03.01.2017 Zeugenaussage Faysal Sarıyıldız, Kammergericht Moabit, Turmstrasse 91, Saal 701 - Anfang 09:00 - anwesend: 2 StA, 5 Richter_innen, 2 Verteidiger, Dolmetscher, Angeklagte, Zeuge, ca. 25 Zuschauer_innen, 8-10 Presseleute
R1 eröffnet Verhandlung
mit Belehrung darüber, dass Falschaussagen strafbar sind und stellt
Zeugen vor: Faysal Sarıyıldız, 42 Jahre alt, aus Şırnak, zur
Zeit Abgeordneter der Partei HDP.
R1: Sie sind in Köln
gemeldet. Leben Sie auch in Köln?
Z: Ja, im Umland.
R1:
Sind Sie mit dem Angeklagten Ali Hıdır Doğan verwandt?
Z:
Nein.
R1: Sind Sie Abgeordneter im türkischen Parlament?
Z:
Ja
R1: Wie lange schon? Immer noch? Für welche Partei?
Z:
Ich bin Abgeordnete der HDP seit 3 Perioden. Von 2011 bis jetzt
gegenwärtig.
R1: Wann waren Sie das letzte Mal in der
Türkei?
Z: vor 8 Monaten.
R1: Warum jetzt nicht mehr?
Z:
Es gab viele Ausnahmesituationen. Meine Stadt, wo ich Abgeordneter
bin, existiert nicht mehr, sie liegt in Ruinen. Wir waren 4
Abgeordnete insgesamt in der Stadt.
R1: Später werden wir mehr
zu diesem Thema sprechen, jetzt geht es nur um Ihren persönlichen
Hintergrund. Sie waren seit 8 Monaten nicht mehr in der Türkei, sie
können also ihr Amt nicht ausüben.
Z: Wenn ich in der Stadt
geblieben wäre, wäre ich im Gefängnis, Ich war auch Abgeordneter
im Knast. Ich bin Augenzeuge gewesen vom Tod von 143 verbrannten
Menschen, ich will das der Welt weitererzählen.
R1: Wir werden
später über Cizre sprechen, erstmal nur persönliche Informationen.
Existiert gegen Sie ein Haftbefehl?
Z: Ja mit mehr als 20
Anklagepunkten. Es geht dabei um Gespräche, die wir geführt haben
und dass wir angeblich in Särgen Waffen geliefert haben sollen.
R1:
Was wird Ihnen persönlich vorgeworfen?
Z: 20 "Straftaten",
u.a. vermutlich Wahlreden von mir persönlich.
R1: Sie sagen
vermutlich. Haben Sie den Haftbefehl persönlich gelesen?
Z:
nein.
R1: Sie wissen nur, was drin steht. Sie haben
Beobachtungen gemacht bezüglich der Ausgangssperren. Einmal vom
04.-11.September 2015 und einmal vom 14.12.2015-02.03.2016. Getrennt
nach den 2 Zeiträumen, können Sie darstellen, was Sie selbst
beobachtet haben? Die 1. Ausgangssperre 04.-11.09. 2015: wissen Sie
was der Anlass dafür war?
Z: Vor 3 Jahren gab es eine
Feuerpause, danach wurde der Friedensprozess nach 40 Jahren brutalem
Krieg mit 50.000 Toten eingeleitet. Uns, der Gesellschaft, hat der
demokratische Prozess Möglichkeiten gebracht, demokratische Rechte
in Anspruch zu nehmen. Wir haben an den Wahlen teilgenommen mit 13%
Wählerstimmen (8 Millionen Wahlstimmen), zur Wahl vorher haben sich
die Stimmen verdoppelt. Unser Erfolg war, dass der Alleinherrscher
nicht mehr alleine an der Macht war. Das was geschehen ist, fing am
07.06. an. Es war ein Kriegszustand - am 07.07. wurden 2 Polizisten
getötet. Als Partei wollten wir die Sache klären, ich war Teil der
Aufklärungskommission. Erdoğan hat das als Anlass genommen Krieg zu
führen. In 15 Tagen wurden mehr als 1500 Menschen festgenommen, er
hat gesagt, es gäbe kein Friedensprozess, Öcalan sei nicht mehr
Verhandlungspartner.
R1 unterbricht Z und bittet ihn
konkret auf seine Frage zu antworten.
V1 springt ein und
erwidert, dass R1 nach dem Anlass gefragt habe.
Z: Ich wollte
nur die Situation erklären, damit man versteht was in Cizre in den 8
Tagen passiert ist. 24 Menschen sind getötet worden. Wenn man den
Staat fragt, sind das alles Terroristen. Aber es waren Zivilisten,
darunter ein Baby und ein 12-jähriges Mädchen.
R1: Waren Sie
in den 8 Tagen vor Ort?
Z: Ja.
R1: Welche weiteren
Beobachtungen haben Sie gemacht?
Z: Ich und 5 andere Abgeordnete
wussten, es werden schlimme Sachen passieren und sind da hingefahren.
Sie sagten uns, die Rettungswägen können nicht nach Cizre fahren um
Verletzte abzuholen, weil da Gefechte wären. Die Rettungswägen
müssen sich bei der Polizei melden, um eine Erlaubnis zu bekommen
und diese wurden ihnen verweigert. Aber wir waren da und es gab keine
Gefechte. Von den 24 Toten waren dreiviertel sehr jung, Kinder. Ein
Beispiel war ein 12-jähriges Mädchen. Ihre Leiche hat die Familie
im Kühlschrank aufbewahrt, zwischen mir und ihrer Familie lagen nur
300 Meter Entfernung. ich kannte die Familie, der Vater wollte vor
der Aufklärungskommission aussagen.
Bei beiden Ausgangssperren
gab es Jugendliche mit Waffen in der Hand. Der Staat karrte mit
lastwägen Waffen ran. Zum ersten mal wurden kurdische Städte
bombardiert. Der Staat wollte nicht nur die Personen, die Waffen
hatten bekämpfen. In Cizre mit 120.000 Einwohnern wollten sie die
ganze Stadt vernichten. Erdoğan hat eigentlich diese Macht nicht,
hat sie aber faktisch übernommen. Er benutzte folgende Argumente:
weil wir Fortschritte machen, ist die ganze Welt unser Feind. Die
Türkei führe die moderne, sunnitische Welt, deswegen ist die Welt
gegen uns.
R1: Nochmal zur Ausgangssperre: Cizre hat 120.000
Einwohner. Wie viel Zivilisten sind gestorben?
Z: 24.
R1:
Wer hat für den türkischen Staat in Cizre gekämpft? Polizei?
Z:
Bei der 1. Sperre Spezialeinheiten von Polizei und Militär. Sie
haben rassistische, nationalistische und religiöse Parolen
geschrien. z.B. "Wir werden euch die Kraft der Türken schon
zeigen"
R1: Jetzt zur 2. Ausgangssperre: Waren Sie den
kompletten Zeitraum da?
Z: Ich bin ein Tag vorher gekommen und
war dann 63 Tage da. Die Sperre wurde nach 79 Tagen aufgehoben. Als
ich weg bin, war die Stadt zerstört und es gab Hunderte Tote und
Verbrannte. Sie haben das bis ins Detail geplant. Sie haben Leute
raus gelassen, die gehen wollten. Alle die blieben sollten vernichtet
werden.
R1: War das eine Aufforderung vom türkischen Staat, ab
jetzt gibt es die Ausgangssperre, wer raus will kann jetzt gehen?
Z:
Bevor die Ereignisse stattfanden, haben alle staatlichen Angestellte
die Stadt verlassen. Alle die blieben sind gleichgesinnte. Die HDP
hat in Cizre 95% Stimmen. Die Abgeordneten wollten ihre Stadt nicht
verlassen. Diejenigen, die raus wollten, konnten raus. Aber
diejenigen, die geblieben sin, sollten vernichtet werden. Am Anfang
befanden sich 120.000 Menschen in Cizre, am Ende nur noch 4.000.
Strom und Wasser wurden abgestellt, aber ein Teil der Bevölkerung
wollte nicht gehen. Nachdem 1 Woche das Wasser abgestellt war, wurden
wir angerufen. Ich war als einziger Abgeordneter noch im Rathaus und
habe den Gouverneur und solche Leute gebeten, dass das Wasser
zurückkommt, aber meine Anfragen wurden ignoriert. Ich habe dann
jemanden im Rathaus gefunden, der das Wasser wieder anstellen wollte.
Bevor ich Abgeordneter wurde, war ich Ingenieur und Leiter einer
TÜV-Stelle. Meine Familie war wohlhabend und hatte versucht, mich
von der Politik fernzuhalten.
R1: Was ihnen offenbar nicht
gelungen ist...
Z: Nochmal zu den Wahlen: die HDP hat in 37 von
50 Wahllokalen gewonnen.
R1: Nachdem die Wasserversorgung
gekappt wurde, haben Sie sich bemüht das wieder zu regeln. Können
Sie noch mehr dazu erzählen?
Z: Es gab einen Experten, der den
großen Wasserhahn wieder aufdrehen wollte. Er wurde dabei beschossen
und hat seine Hand dadurch verloren. Ich habe immer noch ein
schlechtes Gewissen deswegen, weil ich ihn ja beauftragt hatte. Jeden
Tag wurde mindestens 1 Person vom Staat getötet. Manchmal 6,7
Personen täglich verletzt. 30-40 Tage war das so Routine.
Alltäglicher Terror, dass niemand mehr dableibt und die Bevölkerung
Cizre verlässt. Menschen wurden auch z.T. zuhause erschossen.
Während der 1. Ausgangssperre gab es eine Geburt eines Babys,
welches in den Armen der Tante die Haustreppe runter getragen wurde
und es wurde am Kopf durch eine Kugel getroffen. Die Familie wollte
das Baby 200 Meter weiter ins Krankenhaus bringen. Sie haben die HDP
angerufen und diese hat einen Deal mit dem Militär gemacht, dass
nicht geschossen wird (der Panzer stand vor dem Haus). Oma und Opa
nehmen das Baby, gingen raus und wurden erschossen. Der Opa und das
Baby waren tot, die Oma überlebte schwer verletzt.
R1: Sie
haben diese 2 Ereignisse beschrieben - die Verletzung des
Wassermenschen und den Tod des Babys. Haben Sie das selbst erlebt?
Z:
Den Wassermenschen habe ich selbst geschickt und bei dem Babytod
hatte mich die Familie persönlich kontaktiert und mir alles
beschrieben. Ich habe auch die Polizei angerufen. Zwischen mir und
der Familie gab es nur 200 Meter Abstand, aber ich konnte da nicht
hin. Ich führte Telefonate zwischen dem Krankenhaus und der
Polizei.
Nach 40 Tagen gab es nicht mehr viele Menschen,
die Bevölkerung hatte die Stadt verlassen. es waren vielleicht 400
übrig, die dableiben wollten. Darunter gab es auch bewaffnete
Menschen.
Vor der Ausgangssperre kamen viele Studenten,
Künstler, Journalisten und Intellektuelle mit verschiedenen Bussen
als menschliche Schutzschilde in die Stadt. Sie waren unbewaffnet,
mit einer politischen Haltung. Von diesen Menschen wurden 143
verbrannt an 3 verschiedenen Orten. Ich habe alle Namen und Adressen
aufgelistet und wollte, dass Verletzte raus gebracht werden. Ich habe
selbst 5 Leute bei mir zuhause aufgenommen, weil sie sonst umgebracht
worden wären. Mit der Namensliste waren wir in Ankara im
Innenministerium und beim Europäischen Menschengerichtshof. Auch an
die UNO haben wir die Liste geschickt. Ich habe sie kontaktiert,
damit sie Druck auf die Türkei ausüben. Ich hatte telefonisch
Kontakt mit den Studenten und mit der HDP-Abgeordneten Derya Koc, die
sagten, das Militär wolle sie alle umbringen. Telefonisch wurde mir
mitgeteilt, dass 20 Personen im Keller sind. Benzin wurde auf die
Verletzten gegossen und sie wurden dann angezündet. Der Ort war 200
Meter von mir entfernt, ich habe die Rauchsäule über dem Gebäude
gesehen und Leichengeruch gerochen. Ich habe den leuten im Keller die
Nummer vom Fernsehsender IMC TV gegeben, der die Zeugin Derya Koç
live zuschaltete.
Ich war in Kontakt mit Behörden, die sagten
das seien alles Kämpfer mit Waffen gewesen. Aber das stimmt nicht,
deswegen habe ich die Namensliste weitergegeben. Erdoğan sagte in
einer Fernsehansprache, dass die Menschen im Keller eine Lüge seien
und vielleicht gar niemand im Keller war. Ich selbst habe 14
Handybilderaufnahmen von den Leichen im Keller und habe die
Namensliste weitergegeben, um Erdoğan Lüge zu entkräften. Ich bin
selbst mit einem Juraprofessor und Vertretern von
Menschenrechts-NGO´s zu den Kellern gegangen. Es war alles verbrannt
und es gab ganz viele Knochen. Mit dem ersten Leichenwagen holten sie
26 Tüten Knochen heraus, was aber nur Reste waren. Die Bilder habe
ich. Es waren auch Kinderknochen dabei. Die offizielle Darstellung
war, die Keller waren leer. Die HDP wurde für ihre Gegendarstellung
angegriffen.
R1: Sie sprachen von Studenten als menschliche
Schutzschilder, die an 3 Orten waren und mit denen Sie telefoniert
haben. Sie haben auch mit der Opposition einer anderen Partei
telefoniert. Mit wem noch?
Z: Es hat alles am 22.01. angefangen.
Am ersten Ort gab es 31 Tote, am zweiten Ort 62 Tote und am dritten
Ort 40 Tote. Mit dem Innenministerium wurde ausgemacht, dass sie am
30.01. aus den Kellern rausgebracht werden sollen.
R1: Worauf
beruhen Ihre Angaben zu den Opferzahlen?
Z: 167 Personen wurden
in der ersten Woche ins Krankenhaus gebracht, ich habe mit den Opfern
vorher telefoniert, ich habe die Bilder von den Leichen, ich habe
Beweise.
R1: Sie waren früher inhaftiert?
Z: ja,
2009.
R1: Warum?
Z: Ich war Leiter einer staatlichen
Einrichtung und Mitglied im Stadtrat und war deswegen viel in den
Dörfern unterwegs und habe Wahlreden gehalten. In einer Nacht wurden
500 Personen verhaftet, ich dachte es sei ein Fehler. Beim Verlesen
der Anklageschrift habe ich große Angst bekommen, denn da stand ich
sei in einer Leitungsposition, weil ich telefoniert habe. Aber unsere
Wahlreden waren alle öffentlich und legal. Ich habe 10 Jahre
bekommen. Davon saß ich anderthalb Jahre im Knast, wo ich auch für
die HDP kandidiert habe und im Knast gewählt wurde. Ich saß noch
3,5 Jahre nach meiner Wahl im Knast. Insgesamt waren es 5 Jahre.
R1:
Sind Sie verurteilt worden?
Z: Ja
R1: Wegen Mitgliedschaft
in der KCK oder PKK?
Z: Ja
R1: zu welcher Strafe?
Z:
Ich habe noch keine Strafe. Das Verfahren geht weiter. Meine
Gerichtsverhandlung geht weiter, es gibt noch keinen Beschluss. Es
waren damals insgesamt 8 Abgeordnete von uns im Gefängnis. Es gab
einen Konsens zwischen den Parteien, das sie freigelassen werden
sollten.
R1: Wie lange waren sie insgesammt im Gefängnis?
Z:
annähernd 5 Jahre.
R1: Aber es ist kein Urteil eingegangen,
also eine Art U-Haft?
Z: Wenn man in der Türkei angeklagt ist
und in Haft sitzt, kann eine Verhandlung bis 20 Jahre dauern, ohne
Beschluss.
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10 Minuten
Pause
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R2:
Zu Ihrer Inhaftierung: Für welche Partei kandidierten Sie?
Z:
HDP
R2: gabs die damals schon? War das nicht die BDP als
Vorgängerpartei?
Z: Die BDP gibts jetzt auch noch, sie nimmt
aber nicht mehr an Wahlen teil. Und ja vor der HDP wars die BDP mit
dem gleichen politischem Programm.
R2: Nochmal zu den
Gräueltaten im Keller: Sie hatten Kontakt zu den Menschen, die
verbrannt wurden und hatten Kontakt zu staatlichen Institutionen. Wer
war aus Ihrer Sicht verantwortlich für das verbrechen?
Z: Meine
Kontaktpersonen sagten mir, die Verantwortlichen seien
Spezialstreitkräfte der Polizei und des Militärs.
R2: Mit wem
hatten Sie danach Kontakt?
Z: Mit der Rettungsstelle,
Polizeipräsidium, HDP-Zentrale
R2: Die Polizeistelle, die die
Verbrechen verübten?
Z: Nein. Das waren Spezialeinheiten der
Polizei.
R2: Es war also ein zentralgesteuerter Polizeieinsatz
und parallel gabs die Kommunalpolizei, mit der Sie Kontakt hatten?
Z:
die Spezialkräfte unterstehen dem Innenministerium, also
Erdoğan.
R2: Über die Studenten hat Erdoğan nie gesprochen.
Was hat Kommunalpolizei dazu gesagt?
Z: Erdoğan akzeptiert die
143 Studenten immer noch nicht. Es gibt ein Abkommen zwischen dem
Innenministerium und den Spezialeinheiten. Ich habe mehrmals mit der
Kommunalpolizei gesprochen. Sie sagten, es gibt Gefechte, sie können
keine Infos bekommen. Sie teilten mir sachen mit, die mit der
Realität nichts zu tun hatten. Z.B. widersprachen sich ihre Aussagen
mit denen der Menschen aus dem Keller. Diese sagten, es gab keine
Gefechte. Die Polizei schickte keinen Krankenwagen wegen der
angeblichen Gefechte. Die Ausgangssperre dauerte 79 Tage, kein Tag
passierte ohne einen Schuss.
StA: Bei der 1.
Ausgangssperre gab es Jugendliche mit Waffen. Was waren das für
Jugendliche?
Z: Ich kannte viele dieser Jugendlichen vom Sehen.
Sie haben als Unterstützung für Kobanê Gräben ausgehoben.
StA:
Passierte das zum Zeitpunkt der Ausgangssperre?
Z: Beider ersten
nur im Nur-Bezirk. Bei der zweiten an mehreren Orten.
StA: Waren
die Jugendlichen organisiert?
Z: Alle Toten waren Zivilisten.
260 Personen bei der zweiten Ausgangssperre. Auch bei der ersten gabs
nur tote Zivilisten. Bei der zweiten gab es 4 tote Guerillakämpfer.
Die Jugendlichen waren alle aus der Stadt. 2011 war ich im Knast. Sie
haben alleine während der Newroz-Feiern 120 Menschen ins Gefängnis
gesteckt. Viele Menschen haben sich in den Gräben versteckt, weil
sie Angst hatten, verhaftet zu werden.
StA: Von wem hatten die
Jugendlichen die Waffen?
Z: In Cizre ist es nicht schwierig an
Waffen zu kommen. Auch nicht an schwere Waffen, wegen der
Grenznähe.
StA: Wie lange war die Frist die Stadt zu verlassen
bei der zweiten Ausgangssperre? Gab es Versuche von Ihnen mit den
bewaffneten Personen zu reden die Stadt zu verlassen?
Z: Bei der
2. Sperre hatte ich nicht die Möglichkeit zu reden. Es gab keine
Frist.
StA: Gabs Gesprächsversuche mit den bewaffneten
Kräften?
Z: Zur Zeit der 2. Ausgangssperre hatte der Staat jede
Möglichkeit des Dialogs ausgeschlossen. Es hätte auch nichts mehr
gebracht.Vor dem Zeitpunkt, als die AKP alles dicht gemacht hatte,
waren wir Gesprächsvermittler.
StA: Es gab 2 von der
Bevölkerung gefangengenommene Soldaten. Wann war das und von wem?
Z:
Offizielle Aussagen sagen von der PKK. Aber die Grenze ist dünn. Es
gab viele Panzer in Cizre, die auf häuser geschossen haben. Wir als
HDP haben darüber über Youtube berichtet. In Cizre gab es keine
Kriegsflugzeuge, in Nusaybin ja. In Amed gab es Hubschrauber.
StA:
Gab es Widerstand gegen diese Aktionen?
Z: Am Anfang gab es
40/50 Jugendliche, die gesagt haben, dass sie die Stadt nicht
verlassen. Ich habe mit ihnen gesprochen. Sie haben gesagt, der Staat
solle sich an seine Abmachungen halten.
StA: Auf die
Jugendlichen hatte Öcalan Einfluss?
Z: Ja. Öcalan sagte, macht
die Gräben zu. Sie wurden dann zugemacht. Es gab große Spannungen
und kein Dialog. Wir konnten nichts machen.
V2: Bei
der letzten Sperre befanden sich 40 jugendliche gegenüber einer
großen Staatsmacht. Warum ist der Staat so massiv gegen einige
wenige Jugendliche vorgegangen?
Z: Als Abschreckung. Es standen
überall an den Hauswänden machtdemonstrierende Parolen wie "Wir
werden euch das Türkischsein schon zeigen"
V2: Wie war die
Situation nach der Ausgangssperre?
Z: Es gab immer noch viele
Panzer. Unsere Parteizentrale war geschlossen. Viele Menschen waren
im Knast, viele sind nach Europa und Rojava gegangen. Das was
passierte, hatte nichts mit den Gesetzen zu tun.
V2: Sind die
Geflohenen zurückgekommen?
Z: Ja. in den 90ern sind viele
Kurden in den Westen gegangen, aber jetzt sind sie da auch nicht mehr
sicher. 100.000 von 120.000 sind zurückgekehrt. Aber viele haben
ihre Häuser nicht mehr.
V2: Wann war mit ihrer Vermittlerrolle
vor der Sperre Schluss?
Z: Zeitlich mit der ersten Sperre.
V2:
Hatten die Jugendlichen eine politische Struktur?
Z: Die
politische Realität hat sie zusammengebracht. Auch all die Frauen,
die sich zusammengeschlossen haben, um zu verhindern, dass die Panzer
in die Wohngebiete reinfahren.
V2: Hatten die Menschen in Keller
noch andere Kontakte nach außen außer Sie?
Z: ich war der
einzige Kontakt. Andere HPD-Abgeordnete kamen nicht mehr in die
Region rein. Sie sind zum Teil zu Fuß gelaufen.
V2: Gabs außer
der HDP noch andere Stellen, die kontaktiert wurden?
Z: Ich
kontaktierte das EU-Parlament und den vorsitzenden Kommissar für
Menschenrechte.
---------------- Mittagspause bis 13:10
Uhr -------------------------------------
V1: Ich bin sehr
dankbar dass sie da sind Herr Faysal Sarıyıldız. Ich habe erst mal
zwei Nachfragen: Es gibt ja einen Haftbefehl gegen sie, sind sie
sonst noch irgendwelchen Drohungen ausgesetzt, z.b. vom Geheimdienst?
Ist ein Kopfgeld gegen sie ausgesetzt?
Z: Ja ich stehe unter dem
Einfluss der Lynch-Bewegung.
R1: Was heißt das?
Z: Von der
Partei (HDP) habe ich die Ansage mich auch in Deutschland nicht
alleine zu bewegen, weil aus einem geheimen Bericht hervor gehen
soll, dass einige Männer auf mich angesetzt sind.
Ich bin in
wenigen Wochen eine wichtige Person geworden, eigentlich bin ich
nicht so wichtig, aber ich wurde während vier Monaten Augenzeuge des
Krieges. Meine Partei sagt jetzt: "du bist besonders bedeutend,
weil du Augenzeuge von Cizre bist"
V1:Die erste
Ausgangssperre im September, wer hat die angekündigt?
Z:
Verbote werden in Kurdistan meistens 1-2 Std. vorher vom Gouverneur
verkündet, es ist nicht genau bekannt ab wann oder von wann bis
wann.
V1: war es diesmal auch der Gouverneur?
Z: Ja.
V1
Wieviel Zeit hatten die Menschen zwischen der Ankündigung und der
Umsetzung?
Z: Bereits vor einer Ankündigung weiß die
Bevölkerung dass es zu ner Ausgangssperre kommen wird weil [...]
jedoch weiß niemand, wann sie anfangen soll. Nachdem sie angekündigt
wird, ab der Zeit/ dem Tag, hat sie eigentlich schon längst
angefangen. Die Bevölkerung zieht sich zuhause zurück aus Angst.
In
Cizre dauerte die zweite Ausgangssperre 72 Tage. sie haben es nicht
korrekt gemacht. Weil sie Spuren der Gräuel hinterlassen hatten. Wir
haben diese dokumentiert. In Şırnak gab es nach 2 Monaten
Zerstörung, als die Bevölkerung zurückgekehrt ist, keine Beweise
mehr, alles war zerstört.
V1: was bedeutet Ausgangsperre in
Bezug auf die Versorgung? Wasser, Strom, Lebensmittel, Bäckerei,
Apotheke etc.?
Z: Wenn man den Staat fragt, sagen sie
Krankenhäuser und Apotheken seien geöffnet. Doch bei der 1.
Ausgangssperre war nur 1 Arzt im Krankenhaus, 20-30 weitere Ärzte
befanden sich in der Stadt, durften aber ihre Wohnungen nicht
verlassen. Z.B. auch mein Bruder der Arzt ist, oder mein anderer
Bruder, der eine Apotheke hat und diese nicht öffnen durfte.
Offiziell gibt es keinen Erlass dass die Gesundheitsversorgung zu
ist, aber faktisch ist sie das.
V1: Wie war es mit
Bäckereien?
Z: Die Bevölkerung ist in der Regel arm, solange
sie Mehl zuhause haben können sie selbst ihr Fladenbrot backen. Seit
20-30 Jahren gibt es in Şırnak (Provinz) Ausgangssperren, deshalb
ist es die Bevölkerung gewohnt sich selbst zu versorgen.
Auch
wenn die Bäckereien geschlossen sind können sie sich 20-30 Tage
selbst versorgen. Aber weil diesmal die Ausgangssperre mehrere Monate
andauerte, musste die Bevölkerung die Stadt verlassen.
Wenn man
den Staat fragt haben sie in Cizre einen Wagen vom roten Halbmond
hingebracht, was medial groß inszeniert wurde, dass sie da Essen
bekommen.
Der Staat versucht dadurch (durch die Medien) sein
Gesicht zu wahren, doch dahinter verbirgt sich eine
Vernichtungspolitik.
Der Staat sagt ich lasse nicht zu dass
meine Leute hingehen und die Menschen aus den Kellern raus holen.
Deswegen machten mein Bruder (der Apotheker, der Arzt war nicht mehr
vor Ort) und ich einen Vorschlag:
Wir hatten einen Rettungswagen
von der Kommune, und wir haben gesagt: Wenn ihr eure Leute nicht hin
schickt, können wir das machen.
Als mein Bruder mit einem
Freund dahin wollte, wurden sie angehalten. Es kamen Panzerwagen und
es wurde von überall geschossen - es wurde ein Kriegsszenario
geschaffen - In dem Moment kamen Journalisten von DHP und AGN aus dem
Panzer raus. Es gab eigentlich keinen Krieg aber die haben um uns
herum geschossen. Sie sagten der Rettungswagen ist da, aber die
Terroristen würden ihn nicht rein lassen...
Dieser Bruder ist
auch nach Europa gekommen, aus Angst. Er war nicht politisch, sondern
im Gesundheitswesen, aber weil ich auf einer schwarzen Liste stehe,
könnte es sein, dass er da auch drauf steht.
V1: Über die
Wasserversorgung hatten sie ja bereits gesprochen. Wie sah es mit
Strom und Handynetzen aus?
Z: Unser Haus ist in der Mitte von
Cizre, in der Nähe der Kommune. Wir hatten Strom und Wasser, weil in
diesen Bezirken wo die Sicherheitskräfte und die Kommune
untergebracht sind, es dort noch Versorgung gab.
Ab dem ersten
Tag der Ausgangssperre hatte 70% der Bevölkerung kein Strom und
Wasser mehr. Die städtische Stromversorgung und Transformatoren
wurde gezielt mit Artillerie zerstört, so dass sie auch nicht wieder
zu reparieren waren.
Doch dadurch das das Wasser aufgekocht
wurde, konnten die Menschen noch eine weile am Leben bleiben. Nach
ein paar Monaten gabs aber überhaupt kein Wasser mehr, sodass sie
die Stadt verlassen mussten. Im Zentrum gabs einige Häuser, die noch
Strom und Wasser hatten, weil da auch die Polizisten wohnten.
Markett
[?] war 100m weg, viele die dorthin gingen wurden unterwegs
getötet.
V1: was war mit Zufahrtsstraßen nach Cizre?
Z:
79 Tage wurde keine einzige Person in die Stadt gelassen. 110`000
Menschen hatten die Stadt verlassen, die die raus wollten wurden auch
festgenommen.
V1: War es Journalisten, Anwälten, Abgeordneten
möglich rein zu gehen?
Z: Co-Vorsitzende wollten kommen. Es gab
davor schon 2-3 Journalisten, alle waren unter Hausarrest. Am Ende
war jemand vom IMC mit mir. Ein Kameramann und ein Journalist. Aus
Sicherheitsgründen wohnten sie bei mir. Weil der Staat meine Arbeit
kriminalisierte haben sie alles aufgenommen.
Am Anfang wurde
z.b. behauptet wir hätten Waffen in die Stadt geliefert. Dann hatten
wir beim europäischen Menschenrechtsgerichtshof einen Antrag
gestellt dass die Menschen ins Krankenhaus gehen, der wurde bewilligt
aber doch nicht zugelassen.
Ich habe mit 20-30 Personen versucht
die Personen aus den Kellern raus zu holen. Ich bin mit den zwei
Journalisten los. 3 Personen waren verletzt. vier lebten noch, sie
haben wir mitgenommen, dann kamen wir unter Beschuss. 20 sind
verletzt worden, zwei sind gestorben.
[Kocak..] ein Kommune
Stadtrat wurde dabei getötet. Der Kameramann hat ihn versucht
verletzt aufzunehmen. Er starb, wir haben den Sarg ins Krankenhaus
gegeben, mit den Fotos. Danach wurde in den Zeitungen gesagt unser
Abgeordneter (ich) würde Terroristen retten, zwei wurden dabei
getötet. Und Abgeordnete versuchten mit dem Sarg Waffen zu
schmuggeln. Erdoğan selbst sagt, dass im Sarg Waffen in die Stadt
gebracht worden wären.
Der europäische
Menschenrechtsgerichtshof hat beschlossen die Menschen raus zu holen.
Ich versuchte selbst hin zu gehen, dabei töten sie Menschen von uns
und nennen uns danach selbst Terroristen.
Im Moment sitzen
2003 Staatsanwälte im Gefängnis der Türkei, sie gelten als
Terroristen. von 360 Abgeordneten sitzen 150 wegen Terrorismus im
Gefängnis.
Bevor ich hierher kam, traf ich zwei Freund in
Istanbul. der eine ist ein türkischer Richter, er hat mich heimlich
getroffen, er sagte sie bezeichnen uns als AKP'ler, wir setzen alles
um, es gibt kein Gericht und kein Gesetz. [...]
V1: Ich
möchte ihnen ein Video vorhalten, wo Sarıyıldız mit einer weißen
Fahne los ist um die Leute raus zu holen.
R1: von
wann?
V1: 20. Januar 2016 (ca. 2 min.)
R1: alles
klar.
----Video wird abgespielt ---
V1: ist das die
Situation, die sie gerade schilderten?
Z: JA, ich habe auch eine
weiße Fahne in der Hand und eine Nachricht zum Gouverneur geschickt.
In 150m Entfernung war das Militär, die uns sahen und trotzdem haben
sie geschossen. Damit wir die Verletzten rausholen können, habe ich
20 Menschen mitgenommen, sie schossen auf uns. In Kriegssituationen
kommt so was vor. 143 Menschen sind im Keller bei lebendigem Leib
verbrannt worden. Unsere Bevölkerung sagt, das ist der Daesh. Dass
kann kein Staat. Erdoğan's Politik steht auf zwei Beinen: Rassismus
udn Islamismus.
Wie Mussollini oder Hitler die die Gefühle der
Menschen verdrehten. Europa hatte damals auch einen großen Schmerz,
aber den richtigen Schluss daraus gezogen. Im Nahen Osten gibts die
Todesstrafe.[...]
V1: Wer hat noch überlebt?
Z: eine Frau
(sie ist auch in Europa). und noch eine Person.
Ich kann nicht
zurück, aber auch alle Augenzeugen sind im Gefängnis. Z.b. ein
religiöser Mensch, der die Leichen gewachen hatte, ist auch
festgenommen worden.
V1: wer ist das?
Z: Eine Professorin
(Gerichtsmedizinerin) sie kam nach der Ausgangssperre nach Cizre. Wir
gingen zu den Kellern und sie nahm Beispiele von den Knochen mit. In
der Zeit wurden viele Parteimitglieder festgenommen. Der Einzige der
über Cizre berichten kann bin ich. Auch für mich gibt es einen
Haftbefehl. Ich weiß nicht womit ich beschuldigt werde. Ist wohl
auch nicht so wichtig. Es sind 20 Verfahren, sie können mich jeder
Zeit festnehmen.
V1: bei der ersten Ausgangssperre waren
sie mit 5 weiteren Abgeordneten in Cizre. wer waren diese
fünf?
[liest namen vor... ich habe nicht alle mitschreiben
können:
- Ayse ... (Batman), Mahmut Tolu (Andeg), ...
Güven (Urfa), Gülsen Yildirim (Mardin), Leyla Birlik (Şırnak),
Haci Lokman ist ihr Schwager...] Die ersten drei sind noch draußen,
die anderen zwei sitzen im Gefängnis.
V1: Zur ersten
Ausgangssperre: Cemile Carda [?] wurde bereits erwähnt, ich will
ihnen etwas aus der Strafanzeige vorhalten.
R1: Die ist nicht
aktenkundig, es wäre gut sowas vorher zu wissen.
V1: Mehmet
Devlent [?] am 4. Sept. 2015 um 1Uhr morgens, nachdem er Schreie
hörte ging er raus. Er wurde von Scharfschützen angeschossen, wurde
in Innenhof gebracht, er durfte nicht ins Krankenhaus.
Z: ja,
davon bin ich Zeige gewesen.
V1: Bahatin Sevinci [?] 50 jährig
wurde am 6. Sept. 2015 in Kopf geschossen, die Nachbarn dachten er
lebt noch, zwei wollten ihn ins Krankenhaus bringen. Dabei wurde
einer erschossen, der andere Verletzt.
Z: JA das ist mir
bekannt., Ich war Abgeordneter, sein Soh war ein Freund von mir, von
einer anderen Partei (die hatte gute Beziehung zur Regierung). Z.b.
gibt es in Kurdistan nicht viele Polizisten. In Cizre ist jemand
verletzt worden, mir wurde Bescheid gegeben, sie sagten, er hat einen
Schwager der Polizist ist , auch er versuchte ihn ins Krankenhaus zu
lassen, aber es half nichts.
V1: Günjamin Ürci [?] 14-jährig
wurde am 4. Januar 2016 verletzt und in Innenhof gebracht. Die
Soldaten schossen als er ins Krankenhaus gebracht werden sollte. Alle
liefen weg, er wurde getötet.
Z: Ja er war verletzt musste ins
Krankenhaus, ich weiß nicht genau ob er zu dem Zeitpunkt noch lebte,
hätten wir einen Krankenwagen holen können, hätte er gerettet
werden können.
Ich bin auch sehr durcheinander von all
den Ereignissen. Ich habe Gutachten für die Partei erstellt und
weiss jetzt bei Namen manchmal nicht mehr wer gemeint ist. Die Namen
sagen mir zwar was, aber ich weiß nicht genau ob sie es in's
Krankenhaus geschafft haben oder nicht.
V1: Es gab eine
Delegation von Anwält*innen nach der 1. Ausgangssperre
Z: Nach
der ersten Ausgangssperre sind sie aus Deutschland nach Cizre
gekommen. Z.B. auch Cem Özdemir (Grüne) war auch dabei. Damals war
es schwer Beweise zu sammeln, es gab Militär um uns herum. Bei der 2
Ausgangssperre detaillierter als bei der ersten. Es war Tagelang
nicht möglich die Leichen weg zu bringen.
R1: Was hat das
konkret mit der Delegation zu tun?
V1: nach der ersten Sperre
kamen 300 Anwält*innen vom türkischen Anwaltsverein, haben sie
diese getroffen?
Z: Es gab sehr viele Delegationen,
Tagelang...
R1: Gab es konkret eine mit 300 Anwälten?
Z:
Ja. Cem Özdemir...
R1: Gut, aber Ozdemir ist kein Anwalt.
V1:
Ich nehme die Frage zurück.
V2: Ich möchte zur zweiten
Ausgangssperre kommen, zu den 3 Kellern. Sie reifen damals den
europäischen Menschenrechtsgerichtshof an. Die Maßnahme wurde
beschlossen. wer reif sie da an? In Wessen Namen wurde das
beschlossen?
Z: Bevor die Leichen verbrannt wurden, wurde ich
angerufen wegen verletztem Jugendlichen, dem in Fuß geschossen
wurde. Er verlor Blut und musste ins Krankenhaus.In Sozialen Medien
gab es einen Aufruf für Hüsein Taksi [?]
R1: Sorry,
verstehe nicht was die Antwort mit der Frage zu tun hat. Wissen sie
was zum Gerichtshof?
Z: In Istanbul gab es einen Anwalt der den
Menschenrechtsgerichtshof in Europa anrief (er ist auch ein Freund
aus Şırnak).
V1: okay, erst wurde der
Menschenrechtsgerichtshof angerufen, [... Serhat Altun...]?
Z.
Ja
V1: was entschied er?
Z: Wir haben ja für viele einen
Antrag gestellt. Er entschied, dass Vorsichtsmaßnahmen gestellt
werden für ins Krankenhaus. Doch Hüsein wurde nicht aus dem Keller
gelassen. Serhat Altun war bereits verstorben. Orhan Tunc ist im
dritten Keller verbrannt worden. Nur Helet Uncu [?] wurde ins
Krankenhaus gebracht. Es wurde von 10 Leuten gesprochen, es war eine
große Mühe sie ins Krankenhaus zu bringen.
V1: Wer ist
verantwortlich, dass der Beschluss des Menschenrechtsgerichtshofs
nicht beachtet wurde?
R1: Bis jetzt haben wir noch nichts von
Antrag gehört.
V1: Hat der EU-Menschenrechtsgerichtshof ihre
Anträge bejaht?
Z: Ja, manche davon hat er akzeptiert. In der
Anfangsphase hatten wir uns wieder mit dem Menschenrechtsgerichtshof
in Verbindung gesetzt. Bei der zweiten Sperre wollten wir sie raus
kriegen, aber da es sich um sog. Terroristen handelte, konnten wir
sie nicht raus kriegen.
Es gibt keine Verbindung zwischen
Realität und Absicht.
V1: Ich will nochmal mehr über die
Keller wissen. zum ersten Keller: Wie viele waren Eingeschlossen? Und
sind alle gestorben?
Z: 31 waren drin. 25 Namen haben wir
veröffentlicht. 20 von denen kannte ich persönlich, sie waren
teilweise von städtischen Institutionen.
R1: Die Frage
war konkret gestellt und kann kurz beantwortet werden, da müßen wir
nicht 5min zuhören.
V1: [Liest eine Liste mit Namen
vor...]
Z: Die sind alle vom zweiten Keller.
V1:
Abdullah Gün [?] 16jährig war der, der mit weißer Fahne aus dem
Keller kam. Ist er Ihnen bekannt? Woher?
Z: Ja, er war im
zweiten Keller. Mehmet Tunc [?] hatte mit mir Kontakt aufgenommen,
ein Rettungswagen sollte kommen. Ich sagte, jemand vom Keller soll
raus kommen, der Rettungswagen wird kommen. Abdullah haben sie mit
weißer Fahne raus geschickt. Als er raus kam wurde er
erschossen.
Ich war schuld, dass er so früh getötet wurde -
noch schlimmer, als die anderen.
Vom 31 Personen im Keller ist
keiner raus Gekommen, nur Abdulla Gün, er sollte beweisen, wo sie
sind und raus kommen, dabei wurde er getötet.
V1: Derya Koç:
Sie hatten den Kontakt zu TV vermittelt, und sie hatten telefonischen
Kontakt mit ihr. Ich möchte ihnen ein Video vorhalten, ob es die
Situation ist, die sie bereits geschildert haben.
[Video
von IMC Nachrichten wird gesichtet. Derya Koç berichtet vom Keller
in dem 23 unten verbrannt wurden und 25 Verletzte im zweiten Stock
eingeschlossen sind.]
R1: [unterbricht die Widergabe des
Videos, weil es keine deutsche Übersetzung gibt. V1 soll es mündlich
vortragen, was darin zu sehen ist...]
V1: Derya Koç schildert
die Situation am Telefon für IMC-Nachrichten. Es gibt viele
Verletzte und dass sie nicht raus kommen können. Dann sagt Koç:
"Ich muss jetzt aufhören." Das Gespräch bricht ab. Ist
ihnen die Situation bekannt?
Z: ja, Wir wussten schon Bescheid,
Derya Koç sollte dem Fernsehsender IMC Bescheid sagen, ich konnte
nicht mehr tun, ich dachte das Beste ist, ihre Stimme in die Welt zu
tragen.
V1: Was hat sie ihnen gesagt?
Z: "Unsere
Freunde sind mit Benzin begossen. die 20 Verletzten wurden alle
verbrannt. Es siehr so aus, als würden sie uns, die nicht Verletzten
in 1-2 Tagen auch verbrennen." Nach diesem Gespräch haben wir
nichts mehr von ihr gehört. Aber vier Wochen wurde ihre Leiche der
Familie übergeben. Das ist alles.
V1 Ich will ihnen Fotos
vorhalten von Leichenteilen.
R1: Was sind das für Fotos? was
ist darauf abgebildet?. [zu V1] Vielleicht können sie kurz sagen was
für Fotos das sind.
V1: Es sind Fotos die der Zeuge Sarıyıldız
teilweise selbst gemacht hat und teilweise stammen sie von den Handys
der Eingeschloßenen selbst. Er hatte die Fotos damals auch
getwittert.
[die Fotos werden vorne am Richter*innenpult
in Augenschein genommen. R1 beschriebt das 1 Bild]
R1: es
scheinen zwei menschliche Beine zu sein, das eine ist
verbunden.
...
V1: Jetzt würde ich ihnen gerne zwei
Bekundungen vorhalten. Es handelt sich um einen Ausschnitt eines
Interviews mit Tamer Doğan [?] ein [CHP] Anwalt der auf einer der
Delegationen nach der 1 Ausgangssperre Cizre besuchte. Vom 12.
September 2015: "Wie waren deine Eindrücke der Stadt?"
"Es gab Aufteilung. Wir waren im Stadtteil Nur, da gab es
heftige Gefechte. In Cudî kamen sie nicht rein, Alle Wände hatten
Einschusslöcher von Kugeln, Raketen und Granaten.
Es wurde auch gezielt auf Strommasten geschossen.."
[An
Z] Hatten sie auch diesen Eindruck nach der ersten Ausgangssperre im
September?
Z: Ja, jede dieser Delegationen erstellten ein
Gutachten.
V1: Sind das auch ihre Erinnerungen z.b. an die
Häuser?
Z: 3-4 Straßen in Nur wurden zerstört. Andere Bezirke
nicht. Nach der ersten Ausgangssperre kamen die meisten Toten aus
Nur. Diese drei Keller waren in Cudî. In dieser Zeit sind die
Soldaten noch nicht dorthin gegangen, ihr Aufgebot war noch nicht so
groß. Zum Schluss aber waren die Soldaten überall, in allen
Vierteln.
V1: Ein Bericht des türkischen
Menschenrechtsvereins IHD schreibt was auf den Wänden für Sprüche
hinterlassen wurden:
"Ihr werdet die Macht zu spüren
bekommen!"
"Dein Name habe ich
eingeschrieben, meine Liebste, auch wenn Blut fließt, der Islam wird
siegen."
"Wenn du Türke bist, sei stolz.
Ansonsten gehorche!"
"Der Wolf hat Blut
geschmeckt, fürchtet euch!"
"Wir werden euch
alle umbringen, ihr seid alles Armenier."
Z:
Auch jetzt gibts noch solche Sprüche.
V1: Erinnern Sie sich
auch an andere Sprüche?
Z: Ja die waren da alle, viel mehr
noch.
V1: Ich möchte gerne noch ein Video einbringen, zu
den Mülldeponien am Tigris, von BBC, nach Ende der Ausgangssperre,
wo Leichenteile gefunden wurden.
R1: Von wann?
V1: eine
Sekunde... Vom 23. Mai 2016
[Video wird abgespielt...]
Z:
Da ist der 1 Keller zu sehen.
V1: Sieht Cizre so nach der
Ausgangssperre aus?
Z: Ja, sie haben aber sauber gemacht.
V1:
War im Video Cizre nach der Ausgangssperre zu sehen?
Z: Ja.
V1:
Zu Hacı Lokman Birlik möchte ich auch ein Video zeigen. Der Fall
ist ihnen bekannt?
R1: Was ist das für ein Video? [belehrt V1,
dass es gut wäre die Einbringung von neuen Beweismitteln vorher zu
kennen und in Augenschein nehmen zu können, da Videos ja auch
gefälscht sein könnten...]
V1: Das hat dies Sondereinheit in
Şırnak selbst gefilmt und veröffentlicht. Hacı Lokman wurde erst
mit 28 Kugeln erschossen und dann an Jeep gehängt und durch die
Stadt gefahren. Sie haben das auf Youtube selbst veröffentlicht.
R1:
Es kann ja jeder Sachen bei Youtube hochladen.
[das
youtube-video wird gezeigt...]
V1: Können sie sagen, was
sie über den Fall wissen?
Z: Hacı Lokman war ein junger Mann,
22-23. Jährig, er war ein Freund von mir. Leyla Birlik, ist
Abgeordnete aus Şırnak, sie ist die Schwägerin von Hacı Lokman
Birlik gewesen. Als er getötet wurde war ich in Cizre. Als er
erschossen wurde hat ihn die Polizei von seinem Haus bis zum Karakol
[Polizeistation] 300m auf diese Art am Auto hinterher gezogen.
Es
gibt andere Aufnahmen (heimlich) die das gleiche zeigen. Manche
sagen, er war noch nicht ganz tot. aber ob tot oder nicht, es ist
unmenschlich. Ich bin zur Beerdigung gegangen.
V2: Warum wurde
er ermordet?
Z: Es gibt die Behauptung er hatte eine Waffe in
der Hand. Aber ich kenne ihn als Kulturschaffender, es gibt einen
Film mit Hacı als Schauspieler. Der Film wurde vom Staat
unterstützt. Deswegen glaube ich, die Waffe wurde ihm im nach hinein
in die Hand gegeben.
StA: Wann war das?
Z: vor den beiden
Ausgangssperren. in Şırnak.
V1: Wann war es?
Z: Kann mich
nicht genau an die Tage erinnern, ich bin noch traumatisiert vor ca.
1 1/2 Jahren.
V1: Okay, ich will es ihnen vorhalten: Kann es
sein, dass es am 4. Oktober 2015 war und die Beerdigung am 10
Oktober?
Z; Ja das kann gut sein.
V1: Waren sie auch in
Şırnak nach der dortigen Ausgangssperre?
Z: Als die
Ausgangssperre anfing war ich dort, kam aber nicht rein.
V2:
Sie sagen es hatte ein bestimmtes System, wieso manche Städte so
belagert wurden, mit Ausgangssperren verhängt waren und andere
nicht. Meines Wissens gab es auch andere typisch kurdische Städte in
denen es nicht so war. Gibt es einen bestimmten Hintergrund für
Cizre?
Z: Die Mehrheit der kurdischen Städte wurde zerstört.
Bei den Meisten davon gingen 85-90% der Stimmen an die HDP, die
Bevölkerung hatte auch schon früher den Staat kritisiert, sie sind
sehr politisch. Wenn sie einmal anfangen, werden sie alles
zerstören.
V2: Zentral war also Kurdistan zu assimilieren? Ich
habe auch ne Aufstellung gesehen, wonach Städte von Kurd*innen die
mehrheitlich AKP wählen, nicht bombardiert wurden, ist das
richtig?
Z: Ja, das ist richtig. Es wurden nur die zerstört wo
die Mehrheit ihre Stimmen der HDP geben. Auch Städte die dem System
Schwierigkeiten brachten. Zum Beispiel auch, weil es in den Städten
während der Zerstörung von Kobanê Widerstand gab. Insgesamt sind
es ca. 10 Städte.
V1: Ich habe noch weitere Fotos von Cizre mit
einer Stadtkarte. Es geht darum in welchen Stadtteilen danach
Enteignungen stattfanden.
[vorne werden Bilder
angeschaut...]
V1: ein letzter Vorhalt aus Amnesty
Bericht. Es geht um Nihad Kasana [?] Er wurde am 15. Januar
erschossen.
Z: Als Erdoğan berichtete, dass Gräber
zugeschlossen wurde. Am gleichen Tag wurde der Junge getötet. Er war
12 Jährig. Er wurde mit merkwürdigen Kugeln im Kopf getötet.
Danach ist raus gekommen, das ein Polizist mit Waffe in der Hand den
Jugendlichen tötete. Nach einiger Zeit gab es auch Probleme in den
Polizeieinheiten. Die Fethullah-Bewegung wollte einen Putsch machen.
Die wollten gegen den aktuellen Staat etwas machen [...]
V1:
So viel zu Cizre. Vielen Dank.
Zur Situation der Partei HDP:
Kurz vor der ersten Wahl im Juni 2015 bis Herbst. Erst gab es den
Anschlag auf die Abschlusskundgebung der HDP in Diyarbakir.
Z:
Wir sind noch in Zeiten vom Friedensprozess in die Wahlen
eingestiegen. Wir bekamen 13%. Der AKP wurde das erste Mal die
alleinige Macht entzogen. CHP und MHP bekamen die gleichen
Stimmen.
Nach der AKP hatten wir das beste Ergebnis erzielt. Am
Anfang gab es in Suruç den Anschlag, wo sich IS in die Luft
sprengte. Es gab 33 Tote. Danach hat die die Familien des Attentäters
gesagt, wir haben dem Staat schon mitgeteilt, dass unser Sohn beim
Daesh ist und was plant... Am Anfang war es dem Staat egal.
Nach
der Bombe in Ankara mit 102 Toten sagte AKP: wenn wir nicht an der
Macht sind, wird es ein größeres Chaos geben und jeden Tag Tote.
2
Polizisten wurden getötet, der Staat wollte verhindern das wir (HDP)
die Sachlage klären und sie begannen in Kurdistan zu bombardieren
und haben Berge in Brand gesteckt. In 10 Tagen wurden 1500 Menschen
verhaftet. In dieser Zeit hatte die AKP wieder die Macht. Erdoğan
brauchte den Krieg, um über Krieg wieder an die Macht zu
kommen.
V1: Vom 6-8 September 2015 wurden mehr als 100 HDP
Einrichtungen angegriffen und in Brand gesetzt.
Z: in dieser
Periode wurden fast alle Einrichtungen inm Westen in Brand gesetzt.
Wir sagen, wir sind nicht nur die Partei der Kurden sondern eine
demokratische Partei, die sich dafür einsetzt, dass alle Religionen
und Völker gemeinsam in Frieden miteinander leben können. Dadurch
haben wir uns glaubwürdig gemacht und viele Stimmen von Türken
bekommen. Die Polizei war schon vor der Brandstifutung dabei und
haben mitgemacht. Ein Polizist versuchte unsere Fahnen abzunehmen und
die eigene aufzuhängen, wobei er runter fiel und starb.
V1:
Was wissen sie über die Situation nicht assimilierter Kurd*innen im
Westen der Türkei?
Z: In den 90er Jahren wurden kurdische
Dörfer in Brand gesteckt , viele sind in die türkischen Metropolen
gegangen. Alleine in Istanbul leben ca. 4 Mio. Kurden. Seit 15 Jahren
haben sie sich nicht assimiliert, viele versuchen sich zu schützen
und bleiben ruhig. Z.B. wird in Istanbul bei kurdischen Hochzeiten
nicht auf kurdisch gesungen. Es wird auch nicht kurdisch
gesprochen.
Nach dem ersten Wahlsieg im Juni war ich in [...] in
der Nähe von Ankara. Da haben wir beim ersten Wahlgang 37Stimmen
bekommen. Ich hab gefragt, warum nur so wenige Stimmen? Einer hat
gesagt, in unserem Viertel bin ich der einzige, der seine Stimme der
HDP gab, und so ist klar wer es war. Das sei nicht gut, da sich viele
nicht wagen, ihre Stimme der HDP zu geben.
V1: gut vielen
Dank.
V2: Ich hab noch einen Aspekt der nicht zur Sprache kam.
Sie haben zwar selbst an keiner der Friedensverhandlungen selbst
teilgenommen, aber sie kennen Menschen die das waren. Können sie
berichten, wie die Entwicklung zwischen 2013-2015 waren? Denn ich
glaube, dass 2 tote Polizisten nicht der alleinige Grund
für
den Krieg und der Abbruch der Friedensgespräche sein können.
Z:
Nach meiner Ansicht, nahmen sie das zumindest als Anlass.
V2:
Wie weit war der Stand?
Z: Alle die an den Verhandlungen
beteiligt waren - Öcalan wird als eigener Führer gesehen - waren
zwischen Apo und dem Staat. Der Staat hat damals diese Möglichkeit
geschaffen, dass Friedensgespräche stattfinden konnten ohne das
dadurch [...] Es gab 3 Jahre lang einen Waffenstillstand. Alle
wollten es als Erfolg Erdoğans und der AKP darstellen. Auch viele
Kurden fingen an Erdoğan positiv zu sehen. Dann kam es zu
gesellschaftlicher Veränderung als die kurdischen Gebiete in Syrien
durcheinander kamen. Erdoğan sagte, die könnten dort was erlangen,
was eine Gefahr für uns als Nachbarland darstellt. Deswegen
unterstützte die AKP/Erdoğan den Daesh.
R1: Was berichtet der
Zeuge hier aus eigenem Erlebten?
Z: Wir hatten viele Bemühungen,
aber Staat hat beschlossen mit den Friedensverhandlungen zu brechen.
Ich selbst war keiner der
Vermittler.
---------------15:50------------------
Freiheit für alle Gefangenen!!!
Biji Berxwedana Zindana!!!
Die nächste Termine im Prozess gegen Ali Hıdır Doğan sind:
24.1.2017 9:00 Saal 701 Turmstraße 91 Berlin/Moabit
7.2.2017 9:00 Saal 701 Turmstraße 91 Berlin/Moabit
Danke
Danke für die Verschriftlichung der Zeugenaussage.
Zu den Hintergründen:
Ali Hıdır Doğan (51) wurde aufgrund eines Haftbefehls des Kammergerichts Berlin am 25. April 2016 in Bremen festgenommen. Er wird beschuldigt, von Juli 2014 bis Ende Juli 2015 als Gebietsleiter Berlin tätig gewesen zu sein. In dieser Funktion habe er Veranstaltungen und Treffen organisiert, an Demonstrationen teil- genommen oder Spendensammlungen initiiert. Anfang Mai ist Ali H. Doğan in die JVA Berlin-Moabit verlegt worden.