„Wie lebt es sich als Neonazi in Leipzig?“

Erstveröffentlicht: 
20.01.2017

Ein Aussteiger packt aus. Von Martin Schöler und Alexander Böhm

Benjamin Döhler hat mit seiner Neonazi-Vergangenheit gebrochen und spricht offen über seine Erfahrungen in der Leipziger Szene.

 

Martin Schöler (MS): Wie bist du in die Naziszene hineingerutscht?

Döhler: Anfang 2007 habe ich Danny G. kennen gelernt. Er kam aus Engelsdorf, ich wohnte damals in Paunsdorf. Im Februar 2008 meinte er: „Da ist ein Trauermärsch für die deutschen Opfer der Bombardierung. Möchtest du nicht mitkommen?“

MS: Wusstest du, dass das eine rechte Demo war?

Döhler: Er sagte, es sei eine Nazidemo. Das fand ich in diesem Moment irgendwie gut.

Alexander Böhm (AB): Warum?

Döhler: Weil es für die Opfer war. Ich habe mich sehr wohlgefühlt — mein Freundeskreis und so weiter. Ich hatte weniger Geschichte im Kopf. Ich wollte eigentlich nur ausprobieren, ob das was für mich ist. Es hat sich dann herausgestellt, dass es etwas für mich ist und so bin ich dann immer tiefer hineingerutscht.

MS: Was hat dich an der rechten Ideologie fasziniert?

Döhler: Dieses Gemeinschaftsgefühl. „Du bist mein Kamerad und egal was passiert, ich stehe hinter dir.“ Heute empfinde ich die angebliche Kameradschaft als große Illusion.

MS: Als du in die Szene eingestiegen bist, bist du noch zur Schule gegangen.

Döhler: Ich habe sehr verweigert, was die Lehrer mir in der Schule über den Nationalsozialismus erzählt haben, weil Danny mir darüber etwas ganz anderes erzählt hatte.

MS: Wie alt war Danny damals? War er für dich wie ein großer Bruder?

Döhler: Er war, glaube ich, 19. Er war mein einziger Freund, dem ich damals vertraut habe. Im Laufe des Jahres 2008 haben wir in der Odermannstraße 8 begonnen, gemeinsam ein Projekt aufzubauen. Das hat mir Motivation gegeben. Dadurch kam ich Ende 2008 zum „Freien Netz“.

MS: Was ist mit deinem Umfeld passiert, das du vor dem Einstieg in die Naziszene hattest? Hast du dich von deinen alten Freunden entfernt oder hattet ihr weiterhin Kontakt? Wie haben die Leute reagiert?

Döhler: Ich hatte gar nicht so viele Freunde, vielleicht ein paar in dem Jugendklub, in den ich ab und zu gegangen bin. Auch Russen, was mit der Ideologie nicht mehr hingehauen hatte. Ich habe denen gesagt, ich möchte nicht mehr mit euch herumhängen, ich habe jetzt andere Freunde. Ab und zu haben wir uns noch gegrüßt. Mir war Danny sehr wichtig. Ich habe mich von meinem früheren Umfeld zunehmend entfremdet.

MS: Wie hat dein familiäres Umfeld auf deine Wandlung zum Neonazi reagiert?

Döhler: Meine Mutter hat gesagt, mach das, was du für richtig hältst. Das Politische hat sie ignoriert. Mein Onkel war anders. Der hat mich hinterfragt. Ich hatte ein großes Zimmer, in dem früher meine Oma gewohnt hatte. Da hatte ich eine Reichskriegsflagge aufgehängt. Mein Onkel hat mich gefragt, wieso ich so eine Fahne im Zimmer haben müsse? Mein Schwager hatte wiederum selbst eine Hakenkreuzflagge in seinem Schlafzimmer hängen.

AB: Gegen wen oder was sollte sich euer „nationaler Widerstand“ richten?

Döhler: Gegen die Politik. Gegen den Staat. Gegen die Ausländer.

AB: Wie viele kriminelle Ausländer sind dir während deiner Nazilaufbahn begegnet?

Döhler: Kein Einziger. In die Eisenbahnstraße hatte ich mich nicht getraut, weil ich Angst hatte. Es wurde viel geredet. Wenn ich heute dorthin gehe. fühle ich mich sehr wohl. Ich bin mit vielen der Migranten. die dort leben. gut befreundet. Damals war es anders. Ich habe mich in Schönefeld nicht wohlgefühlt. Die Eisenbahnstraße haben wir als rechte Gang gemieden.

MS: Hattest du vor deiner Nazizeit irgendwelche negativen Erfahrungen mit Ausländern gemacht?

Döhler: Ich wurde in der Schule permanent von Zweien verprügelt. Ich bin daraufhin an eine andere Schule gewechselt.

MS: Hat dich das vielleicht später in deinen ausländerfeindlichen Ansichten bestärkt?

Döhler: Ich war in der Schule der Außenseiter. Ich wurde gehäuselt und gemobbt. In der rechten Gruppe habe ich mich dann stark gefühlt. Es war rückblickend ein großer Fehler, diesen Weg zu gehen.

MS: Wie war dein Verhältnis zu Gewalt?

Döhler: Ich war gewaltfrei. Bis auf einen Übergriff in Geithain.

AB: Was war passiert?

Döhler: Das war 2011 beim „Tag der Identität“, ein Sportplatzfest, das Manuel Tripp organisiert hatte. Ich war zusammen mit drei Kameraden, darunter Sebastian R. und Markus W. auf den Vorplatz gegangen. Dort saßen zwei Antifas auf der Bank. Sebastian hat sie gleich angepöbelt und angespuckt. Die beiden sind sofort aufgestanden und weggerannt. Wir drei sind ihnen hinterhergelaufen. Die Polizei war aber sofort zur Stelle.

AB: Was wurde euch vorgeworfen?

Döhler: Körperverletzung. Wir wurden erst gegen 19 Uhr aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Das war ein sehr deprimierendes Gefühl.

MS: Hatte der Übergriff für dich juristische Konsequenzen?

Döhler: Nein, überhaupt nicht.

MS: Wie lebt es sich als Neonazi in der linken Hochburg Leipzig?

Döhler: Ziemlich gefährlich. Ich war einmal auf dem Weg zum Amt, um mir einen Gesundheitspass zu holen. Am Westplatz habe ich von zwei Leuten auf die Schnauze gekriegt.

MS: Hattest du neben der Ausbildung und der Neonaziszene noch Zeit für andere Dinge?

Döhler: Ich hatte nur meine rechten Freunde und die Arbeit. Wir hatten uns mehrmals in der Woche getroffen. Donnerstags hatten wir in der Odermannstraße Kraft- und Kampfsport gemacht. Einmal wöchentlich haben wir im Freien trainiert.

MS: Wie sahen zu dieser Zeit die Neonazi-Strukturen in Leipzig aus?

Döhler: Im Endeffekt war die Odermannstraße 8 ein Projekt vom „Freien Netz“ und den „Jungen Nationaldemokraten“. Die hatten sich dort zum Plenum getroffen.

MS: Existierten zwischen den beiden Gruppen personelle Schnittmengen?

Döhler: Das lief parallel. Dann gab es noch den JN-Abend. Der war einmal in der Woche in der Odermannstraße. Dort haben wir Transparente gemalt, Flyer ausgeschnitten oder Geburtstagspartys gefeiert. Wir hatten aber auch Schulungsabende, wo wir über Bildung gesprochen hatten, was denn nationalsozialistisch sei. Themen waren unter anderem Rassekunde. nationaler Sozialismus, Kapitalismus und Globalisierung. Es gab Hefte. wo das alles detailliert erklärt
wurde.

AB: Gab es Diskussionen bei diesen Abenden? Nahmen dort Anwesende auch konträre Standpunkte ein?

Döhler: Die „Kader“ nannten das Aufklärung. Man diskutierte über das jeweilige Thema. Was kannst du dazu erzählen? Was ist Sozialismus? Definiere. Es wurde vieles hinterfragt. Es fand auch ein Zwei-Tages-Seminar zum Thema Rassenkunde statt.

AB: Wie sah dieses Hinterfragen aus?

Döhler: Es hat beispielsweise jemand gesagt, Sozialismus sei das, das und das. Ich habe da mal gefragt, warum ist das und das so? Die Referenten ließen aber keine alternativen Standpunkte zu.

MS: Bist du bei den „Jungen Nationaldemokraten“ Mitglied gewesen?

Döhler: Ich war kein Mitglied in der JN. Ich habe nie einen Antrag unterschrieben und nie irgendwas abgezeichnet. Ich war Mitglied in dieser losen JN-Gruppe.

AB: Wurde thematisiert, dass du kein Mitglied werden wolltest?

Döhler: Nein. Ich habe gesagt, ich möchte nicht in die Partei. Parteifrei und gut.

MS: Noch einmal zum Verständnis: Es gab einmal die JN, die Parteigänger. Die standen in der Hierarchie ganz oben.
 
Döhler: Genau. MS: Dann kam die JN-Gruppe?

Döhler: Dort hatte Tommy Naumann als JN-Vorsitzender auch ganz viel zu sagen gehabt. Auch im Aktionsbündnis Leipzig.

MS: Das „Aktionsbündnis Leipzig“ stand in der Hierarchie darunter?

Döhler: Das Aktionsbündnis war wieder etwas ganz anderes. Die Leute haben relativ autonom gehandelt. Keine Ahnung, wer dort das Sagen hatte.

AB: Hat dich das überhaupt interessiert?

Döhler: Nein. Ich hatte meine Gruppe. Zwei JN-Mitglieder waren meine Bezugspersonen. Natürlich ist man mit weiteren Kameraden befreundet und trifft sich beispielsweise in Großzschocher auf ein Bier oder zu einer Schneeballschlacht.

AB: Hattest du jemals Zweifel daran, wie und warum in der Szene irgendetwas gemacht wird?

Döhler: Das spielte für mich keine Rolle. Ich habe lange Zeit alles so hingenommen, wie es gewesen ist. Erst Anfang 2013 habe ich begonnen, Dinge kritisch zu hinterfragen. Ich bin damals im zweiten Ausbildungsjahr gewesen. Ich hatte bei einer Messebaufirma als Schreinerlehrling gearbeitet. Wir haben Messestände produziert und sind viel auf Montage gefahren. Für Politik hatte ich somit keine Zeit mehr. Durch meine Ausbildung begann sich mein Freundeskreis zu wandeln.

Einer meiner Kollegen hat mich dann ein bisschen beeinflusst. Der hat gesagt, „Hör mal zu, was hast du für ein Shirt an? Warum trägst du ‚Thor Steinar‘? Findest du das korrekt?“ Ich fragte daraufhin zurück, was er gegen „Thor Steinar“ habe? Das sei eine ganz normale Marke.

MS: Ist „Thor Steinar“ für dich heute eine normale Modemarke?

Döhler: Nein. Ich hatte dann begonnen, über all das nachzudenken, was mir der Kollege an den Kopf geknallt hatte. Irgendwann habe ich gemerkt, dass da irgendwas verkehrt läuft. Einmal hat mich der Kollege mit meiner Teilnahme an einer Nazidemo konfrontiert. Er hat gefragt: „Warum machst du so etwas? Du bist ein guter Arbeiter. Warum bist du überhaupt dort gewesen.“ Ich konnte mich in der Situation nicht erklären. Meine rechten Freunde hatten mich mitgezogen und ich bin mitgegangen.

MS: Du warst aber schon aus einem inneren Antrieb da?

Döhler: Ich war von dem Gedankengut überzeugt. Mein Kollege hat mich schließlich vor einen inneren Konflikt gestellt. Mir kam der Neonazi-Aufmarsch am 17. Oktober 2009 in den Sinn. Damals wurde ich von meinen Kameraden mächtig verarscht. Die Polizei hatte die Demo gewaltsam aufgelöst und alle Teilnehmer eingekesselt.

Wir hatten uns auf einem Dachboden in einem Wohnhaus verschanzt, bis uns die Polizei entdeckte. Ich konnte als einziger flüchten. Ich bin draußen von einem Polizisten gejagt worden, erreichte aber die nahe gelegene S-Bahn-Haltestelle und konnte mit dem Zug abbauen. Dass ich nicht erwischt wurde, haben mir die anderen oft zum Vorwurf gemacht.

AB: Was wurde dir vorgeworfen?

Döhler: „Du Verräter. Du hast das Licht angemacht.“ — „Nein, habe ich nicht. Warum sollte ich das tun?“ — „Auf einmal stand da das SEK mit Pistolen.“ — „Ok, Scheiße. Ist euch was passiert?“ Alle waren sie sauer auf mich, besonders Tommy Naumann. Der hatte mir das echt krumm genommen.

AB: Bist du der Einzige gewesen, gegen den der Vorwurf des Verrates im Raum gestanden hatte?

Döhler: Es gab noch das Gerücht in der Odermannstraße über ein NPD-Mitglied, das angeblich ein V-Mann gewesen sein soll.

AB: Wie haben sich die übrigen Aktivisten dieser Person gegenüber verhalten?

Döhler: Alle waren sie skeptisch und haben gelästert. Das war der Moment, in dem ich mir gedacht habe, ihr nennt euch jetzt Kameraden? Ihr habt gar keine Beweise, dass die Person ein V-Mann ist.

AB: Welche Rolle hast du in der Szene gespielt?

Döhler: Ich war ein kleiner Fisch. Ich bin mitgeschwommen im großen Meer, aber viele Infos über so krasse Aktionen habe ich nicht erhalten. Natürlich habe ich mich auch hingezogen gefühlt zu den Autonomen Nationalisten aus Großzschocher. Wir hatten dort an der Kirche mal eine Schneeballschlacht geplant. Das war ganz lustig. Eigentlich war das nur eine Schneeballschlacht. Dann hat eine Straßenbahn angehalten, in der ein Journalist gewesen sein soll.

MS: Ja, das war ich. Mit ein wenig Pfeiferspray ließ sich die Situation zum Glück lösen.

Döhler: Ich will nicht wissen, was sonst mit dir passiert wäre. Die waren echt sauer auf dich. Ich kannte dich gar nicht. Ich stand bloß vorne an der Tür und hab geguckt. Dann hattest du aber auch das Pfefferspray in der Hand.

MS: Wie ist man in der Szene mit dem Thema „Holocaust“ umgegangen?

Döhler: Der Holocaust wurde klipp und klar verleugnet. Für die Szene existiert kein Holocaust und es sind niemals sechs Millionen Juden ermordet worden.

MS: Welche Rolle hat Rechtsrock bei dir gespielt?

Döhler: Eine große. Mein erstes Lied war „Fels in der Brandung“ von der Lunikoff Verschwörung. Das war mein Lieblingslied. Und NS-Hardcore von Moshpit und Brainwash hab ich gerne gehört. „Kategorie C“ war noch so’n bisschen meine Musik.

MS: Wie wird in der Szene mit der historischen NS-Vergangenheit oder mit NS-Größen wie Rudolf Heß, Adolf Hitler usw. umgegangen?

Döhler: Die werden geehrt bis zum Gehtnichtmehr. Jeder Geburtstag wird gefeiert. Ich kann mich noch an einen 20. April in der Odermannstraße erinnern. Da gab es ein JN-Treffen. Wir haben zu Ehren von Adolf Hitler gespeist.

MS: Wann hattest du angefangen, dich aus den rechten Kreisen zurückzuziehen?

Döhler: Ich hatte nach dem Aufmarsch am 17. Oktober 2009 aufgrund meiner Lehre für Politik immer weniger Zeit. Am 1. Mai 2012 hab ich in Hof das letzte Mal eine Nazidemo besucht. In der Leipziger Szene war es nach dem gescheiterten Aufmarsch am 16. Oktober 2010 immer ruhiger geworden. Ab und zu gab es noch Treffen in der Odermannstraße. Demomäßig war überhaupt nichts mehr los. Ich hatte mich neben der Ausbildung selbstständig gemacht und in meinem Leben nun andere Ziele: Firma. Arbeit. Keine Politik mehr.

MS: Wann hast du angefangen, dich selbstkritisch mit deiner braunen Vergangenheit auseinanderzusetzen?

Döhler: Das war Mitte 2012. Ich hatte damals eine links eingestellte Freundin, die viel hinterfragt hat. Wieso ich so gewesen bin? Mein Arbeitskollege hat mir außerdem viel über die Verbrechen des Nationalsozialismus erzählt. Ein Kumpel, den ich 2014 in der Fahrschule kennengelernt hatte, hatte mir außerdem seinen alternativen Lebensentwurf vermittelt. Dieses entspannte Leben. Ab und zu ein Bier trinken. Über normale Themen reden. Das hat mir gefallen.

AB: Du bist zu Beginn unseres Gesprächs viel auf das Thema Kameradschaft eingegangen. Wie unterscheidet sich dieses Zusammengehörigkeitsgefühl von dem jetzt geschilderten?

Döhler: Die Nazis haben immer gesagt, etwas ist so. Es ist einfach so. Es gibt gar keine andere Meinung. Ich habe vieles aufgenommen und nicht darüber nachgedacht. Ich hatte nun angefangen, selber zu denken. So war das auch bei den Montagsdemos, die 2014 angefangen hatten. Erst war ich übelst skeptisch.

Aber mein Kumpel meinte: „Nein, das ist was Gutes. Lass und da hingehen.“ Ich dachte für mich, vielleicht sollte ich das unterstützten, weil es eine coole Sache und gerade ein aktuelles Thema ist. Dann kam einer aus Berlin. der relativ großen Stress gemacht hat. Schließlich waren Antifa-Aktivisten die Montagsdemogegner. weil KenFM gekommen war. Und dann kam schon Legida. Das war mein innerer „Durchbruch“: „Oh Gott, jetzt kommt so’n Scheiß.“

MS: Das waren wieder deine alten Kameraden?

Döhler: Da war alles am Start. Die erste Demo in der Waldstraße hab ich noch ignoriert. Ab dem zweiten Aufmarsch hatte ich mich den Protesten von NoLegida angeschlossen.

MS: Warum bist du da hingegangen?

Döhler: Legida war genau das, was ich nicht mehr wollte. Darum hab ich gesagt, nee, verpisst euch mit eurem ganzen Scheiß. Deshalb war ich bei den Demos von NoLegida und hab auch versucht, Blockaden mitzumachen. Einmal sogar erfolgreich. Und dann gab es auch übelst Viele Übergriffe von Legida-Anhängern auf uns.

MS: Und da hast du dann auch Anschluss an eine linke Bezugsgruppe gefunden?

Döhler: Genau.

MS: Warum hast du diesen Leuten deine rechte Vergangenheit verheimlicht?

Döhler: Ich hatte ein bisschen Schiss, dass das nicht gut ankommen könnte. Deshalb hab ich zu mir gesagt, nee, erstmal noch nicht, du wartest. In einem Bitterfelder Hausprojekt bin ich schließlich erkannt worden. Dort kamen drei Typen an und meinten, sie wüssten, wer ich sei. „Wir müssen reden“. Ich habe die Hände gehoben und gemeint, „Hört mal zu, ich will aussteigen. Können wir irgendwas tun? Kann ich mich irgendwo melden?“

Die Leute haben mir eine Kontaktnummer der Ausstiegsinitiative „Exit“ gegeben und mich in Begleitung von zwei Leuten aus meiner Bezugsgruppe im Auto nach Hause geschickt. Zu einem in Aussicht gestellten Treffen mit den Leuten aus der Gruppe, um meine Vergangenheit in irgendeiner Form aufzuarbeiten, ist es dann aber leider nicht gekommen.

AB: Wie hat dein altes polilisches Umfeld auf deine Distanzierung reagiert?

Döhler: Nachdem ein Artikel über meinen Ausstieg auf einer Leipziger Antifaseite erschienen war, hab ich von einem stadtbekannten Neonazi eine Mail bekommen: „Hey, du trägst jetzt wohl ,Refugees Welcome‘?“

AB: Rechnest du jetzt, wo deine Geschichte öffentlich wird, mit weiteren Einschüchterungsversuchen durch Neonazis?

Döhler: Ich befürchte, dass ich noch mal bedroht werde. Oder vielleicht sieht mich mal ein Rechter in der Stadt und rennt mir hinterher. Aber Angst verspüre ich überhaupt nicht. Es wäre nett, wenn die Reaktionen aus der linken Szene jetzt positiv ausfallen. Das wünsche ich mir.

AB: Was würdest du ausstiegswilligen Neonazis raten, die noch in dieser Szene involviert sind? Was müsste sich in Sachsen ändern? Hättest du an deinem Ausstieg rückblickend gerne irgendwas anders gemacht?

Döhler: Mein eigener Ausstieg ist zugegebenermaßen ein bisschen katastrophal verlaufen. Ich habe mir nicht direkt professionelle Hilfe gesucht, sondern habe meine Vergangenheit gegenüber meinem neuen politischen Umfeld zunächst einmal verschwiegen und wurde schließlich enttarnt. Daraufhin hatte ich mehrere Probleme, unter anderem weil ich in der linken Szene nicht wirklich als geläuterter Aussteiger akzeptiert worden bin.

Der Ausstiegsprozess kann, glaub ich, viel entspannter als in meinem Fall verlaufen. Ich hab mir die Sache selbst unnötig kompliziert gemacht. Ich habe mich ins Positive entwickelt und möchte das auch anderen Aussteigem vermitteln. Gerne möchte ich mich mit anderen Aussteigem vernetzen, um zu erfahren, wie deren Ausstieg abgelaufen ist. Ich weiß überhaupt nicht, ob es nicht vielleicht noch mehr Leute von damals gibt, die jetzt nur noch stillschweigend irgendwo herumsitzen. Mit denen würde ich mich auch gerne treffen, um sie zu fragen, ob sie nicht auch aussteigen wollen.

MS: Du würdest also gerne anderen Betroffenen helfen und sie bei ihrem Ausstieg unterstützen?

Döhler: Ja klar.

AB: Vielen Dank für das Gespräch!