Jahresrückblick - Schon seit dem Frühjahr 2016 kriselt es erheblich im Landesverband der Alternative für Deutschland in Schleswig-Holstein. Noch bevor der Parteitag am 16. April in Henstedt-Ulzburg stattfand, wurde dieser unter der Führung des ehemaligen Landesvorsitzenden Thomas Thomsen angefochten. Der Vorwurf lautet, dass mehr als 30 Mitglieder, darunter auch er selbst und Nico Gallandt, nicht fristgerecht eingeladen wurden. Somit sei seine Abwahl aus dem Landesvorstand und die Wahl des neuen Landesvorstandes hinfällig. Doch das Landesschiedsgericht der Partei, welches über solche Klagen entscheiden soll, hat sich durch die Amtsniederlegung des Richters Matthias Piskatschek-Wahl nur wenige Tage vor dem Landesparteitag handlungsunfähig gemacht. Diese Handlungsfähigkeit wurde dann auch für viele weitere Monate nicht wiederhergestellt.
Im Juni eskalierte während eines Treffens der Landeswahlkampfkommission eine Meinungsverschiedenheit derart, dass Landesvize und Pressesprecher Volker Schnurrbusch, mit einem Stuhl Nico Gallandt an die Wand drückte. Gallandt, Kreisvorsitzender der AfD Herzogtum-Lauenburg, erstattete daraufhin Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung bei der Polizei.
Auch der Landesparteitag am 10. September in Rendsburg war ein Reinfall für die Partei. Ziel war es, die Direktkandidat_innen und Listenkandidat_innen für die Landtagswahl im Mai 2017 zu wählen. Erst einmal fanden sich nicht ansatzweise genügend Freiwillige, die diese Aufgabe übernehmen wollten und auch dieses Mal war der Parteitag von politischen Grabenkämpfen geprägt, sodass eine vollständige Wahl nicht möglich war.
Ende November teilte die AfD Pinneberg auf ihrer Facebook-Seite einen Artikel der Hamburger Morgenpost, in dem über eine sexuelle Belästigung in Pinneberg berichtet wurde. Eine Zeugin soll gehört haben, wie die Täter in einer fremden Sprache kommuniziert haben. Der Kommentar der Partei war: „Auch bei uns im Kreis wird die Bevölkerung von Merkels Gästen terrorisiert...“. Dies schien für viele Facebook-Nutzer_innen Anlass genug, mit rassistischen Kommentaren darauf zu antworten. Torsten Abt: „Dieses P…. muss man erschießen. ICH glaube wir brauchen wieder ne Waffen SS“. Die Betreiber_innen der Seite waren zwischenzeitlich nachweislich bei Facebook aktiv, löschten diesen eindeutig hetzerischen Kommentar aber erst nach zwei Tagen.
Auch in der Facebook-Gruppe der AfD Rendsburg-Eckernförde veröffentlichen bekennende Neonazis wie Manfred Riemke Beiträge. Selbst Werbung für die rechtsradikalen Aufmärsche von „Neumünster wehrt sich“ wurde nicht gelöscht.
Die AfD im neuen Jahr
Auch das neue Jahr startete nicht besser: Der Spielautomatenbetreiber Hans Jürgen Hell (67 Jahre) wurde wegen des Facebook-Posts „Was hier kommt, und als Flüchtlinge deklariert auf unser Volk losgelassen wird, sind mehr Tiere als Menschen.“ am 11.01.2017 zu 2250 € Strafe wegen Volksverhetzung verurteilt. Nach eigenen Angaben ist er AfD-Mitglied.
Am 08. Januar veranstaltete der AfD Kreisverband Ostholstein ein Dreikönigstreffen im „Brauhaus“ in Eutin. Zu diesem Anlass ließen es sich auch etwa eine handvoll Nazis um Sebastian Alexander Struve nicht nehmen, in unmittelbarer Nähe der Veranstaltung aufzutauchen. Die Gruppe trug schwarz-weiß-rote Fahnen bei sich und hielt ein Transparent mit der Aufschrift „Volksgemeinschaft supergeil! Für ein Volk ohne Zinsen“ in die Höhe. Nach eigenen Angaben wollten sie die Veranstaltung der AfD unterstützen, indem sie diese vor „Linksextremen“ schützen. Sie gingen aber offenbar nicht einmal in die Veranstaltung, sondern verließen den Ort nach einiger Zeit wieder. Sie betonen, dass die zwar teilweise verschiedene Ansichten mit der AfD hätten, sie die Partei aber zu ihrer „Volksgemeinschaft“ zählen und einen „Gedanken- und Meinungsaustausch“ innerhalb ihrer „Volksgemeinschaft“ sicherstellen wollen. Ein ziemlich deutliches Bekenntnis von Nazis zu der AfD!
Zurück zum Streit um den Parteitag in Henstedt-Ulzburg: Da weder das Landes- noch das Bundesschiedsgericht der AfD einen Beschluss zu der Klage von Thomsen gegen den Landesparteitag im April 2016 verlauten ließen, zog dieser nun vor das Kieler Landgericht. Dort kam es am 09.01.2017 zu der ersten mündlichen Verhandlung. Die vorläufige Einschätzung der Richterin Kathrin Seidel ist, dass die Klage wahrscheinlich gar nicht zulässig ist, da zuallererst ein Urteil vom Parteischiedsgericht erfolgen muss. Ein ordentliches Gericht könne nur angerufen werden, wenn es für einen Kläger „unzumutbar ist, die Entscheidung des Schiedsgerichtes abzuwarten“ (Seidel). Das Gericht habe außerdem keine „Verzögerungs- oder Hinhaltetaktik“ der Parteiinstanzen erkennen können.
Besonders brisant ist die rechtliche Vertretung des Landesvorstandes: Der Anwalt Björn Clemens vertritt nicht nur die AfD, sondern auch schon die NPD und bekennende Neonazis. Er leugnet als Redner auf Naziaufmärschen den Holocaust, nennt die Flüchtlingspolitik „Völkermord“ (am deutschen Volk) und bezeichnet das Hakenkreuz auf einem Internetblog als „Hoheitszeichen aus bedeutsamer Zeit“. Auch im Landgericht reagierte er auf Nachfragen der Presse, ob es den Holocaust gegeben habe, nur sehr undeutlich.
Auch scheint er enge persönliche Beziehungen zu AfD-Kadern zu unterhalten: So umarmte ihn Doris Sayn-Wittgenstein, ebenfalls Anwältin und im Landesvorstand der AfD Schleswig-Holstein, herzlich zur Begrüßung und Jörg Nobis, Landesvorsitzender, wies darauf hin, dass Clemens nur aufgrund seiner Erfahrung mit politischen Verfahren engagiert worden sei. Zwischen Nobis und Thomsen herrscht seit vielen Monaten Konkurrenzkampf: Nobis, als direkter Nachfolger Thomsens, versuchte diesen sogar im Juni aus der Partei rauszuschmeißen. Nun bezeichnet Nobis Thomsen als Einzelgänger, dessen letztes Gefecht in der Partei diese Klage sei. Doch Thomsen lässt sich scheinbar nicht unterkriegen: Er ziehe wieder vor das Landgericht, wenn das Schiedsgericht nicht vor der Landtagswahl entschieden hat – auch, wenn die AfD dann nicht zur Wahl antreten kann. Am 30. Januar ist dann das abschließende Urteil gefallen: Die Klage wird vom Landgericht aus den oben genannten Gründen abgewiesen. Kläger Thomas Thomsen hat sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, zu seiner Niederlage zu erscheinen.
Zwei Außenseiter haben sich zusammengetan: Thomsen und Gallandt ist die „Hamburger Clique“ ein Dorn im Auge. „Das sind Leute, die in der Hamburger AfD gescheitert und beruflich erfolglos sind. Jetzt wollen sie in Schleswig-Holstein eine zweite Karriere starten und sich in die bezahlte Politik retten“ (Thomsen). Damit ist nicht nur Julian Flak gemeint, der vorher in der AfD Hamburg aktiv war. Auch Volker Schnurrbusch ist im Visier der zwei. Vor allem nach der körperlichen Auseinandersetzung im Sommer 2016 haben Gallandt und Schnurrbusch ein ganz besonderes Verhältnis.
Um dem Landesvorstand noch mehr zu schaden, hat der ehemalige Polizist und Immobilienmakler Gallandt eigene Hobby-Ermittlungen gegen Schnurrbusch eingeleitet. Sein Vorwurf: Schnurrbusch habe bei verschiedenen Parteiämtern weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht gehabt, weil er nicht in Schleswig-Holstein lebe. „Ich habe mir die angebliche Adresse in Schönwalde am Bungsberg [Kreis Ostholstein] im Sommer angeschaut. Das ist ein ungepflegtes Haus ohne Namensschild aus den 1950/60er-Jahren. Das Gras im Garten stand kniehoch. Ich habe Nachbarn gefragt. Die sagten, einmal im Monat käme jemand zum Saubermachen, aber hier wohnt niemand.“ (Gallandt). Schnurrbusch hingegen ist da anderer Meinung: Er versichert, seit 2008 in Schleswig-Holstein zu leben und in Hamburg nur aus beruflichen Gründen eine Zweitwohnung zu haben. Seine Meinung dazu ist: „Es geht auch nicht um politischen Streit, sondern ausschließlich um persönliche Auseinandersetzungen“.
Nun hat das Landesschiedsgericht der AfD am 11.01.2017 eine Entscheidung getroffen: Aufgrund der Verschleierung seines Wohnsitzes waren die Wahlen zum Landesvize, Pressesprecher des Landesvorstandes und des stellvertretenden Kreissprechers des Kreisverbandes Ostholstein unwirksam. Außerdem muss er den Platz 5 auf der Landesliste für die Landtagswahl aufgeben. Da Schnurrbusch das Urteil von dem Bundesschiedsgericht der AfD prüfen lassen möchte, hat die Entscheidung noch keine sofortige Wirkung, aber es ist damit zu rechnen, dass er sich aus der politischen Arbeit in Schleswig-Holstein zurückziehen muss.
Am 14. und 15. Januar fand im Kaltenkirchener Hotel „Dreiklang“ ein weiterer Landesparteitag der AfD statt. Schon im Vorfeld wurden die Betreiber des Hotels darauf hingewiesen, um welche Gäste es sich handelt, doch eine Absage haben diese der AfD nicht erteilt. Bevor inhaltlich auf dem Parteitag gearbeitet werden konnte, wurden stundenlange Diskussionen über die schon im Vorfeld gestellten sechs Abwahlanträge geführt. Dabei handelt es sich um zwei Abwahlanträge gegen Volker Schnurrbusch wegen der Wohnortverschleierung und zwei gegen den im April gewählten Landesvorstand. Die verbleibenden Abwahlanträge schieben sich Jörg Christian Zemke und Frank Hansen hin und her. Frank Hansen, Zemkes Nachfolger, und zwölf weitere AfD-Mitglieder stellen gegen Zemke, den Direktkandidaten des Wahlkreises Schleswig-Kappeln, einen Abwahlantrag wegen parteischädigendem Verhalten. Zemke hat mittlerweile seine Bewerbung um ein Landtagsmandat zurückgezogen. Jörg Zemke und 15 weitere Mitglieder hingegen werfen Hansen Verstöße gegen die Parteisatzung vor. Im Antrag steht: „Herr Hansen ist unfähig, einen Kreisvorstand zu führen, dadurch ergibt sich auch seine politische und persönliche Nichteignung als Listenkandidat und Direktkandidat für ein Landtagsmandat.“
Da die AfD nicht bekannt dafür ist, Konflikte aus dem Weg zu räumen und Entscheidungen zu treffen, stimmten auf dem Parteitag 89 Mitglieder für eine Verschiebung der Abwahlanträge, 72 dagegen und 11 enthielten sich. Ob wiederum ein solches Verfahren mit der Satzung und Geschäftsordnung der AfD vereinbar ist, gilt als strittig. Deswegen verließen nach der Wahl über 20 parteiinterne Kritiker den Parteitag.
Nobis Fazit: Die AfD zu führen, das sei so etwas „wie einen Sack Flöhe hüten“.
Zuletzt hat der ehemalige Kreisvorsitzende des AfD-Kreisverbandes Herzogtum-Lauenburg Nico Gallandt den sofortigen Austritt aus der Partei bekannt gegeben. Die AfD, so fasst er ausnahmsweise passend zusammen, seien „braune Rattenfänger, nur in anderem Gewand“.
Die heiße Phase des Wahlkampfes beginnt! (Nicht nur) Jetzt heißt es für Antifaschist_innen: Packt an und macht den Wahlkampf der rechtspopulistischen, rassistischen und anti-feministischen AfD zum Desaster!