an der S-Bahn-Station explodierte, mit einem Geheimdienst-Mitarbeiter getroffen hatte. 

 

Warum wurde die die Polizei nicht über den V-Mann informiert?

 

Wie WDR und „Spiegel“ berichten, soll die Düsseldorfer Polizei erst zwölf Jahre nach dem Anschlag von der Verbindung zwischen André M. und dem Verfassungsschutz erfahren haben. Die Erkenntnisse stützen sich auf Aufzeichnungen einer Düsseldorfer Kommissarin aus 2012.

 

Viele Fragen drängen sich nun auf. War die Quelle „Apollo“ tatsächlich, wie vom Geheimdienst behauptet, schon im Mai 2000 „abgeschaltet“ worden? Wenn es so war, warum trifft sich André M. am 27. Juli, am Tag des Anschlags, mit seinem früheren V-Mann-Führer? Wenige Wochen später – im September 2000 – soll es noch ein Gespräch zwischen Verfassungsschutz und André M. gegeben haben. M. habe über das Attentat sprechen wollen, schrieb die Kommissarin. Der Verfassungsschutz habe aber der Polizei erklärt, bei dem Treffen sei nichts herausgekommen. 

 

Kontakte zum Geheimdienst am Tag, als die Bombe explodiert

 

Passiert es oft, dass sich ein früherer V-Mann mit seinen Ex-Kontaktleuten trifft? Aus Sicherheitskreisen heißt es, dass sei „üblich“. Ein Insider sagte gegenüber dieser Zeitung, dass viele frühere Informanten vom Geheimdienst „nachbetreut“ würden: „Auch wenn eine Quelle abgeschaltet ist, hat sie manchmal das Bedürfnis, mit dem früheren V-Mann-Führer zu reden.“ Ungewöhnlich ist hier aber, dass der Kontakt gerade zu der Stunde zustande kam, als die Bombe explodierte. Der V-Mann-Führer und der Rechtsextremist trafen sich im Hafen, wo M. Flugblätter verteilte. Behauptet der Verfassungsschutz.

 

Von der Polizei vernommen wurde André M. schon wenige Wochen nach dem Anschlag, bei dem zehn Menschen verletzt wurden und ein ungeborenes Baby im Bauch seiner Mutter starb. Zur Aufklärung des Verbrechens konnte oder wollte M. damals nicht beitragen. Seinen Bekannten Ralf S., den mutmaßlichen Bombenleger, nannte er in dieser Befragung zwar „verrückt“, den Anschlag habe er ihm aber nicht zugetraut. 

 

Aufarbeitung der Vorfälle in geheimen Sitzungen


Die NRW-Linkspartei spricht von einem „Skandal“ und fordert eine öffentliche Aufarbeitung. Die Dokumente zu dem Fall dürften nicht länger als „geheim“ eingestuft werden. Es dränge sich der Verdacht auf, dass der Geheimdienst die Aufklärung behindert habe.

 

Die Politik wird sich mit den rätselhaften Entwicklungen in dieser Woche gleich zweimal beschäftigen, allerdings in geheimen Sitzungen. Am Mittwoch steht der Fall im Innenausschuss des Bundestages auf der Tagesordnung. Am Freitag befragt der NSU-Untersuchungsausschuss in NRW Dietmar Wixfort. Er hatte die Ermittlungen nach dem Anschlag in Düsseldorf geleitet.