U-haft, Deals und Soligruppen: Vorbereitung ist mehr als Handschuhe und ein Tuch …

Für alles gibt es eine Lösung, JVA Weiterstadt 1993
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Dieser Text ist als Antwort auf einen Beitrag der Soligruppe Aaron & Balu mit dem Titel Einige Gedanken zu Deals und offensiven Strategien gegen Repression“ zu verstehen. Die dort vorgestellten Analysen sind absolut richtig, im Alltagsbetrieb einer linksradikalen Szene jedoch nicht gegenwärtig. Das könnte an ihrem geringen Organisierungsgrad liegen, der u.a. auch auf die kurze Verweildauer im Widerstandsmilieu zurückzuführen ist. Wäre es anders, wüssten mehr Menschen das ein Deal, neben einer etwas schnelleren Haftverschonung, in der jüngeren Vergangenheit kaum eine geringere Strafe eingebracht hat.

 

Die letzten Jahrzehnte haben das im Bereich des Vorwurfs „Schwerer Landfriedensbruch“ bewiesen. Der Strafrahmen vor dem Gericht in Moabit orientiert sich an der politischen Konjunktur der um ihre Kompetenz bezüglich innerer Sicherheit besorgten Landesregierung. Knallt es oft und heftig auf den Straßen, steigen die Strafen an, Haftbefehle werden schneller ausgestellt. Im Zusammenhang mit dem 1. Mai war das gut zu beobachten. Und es hat auch gewirkt, gemessen an der Anzahl immer noch aktiver ehemaliger Gefangener aus den Hunderten 1. Mai Prozessen.

 

Genau so verhält es sich mit den Autobrandstiftungen, die zu einer Belastung des Senats wurden. Hier ein kurzer Rückblick auf Deals, die bestimmt nicht mehr vielen Leuten heute bekannt sind.

Im Prozess gegen Det gegen Tobias und auch gegen Thomas wurden Strafen verhängt, die trotz eines Deals ziemlich hoch waren. In allen Fällen wären die Urteile ohne Geständnis kaum härter gewesen. Wenigstens von der Soligruppe für Thomas ist eine Auswertung erhalten geblieben, die das Problem sehr differenziert betrachtet.

 

Eine These dazu könnte sein, dass sich Leute nicht über den Grad der Konfrontation mit dem Feind bewusst sind oder das sie vereinzelt sind. Oder beides, was für die Szene symptomatisch ist.

Die AnwältInnen sollten es besser wissen, aber auch das ist kein Geheimnis, einige kämpfen während andere eher den Kompromiss suchen. Demnach wäre eine Wissensvermittlung in der risikobereiten Szene notwendig, die ein realistisches Verhältnis zum Knast ermöglicht und auch AnwältInnen meidet, die konfliktscheue Prozessstrategien prinzipiell bevorzugen. Nicht auf einen Deal ging in der heißen Phase der Autobrände Alex ein, die ebenfalls fünf Monate in Untersuchungshaft saß. Sie wurde freigesprochen nach mehreren hart geführten Prozessen, obwohl es anfangs nicht gut für sie aussah, hatten doch Bullen behauptet sie auf frischer Tat beobachtet zu haben.

 

Um auf einige Fragen im o.g. Text einzugehen wie, „Wird ihnen dadurch auf perfide Art und Weise eine Verantwortung gegenüber den Strukturen aufgebürdet, die sie nie freiwillig auf sich genommen hätten?“ - Nein, egal ob du ein Auto anzündest, auf Demos Steine wirfst oder dich vielleicht nur in der entsprechen Situation oder Szene bewegst, du musst für alles die Verantwortung (er)tragen können. Wenn du an kollektive Lösungen glaubst. Glaubst du an individuelle Lösungen und hast kein Vertrauen in dein Umfeld, dann stehst du eben wirklich alleine da. Auch der Prozess um die Breite Straße in Hamburg hat genau diese Defizite aufgezeigt. Die dort erfolgten Einlassungen (Zur Einlassung eines Beschuldigten im Breite Straßen Verfahren) werden sicher die Justiz in ihrer Strategie der Angstverbreitung und Zermürbung bestätigt haben.

 

Die Vorbereitung von unfriedlichen Demonstrationen oder anderen militanten Projekten sollte deshalb einher gehen mit der Schaffung eines Bewusstseins für Repression und der Kollektivierung von Problemen und deren Lösung. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Kleingruppe kann stärker sein als die Verlockung auf einen Deal vor Gericht einzugehen. Dann stellt sich auch nicht die Frage ob „die Soligruppe zum Beispiel „mit offenen Karten“ spielen und Inhaftierten sagen soll, dass sie will, dass diese ohne Geständnis daraus kommen?“, denn diese Entscheidungen würden dann gemeinsam getroffen, was ja im zu Grunde liegenden Fall von Aaron offenbar nicht so war. Natürlich gibt es Situationen, in denen ein Deal, der niemanden belastet und ohne Distanzierung läuft, juristisch gerechtfertigt ist und der politische Schaden, der ihm immanent ist in Kauf zu nehmen ist.

 

Untersuchungshaft als Druckmittel in politischen Prozessen ist nicht neu, Gruppen die organisatorisch und theoretisch viel weiter entwickelt waren als die heutigen Autonomen, mussten sich damit auseinandersetzen – zum Beispiel im RZ-Prozess. Auch in diesem Verfahren gab es Deals und Einlassungen, von dem damaligen Soli-Büro bekannt gemacht (Die Stille nach dem Deal) und von Klaus Viehmann nicht ohne Sarkasmus kommentiert (Kritische Anmerkungen zu den Einlassungen im Berliner RZ-Prozess).

 

Beide Texte gehen den gleichen Fragen nach, vor denen wir heute stehen, sind aber mit großer Wahrscheinlichkeit für Angeklagte und Soligruppen der letzten Jahre keine Entscheidungshilfe gewesen. Kollektive Handlungsstrategien zu entwickeln, wie es die Soligruppe Aaron & Balu vorschlägt, setzt das Wissen über vergangene militante Initiativen und deren staatliche Verfolgung sowie der juristischen und politischen Anti-Repressionsarbeit voraus. Nur das Vermitteln der eigenen Geschichte auch in diesem Bereich kann uns davon freisprechen, mit Mobilisierungen unvorbereitete Menschen zu verheizen und nur der ständige Diskurs über den Umgang mit Repression würde uns legitimieren, zum Beispiel dem EA nahe zu legen, nicht mehr mit konfliktscheuen AnwältInnen zusammenzuarbeiten.

 

Jetzt, im Vorfeld des G20 Treffens in Hamburg, wird wieder die Werbetrommel gerührt für radikale Widerstandsformen. Verlaufen diese Mobilisierungen erfolgreich und sollte es ordentlich knallen im Juli, werden mit Sicherheit Menschen der Justiz in die Hände fallen. Darum müssen wir dafür sorgen, dass nicht Leute unvorbereitet diesen Aufrufen folgen, so wie ein gewisser Fede aus Mailand im März 2015 nach Frankfurt gefahren ist, um sich später vor Gericht nicht nur auf einen Deal einzulassen sondern auch von allem zu distanzieren (Heiligt der Zweck die Mittel? Fede nach 11 Wochen U-Haft frei).

 

Gleichzeitig mit der Entwicklung von Militanz sollten Antireppressions-Gruppen das Wissen über unsere Gegner verbreiten und den Diskurs über den Umgang mit Repression in ständigem Fluss halten, damit nicht bei Verhaftungen alles wieder von vorne anfängt.

 

aus dem Umfeld der Tag X Mobilisierungen

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Vorweg: wer mit Aussagen vor Gericht Genoss_innen gefährdet (und oft ist es so, weil mensch Informationen an "den Feind" weitergibt) handelt auf jeden Fall unsolidarisch.

Aber ansonsten: was soll (wenn damit keine Information weitergegeben wird) gegen eine demütige Geste und etwas Reue vor Gericht sprechen, wenn sich davon tatsächlich ein geringerer Schuldspruch zu erhoffen ist. Richter_innen sind Menschen in einer Machtposition. Und auch durch kämpferische Worte ändert sich nichts daran. Denn was bringt der Authenzitätsfetisch vom unbeugsamen (und anscheinend auch ehrlichen) Rebellen, wenn es nur diese eine Gesellschaft und ihre Machtstrukturen gibt? In einer Situation mit einer marginalisierten radikalen Linken nicht mit einer großen Bewegung ähnlich der einer Parallelgesellschaft? Eine personenschwache Bewegung hätte nichts davon, wenn viele ihrer Leute im Knast sind. Und danach nicht mehr so aktiv sein können. Denn natürlich haben viele derer die einmal im Knast waren nicht mehr die gleichen Möglichkeiten. Einmal im Knast gehts einfach schneller wieder hinein. Und letztendlich wäre da auch Empathie mit der_dem davon (immer individuell) betroffenen Genoss_in angebracht. Knast heißt oft genug: 23/7 eingesperrt sein.

1. Diejenigen, die Deals eingehen, kommen nicht automatisch besser (=geringere Strafe) davon.

 

2. Deals wirken einem kollektivem Verhalten entgegen.

 

3. Im Knast hört das Leben nicht auf. Bei solidarischem und aktivem Umfeld ist es im Knast möglich, zu leben und Widerstand zu leisten.

wenn du "eine demütige Geste und etwas Reue" vor gericht zeigen willst, mach es. aber wunder dich nicht wenn danach dein umfeld nichts mehr mit dir zu tun haben will. es geht vielen eher darum einen einklang zwischen worten und taten zu finden. und nicht darum heute so zu reden aber morgen anders zu handeln. der text scheint aus einer ecke zu kommen wo die leute nicht fähnchen im wind sein wollen.

so etwas wie einen aufrichtigen Berufskriminellen mit Wertvorstellungen gibt es heute nicht mehr, maximalst bei Oceans Eleven. Es ist leider heutzutage sehr üblich besonders bei Btmg sachen dass Leute labern und danach trotzdem wieder aufgenommen werden.

Ein Einklang zwischen Worten udn Taten ist ja gerade für viele sich nicht vom Gericht als Linker einkategorisieren zu lassen sondern als reuevolles Individuum. 

Was bringt es denn im Knast zu sein? Bisher kenn ich es nur so dass sich über die Personen lustig gemacht wurde welche so blöd waren sich erwischen zu lassen, besonders wenn es ihnen noch nicht mal einen persönlichen Vorteil gibt.

 

Oder anders, wenn man Ehrlichkeit wirklich als oberste Maxime ansetzt, müsste man doch gleich zu den Bullen gehen und sagen dass man ein Staatsfeind ist oder? :)

 

Es bringt einfach niemanden was wenn man vorm Gericht nen harten macht, sinnlose Gesten wie Reue zeigen, beweisen dem Gericht eher dass es ein Einzelfall war und die Ermittlungen werden schneller fallen gelassen

Die Technik hat die Ethik getötet. Weil, wenn vor irgendeine Frage gestellt, fragt sich das menschliche Wesen nicht mehr, was richtig ist, sondern was funktioniert. Es fragt sich das nicht mehr länger, weil heute, in unserer Welt, die in all ihren Aspekten von der Technik beherrscht wird, es als gegeben angesehen wird, dass das, was richtig ist, das ist, was funktioniert. Ideen werden zu Instrumenten, nicht um ihre Bedeutung abzuschätzen, sondern ihre Möglichkeiten zur Benutzung, ihre Funktionalität, ihre Effizienz. Das alles ist, wie vorher schon bemerkt, sicherlich eine der Konsequenzen der Einmischung der Technik in jeden Bereich der menschlichen Existenz. Aber es würde ein Fehler sein, zu denken, dass dieses Phänomen erst in den letzten paar Jahrzehnten aufkam – durch den Befall mit Computern und Handys, Plasma-Bildschirmen und dreidimensionalen Bildern.

Was anderes als Technik ist die Politik, angewandt auf das transformative Handeln der sozialen Beziehungen? Denken wir wirklich, dass die politische Last nur auf die herrschende Klasse fällt, Männer und Frauen, nach Macht dürstend, und nicht auf jeden, der sich zu Kompromissen mit der Ethik herablässt? Um diese tröstlichen Gewissheiten zu überdenken, reicht es, an den Unterschied zu denken, der – innerhalb der anarchistischen Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, einer gleichen Situation gegenüber – zwischen dem Verhalten eines Errico Malatesta und demjenigen eines Luigi Galleani bestand. Ersterer war der bekannteste Exponent der sogenannten anarchistischen Partei; während der Zweite der glühendste Verfechter einer informellen und autonomen Anarchie war.

Während der Brotunruhen 1 898, welche dann zum Gemetzel von Milan – durch die Hände des Generals Bava Beccaris – führten, wurde Malatesta im Januar verhaftet und wurde Ende April mit anderen Kumpanen angeklagt. Bei dieser Gelegenheit war seine Selbstverteidigung – wie er es schon während Prozessen in Benevento 1878 und in Rom 1884 gemacht hat, und wie er es wieder 1921 in Milan tun wird – besonnen, nicht provokativ, dazu neigend, den „wahren Gedanken“ der Anarchisten klar zu machen, aber auch darauf zielend, für sich und seine mitangeklagten Kumpanen eine möglichst kurze Strafe herauszuschlagen. Also begann er damit, sein Vertrauen in die Gerechtigkeit des Gerichts darzulegen, fuhr anschließend damit fort, Stellung zu beziehen zu den Vorwürfen der „Chef der Anarchisten“ zu sein, die Zerstörung der Familie und der Gesellschaft zu erstreben und zu Brotunruhen aufgehetzt zu haben.

In diesem Zusammenhang, da im Moment, in dem er sprach – der 28. April 1898 –, die Revolte sich schon in ganz Italien verbreitet hatte, machte Malatesta klar, dass er während seinen Reden präzisierte, dass „die soziale Frage nicht durch das Plündern einer Villa oder das Stehlen eines Ofens gelöst werden kann... das Brot ist nicht teuer, weil der Bürgermeister ein Schuft ist, nicht weil Rudini [der Premierminister zu dieser Zeit] ein Verbrecher ist, aber wegen einem ganzen Komplex von sozialen Gründen, die nicht anders gelöst werden können als durch die Organisation der Massen“.

Dann, um noch ein freundlicheres und erbaulicheres Licht auf sich zu werfen, dankte er der Staatsanwaltschaft: „Die Staatsanwaltschaft macht mir eine sehr große Ehre, eine Ehre, die, wenn sie ernsthaft gegeben worden wäre, genug Kompensation wäre für die drei Jahre Gefängnis, die ihr mir geben wollt. Sie sagte, dass seit ich nach Ancona gegangen bin, die Morde und Überfälle abgenommen haben und dass keine Bomben mehr geworfen wurden. Aber wenn das wahr ist, dann bitte, sperrt mich ein, ihr werdet mich mit einem Heiligenschein der Ehre ins Gefängnis schicken“.

Es war nicht nur das, was Malatesta seinen „Heiligenschein der Ehre“ verschaffte, der Anarchisten auch gegen den Vorwurf der Anstachelung zum Hass verteidigte: „Fragt die Mütter, die zu uns kommen würden, um uns zu danken, dass, als ihre Söhne Anarchisten wurden und aufhörten zu saufen, liebevollere Söhne und fleißigere Arbeiter wurden.“ Was diese Anarchisten aber für gute Leute sind! Wo sie ankommen, verringern sich Überfälle und Attentate, die liederlichen Kinder bekommen gerade Köpfe, zügeln ihre Exzesse, sie ehren Mutter und Vater und gehen zur Arbeit! Möglicherweise überzeugt von diesen Worten, entschuldigte sich das Gericht. Die Strafe fiel außergewöhnlich mild aus. Malatesta kam mit sieben Monaten Gefangenschaft davon, teilweise schon abgesessen, die anderen Angeklagten mit sechs Monaten und einem Freispruch.

Bloß vier Jahre zuvor in Genua, 1894, fand der große Prozess mit der Anklage der „kriminellen Vereinigung“ gegen Luigi Galleani, Eugenio Pellaco und 33 andere statt. Die Verhaftungen wurden zwischen Dezember 1893 und Anfang Januar 1894 gemacht und das Gerichtsverfahren begann im Mai in einer sehr angespannten Atmosphäre. Galleani, zum „Kopf“ der Bande deklariert und zuerst vernommen, erklärte stolz, ein revolutionärer Anarchist zu sein, nicht an legale Mittel zu glauben und immer Propaganda für seine Ideen gemacht zu haben.

Galleani, ein Ex-Justudent, weshalb er mit der Gerichtsprozedur vertraut und außerdem ein großer öffentlicher Redner war, war fähig, die Diskussion zu dominieren, seinen Anarchismus bekennend („Ich bin für nichts anderes hier, als um meine eigene Idee zu verteidigen, eine Idee, die mich hier als Verbrecher [malfattore] auf die Anklagebank gebracht hat, und ich kümmere mich wenig darum, welche Strafe ihr bürgerlichen Richter über mich und meine Kompagnons verhängen werdet“) und den Hauptzeugen, den Ex-Polizeipräsidenten von Genua, in Schwierigkeiten bringend, bis zum Punkt, dass er mehrmals vom vorsitzenden Richter und vom Staatsanwalt zum Schweigen gebracht werden musste. Schlussendlich, nachdem man ihn mehrmals zum Schweigen bringen wollte, erhob Galleani seine Stimme: „Ich kann nicht anders, als zu beobachten, dass ich das alles erwartet habe: ich wusste, dass ihr in eurer Rolle als bürgerliche Richter, nur mehr oder weniger das tun könnt, was ihr tut; ich habe erwartet, dass der Staatsanwalt Angst vor der Wahrheit haben würde, dass er mir zu reden verbieten würde, weil er wusste, dass ich damit enden würde, zu sagen, dass hier, wo ich sitze, er mit den Richtern hätte sitzen müssen, weil die heure Gesellschaft den Namen einer Gesellschaft von Verbrechern wirklich verdient, von der ihr – bewusst oder nicht – ein Teil seid“. Das anwesende Publikum explodierte in einen Beifallssturm und der vorsitzende Richter ließ den Saal räumen.

Galleani, von Pietro Gori verteidigt, wurde zu 3 Jahren Gefangenschaft verurteilt, durch erschwerende Umstände ein Sechstel in Isolation plus 2 Jahre verstärkte Überwachung, Pellaco zu 16 Monaten und die anderen zu kleineren Strafen. Nach drei Jahren Haft wurde Galleani mit der maximalen Dauer unter Hausarrest gestellt: fünf Jahre. Ein anderer Stil, eine andere Art, die Rechnung zu bezahlen.

Malatestas Erklärung vor Gericht funktionierte. Aber war sie richtig? Die von Galleani war richtig, aber funktionierte sie? War Malatesta weise? War Galleani töricht? War Malatesta ein Feigling? War Galleani mutig? Weder das eine noch das andere. Schlussendlich machten beide im Gerichtssaal das, was sie auch draußen taten. Der eine endete darin, seine Ideen den taktischen Notwendigkeiten des Moments unterzuordnen, wie es ein besonnener Politiker tun würde. Der andere drückte seine eigenen Gedanken offen aus, so wie diejenigen, die immun für jegliche politische Kalkulation sind. Politik oder Ethik?

Wir sind sicher, dass Errico Malatesta damit zufrieden war, wie die Sache ausging. Aber wir sind genauso sicher, dass auch Luigi Galleani seine Entscheidung nicht bereute.

Es ist keine strategische Entscheidung, um die es hier geht, sondern eine Lebensentscheidung.

 

http://anarchistischebibliothek.org/library/finimondo-politik-oder-ethik

Ein schon etwas älterer Beitrag der sich mit der Thematik beschäftigt:

 

„Hört auf zu heulen, es hat gerade erst angefangen...“ -Irrungen und Wirrungen der Solidaritätsarbeit mit Gefangenen und Angeklagten

Mit unserem Text wollen wir Fragen und Diskussionen provozieren, vor allem bei sich organisierenden Zusammenhängen und Gruppen, die zu sozialen Unruhen aufrufen und Gruppen, die Solidaritätsarbeit mit und für Gefangene und Angeklagte machen.


In den letzten Jahren gibt es eine verstärkte Diskussion um Repression. Scheinbar immer neue Stufen der Eskalation werden erkannt und beschrieben. Wir denken, dass wir es nicht mit einer neuen, höheren Stufe der Repression zu tun haben. Verändert und erweitert haben sich die Mittel der Repressionsorgane, auch auf Grund der verbesserten technischen Möglichkeiten (zum Beispiel: DNA-Analysen, Digitalisierung der Telefontechnik und damit leichtere Überwachung dieser). Paragrafen wurden den veränderten Bedingungen angepasst (auch international) und neue Feindbilder geschaffen. Insgesamt gab es aber unserer Meinung nach in Deutschland nach 1968 Zeiten, in denen die Repressionsorgane viel stärker agiert haben als heute.

 

Wir gehen von dem Grundsatz aus, dass wenn es Widerstand und Revolten gibt, der Staat mit all seinen Instrumenten darauf reagieren wird. Und es kann nicht sein, dass wir heulen, wenn der Staat unsere Statements ernst nimmt und sicherlich oft viel ernster als die meisten Akteur_innen, die sie formulieren. Widerstand und Revolution ist kein Spielplatz, auf dem wir unsere Energien ausleben können und uns dann wundern wenn es weh tut. Wenn mit Parolen und Praxen kokettiert wird, wenn wir uns nicht darüber im Klaren sind, dass der Staat auf militante Demonstrationen, auf klandestine Organisierung mit einem Gegenangriff reagiert, dann sollten wir diese Praxen sein lassen. Anders ausgedrückt: Wenn „wir“ angreifen, mit welchen Mitteln und Formen auch immer, wird der Staat zurückschlagen. Dies ist kein Zufall sondern, so banal es klingen mag, Normalität.

 

Wenn Menschen innerhalb unserer Kämpfe verhaftet werden und in den Knast kommen, wenn sie mit Verfahren überzogen werden, dann muss die Bewegung solidarisch reagieren. Eine Bewegung, die sich nicht um „ihre“ Gefangenen kümmert und nicht solidarisch handelt ist politisch „tot“.

Gruppen organisieren Demos, zum Beispiel das 1. Mai-Bündnis. Die Mobilisierung über Plakate und andere Medien „verspricht“ Riots und zielt auf soziale Unruhen. Für uns gehört in diesem Moment auch dazu, vorher über Repression aufzuklären, nicht um abzuschrecken, sondern um selbstbewusst handeln zu können. Kommt es dann zu Ansätzen der propagierten Unruhen, in deren Folge Leute einfahren oder mit Verfahren überzogen werden, halten sich dieselben Gruppen zurück oder verhalten sich im schlimmsten Fall überhaupt nicht.

 

Uns stört dieses unsolidarische Verhalten auch bei einigen Antifa-Gruppen, die mit radikalen Plakaten zu Gegenaktivitäten zum nächsten Nazi-Aufmarsch aufrufen, und dann die Schnauze halten, wenn es hart auf hart kommt; Genoss_innen dafür einfahren. Hier sehen wir einen Widerspruch, denn zu radikaler Selbstdarstellung und miltantem Agieren gehört auch ein offensives Verhalten, wenn es zu Repression kommt.

Solidarität ist eine Stärke, aber nicht jede Solidarität macht wirklich stark.

 

Politische Solidarität heißt kämpferische Solidarität


Ein Ziel von Repression ist es auch immer, abzuschrecken. Menschen zu zeigen: „Schau her, dein/e Genoss(e)/in sitzt für dies und jenes, du könntest der/die Nächste sein“. Wenn wir uns darauf einlassen, uns also ruhig verhalten, spielen wir dem Staat in die Hände. Was schadet und was nützt den Gefangenen? In der konkreten Arbeit ist das sicherlich oft nicht so einfach zu praktizieren. Aber im Grundsatz gehen wir davon aus, dass es nicht allein um die/den konkreten Gefangenen geht, sondern dass in jeder Inhaftierung von Seiten der Repressionsorgane immer auch der Faktor der Abschreckung und Prävention eine große Rolle spielt. In jedem Artikel in den bürgerlichen Medien können wir nach dem 1. Mai lesen, dass jetzt endlich richtig zurück geschlagen, dass abgeschreckt werden muss. Deshalb meint für uns kämpferische Solidarität, eine in der deutlich wird, welche emanzipatorischen Kämpfe wir führen und welche Ziele wir damit verfolgen.

 

In einer Solidaritätskampagne muss es primär um die Fragen unseres Kampfes gehen, warum intervenieren wir an diesen Punkten und worin besteht die Notwendigkeit dieser Kämpfe? Es muss doch immer darum gehen, die kriminalisierten Themen aufzugreifen. Diese Kämpfe fortzuführen. Der Staat greift diese an, weil sie stören. Was gibt es besseres, als diese zu stärken und zu verbreitern?

 

Solidarität besteht aus zwei Faktoren: Einmal die ganz konkrete zu den Gefangenen, nämlich in der Organisierung von Geld, Büchern, Klamotten und ähnlichem. Das ist sicherlich die undankbarste Aufgabe und, wie die Soligruppe zu Christian S. schreibt, der Part, bei dem am wenigsten Blumen zu gewinnen sind.

 

Der zweite Part ist die kämpferische Solidarität. Diese scheint schädlich zu sein, wenn mensch einigen Anwält_innen, Angehörigen und Genoss_innen Glauben schenkt. Diese Einschätzung geht von der Hoffnung aus, wenn mensch nach einer Verhaftung den Kopf in den Sand steckt (sich nicht politisch äußert, keine Knastkundgebung will), dann kann mensch nicht soviel passieren. Eine Haltung, die sich auch nach der konkreten Inhaftierung fortsetzt, in der Art wie die Prozesse geführt werden: Mit Einlassungen, Aussagen, Reue, dass es eben alles nicht so gemeint war. Leider werden Prozesse mittlerweile in den seltensten Fällen auf politische Weise geführt, d.h. auf offensive Art, sei es mit Erklärungen oder bewusstem Schweigen, unsere nachhaltige Ablehnung diesem System gegenüber auszudrücken. Also: Die Verteidigung unserer Ideen auf allen Ebenen und in jedem Terrain, in dem wir uns bewegen.

 

Unschuldskampagnen und Verteidigungsstrategien


Wir denken, dass die Frage nach Schuld oder Unschuld in unseren Kreisen nichts zu suchen hat. Bei allen Diskussionen zu Solidaritätsarbeit für Gefangene wird sie dennoch immer fix gestellt. Folgen wir damit nicht einer Rechtsstaatslogik, die wir eigentlich ablehnen? Der Schwerpunkt sollte doch darauf gelegt werden, in welchem Kontext Leute einfahren, was sie wollen und wofür sie sich einsetzen.

 

Als Matti in Berlin auf Grund der Aussagen von Faschos verhaftet worden ist, ging die Kampagne hauptsächlich um die Unschuld von Matti (http://www.freiheitfuermatti. com/). Was wäre aber, wenn Matti im Sinne des Gesetzes schuldig gewesen wäre? Was machen wir mit der Notwendigkeit des Angriffs auf faschistische Strukturen und jemand von uns wird dabei verhaftet, und wir haben keinen Spielraum für die Frage von Schuld oder Unschuld? Wer hat die Definitionshoheit über die Frage von Schuld? Wie soll eine Kampagne zu „Schuldigen“ funktionieren oder wenn die Gefangenen sich nicht in diese Kategorien pressen lassen wollen? Sind sie dann Märtyrer? Oder wie sieht es aus? Warum werden aus kämpfenden Subjekten Opfer gemacht? Warum gab es bei Matti nicht eine offensive Kampagne dafür faschistische Strukturen mit allen Mitteln zu zerschlagen? Warum wird die Notwendigkeit verschwiegen?

 

Ein anderes Beispiel der letzten Zeit ist die Unschuldskampagne für Andrej H. vs. „die drei Schuldigen“. In dem noch laufenden MG-Verfahren wurden zunächst sieben Aktivisten beschuldigt, für Andrej H. wurde mit Hilfe seiner Universitätslaufbahn und Anstellung an der Uni eine Unschulds-Kampagne de Luxe geführt. Prominente und Wissenschaftler_innen in der ganzen Welt forderten bemühten sich seine Unschuld medienwirksam zu beteuern. Ein positives Beispiel für eine offensive Solidaritäts-Kampagne ist hingegen die Kampagne für die drei anderen Beschuldigten im MG- Verfahren. Sie sollen beim Brandsätze legen unter Bundeswehrautos erwischt worden sein. Parallel zu ihren Prozess führten verschiedene Solidaritätsgruppen und Zusammenhängen eine offensive Kampagne für die weitere Sabotage und Zerstörung militärischer Infrastruktur durch (http://einstellung.so36.net).

 

2002 gab es einiges Entsetzen bzgl. der Verfahren gegen die Revolutionären Zellen. Auf eine offensive Verteidigung der Politik der RZ wurde im Prozess verzichtet. Von fünf Personen, die als Mitglieder der RZ beschuldigt wurden machten drei Einlassungen mit einem begrenzten Schuldeingeständnis, um mit einem blauen Auge wegzukommen. Einen Gegenpol bildeten einzig einige sehr gut besuchte Veranstaltungen zu Geschichte und Kämpfen der RZ. 2009 ein weiteres Trauerspiel: Thomas K. bekam zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Verteidigung, Gericht und Bundesanwaltschaft hatten in einem Deal zuvor ausgehandelt, dass wenn er in einer Einlassung zu gibt Mitglied der RZ gewesen zu sein und gewisse Aufgaben übernommen zu haben, der Vorwurf der Rädelsführerschaft fallengelassen wird, für die das Gesetz immer Knast vorschreibt. (http://www.freilassung.de/prozess/thomas.htm)

 

Wie kann es sein, dass Menschen militante Politik machen, Knast riskieren und dann 18 Jahre später so einknicken vorm Staat? Anna und Arthur gehen mal kurz einen anderen Weg - den individuell egoistischen?

 

Glücklicherweise können wir auch hier ein positives und offensives Gegenbeispiel nennen.

 

Seit Februar 2009 droht Sonja S. (76) und Christian G. (67) von den französischen Behörden an die Bundesrepublik ausgeliefert zu werden. Beide wurden seit 1978 als Mitglieder der RZ gesucht. Im Gegensatz zu den oben genannten RZ-Angeklagten lehnen beide einen Deal ab. Für sie wird es vermutlich nicht so glimpflich ablaufen. Fehlende Reue und mangelnde Kooperationsbereitschaft müssen vom Staat bestraft werden, weil es sonst keine Deals bzw. keine Abschreckung mehr gäbe.

Es könnte im Interesse und der Verantwortung der Antira- und Anti-AKW-Bewegung und so oder so der gesamten Bewegung liegen, sich angesichts der Anklagepunkte einzumischen (http://www.akweb.de/ak_s/ak538/26.htm.).

An diesem Punkt stellt uns die Zusammenarbeit mit Rechtsanwält_innen immer wieder vor Probleme: Deren Interesse für ihre Mandant_innen (geringere Haftzeit, geringere Bestrafung) steht oft im Widerspruch zur politischen Identität der Beschuldigten. Ein schlauer Deal mit dem Gericht erspart manche Strafe; aber welchen Preis muss mensch dafür zahlen? Das muss nicht „böse“ gemeint sein, es entspricht eben ihrer zugewiesenen Rolle im Justizapparat.

 

Das Argument, das sagt, wenn ich mich im Prozess oder im Knast offensiv verhalte, dann sitze ich länger und deswegen tue ich nichts auf dieser Ebene, weil ich draußen mehr machen kann und dies kein Feld der Auseinandersetzung sein kann – ist die zentrale vermeintliche Antwort auf dieses Problem. Die Parole lautet: Bälle flach und Füße still halten, eine nicht selten vertretene Haltung von Rechtsanwält_innen. Dies bedient die Hoffnung, durch „sauberes“ und „harmloses“ Auftreten mit dem berühmten blauen Auge davonzukommen. Sich für Freigang und eine Haftentlassung nach 2/3 der Freiheitsstrafe einzusetzen, wie es die Christian S. Soligruppe tut (http://prozess.blogsport.de/) ist menschlich verständlich, es ist aber keine kämpferische Haltung, die verdeutlicht, worum es in unseren Kämpfen geht.

 

Wir denken, dies ist zu kurz gedacht. Okay, ich komme raus auf drei, vier, fünf Jahre Bewährung und muss mich dann an bestimmte vom Staat vorgegebene Regeln halten, sonst gibt es den Bewährungswiderruf, und ich gehe zurück in den Knast. Ich stelle Anträge auf Freigang, weil es beschissen ist im Knast und so wenige andere gefangene Menschen kämpfen, ich bin allein und kann draußen viel mehr machen. Stimmt das? Machen wir mehr, wenn wir die ganze Zeit den Hammer eines Bewährungswiderrufs über uns haben? Kann es für das eigene Rückgrat gesünder sein, auf vorzeitige Haftentlassung zu verzichten? Ist wirklich alles besser als Knast? Knast ist ein Kampfgebiet, der Prozesssaal ist ein Kampfgebiet, wie die entfremdete Arbeit, wie der tote sinnentleerte Alltag, den uns dieses System bietet.

 

Wir wünschen uns an dieser Stelle eine Diskussion um die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten und Solidarität, die es im Knast, außerhalb des Knastes und vor Gericht geben kann. Wir denken, dass es eine Auseinandersetzung geben muss um die Bedingungen, die uns im Knast gesetzt werden, dass wir alle dafür verantwortlich sind, dass diese Diskussion stattfindet, möglichst vor der Situation des Einfahrens.

Es geht uns um eine Debatte, wie unsere Solidarität tatsächlich kämpferisch wird. Es geht uns um eine Kritik an Solidaritätsarbeit, die verschweigt, wofür wir kämpfen.

 

Gruppe SDB Solidarischer Diskussionsbedarf