Keine windige Sache?

Erstveröffentlicht: 
23.12.2016

Feuertod von Oury Jalloh: Staatsanwalt sucht nach fragwürdigem Brandversuch sein Heil in Ausflüchten Von Susan Bonath

 

»Das neue Brandgutachten im Fall Oury Jalloh wird nicht vor dem 7. Januar vorgestellt«, zitierte die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) den Dessauer Staatsanwalt Olaf Braun am 20. Dezember. Der Schweizer Sachverständige Kurt Zollinger sei nach dem am 18. August im sächsischen Dippoldiswalde/Schmiedeberg medial inszenierten und vielfach kritisierten Brandversuch (jW berichtete) erkrankt, habe er begründet. Darum habe sich die Auswertung – angekündigt waren sechs bis acht Wochen – derart verzögert. Zwar lägen bereits Messwerte vor. Doch: »Derzeit sind die Experten dabei, daraus Rückschlüsse zu ziehen«, so Braun.

 

Diese Informationen gibt der Staatsanwalt nicht jedem. Auch tags darauf verweigerte er gegenüber junge Welt in gewohnter Weise eine brauchbare Auskunft. Er teilte lediglich mit: »Das Gutachten liegt noch nicht vor.« Zudem seien die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Erst dann werde seine Behörde »im gebotenen Umfang zu gegebener Zeit« Stellung nehmen.

 

Brauns Aussagen gegenüber der in Halle erscheinenden Tageszeitung werfen indes eine Frage auf: Gibt es neue Fakten, die am 7. Januar, dem zwölften Todestag des in einer Dessauer Polizeizelle bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Flüchtlings, noch nicht bekannt sein sollen? An dem Tag wird nicht nur die Stadtprominenz in Dessau des »tragischen Unfalls« gedenken. Auch die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh ruft wieder zu einer Demonstration auf. Für sie steht fest: Das war Mord. Dafür sprächen alle Indizien und die toxikologischen Befunde.

 

Die MZ fragte den Staatsanwalt außerdem unter Verweis auf jW-Berichte nach dem ominösen Versuchsort, dem »Institut für Brand- und Löschforschung (IBLF)« in Schmiedeberg. Nach Recherchen vor Ort handelt es sich um eine private Unternehmung, die nicht im Handelsregister eingetragen ist. Bei Kleingewerbetreibenden und Freiberuflern ist das nicht nötig. Allerdings sind sie als Nichtkaufleute verpflichtet, ihren Namen als Inhaber in der Unternehmensbezeichnung aufzuführen. Dies ist bei dem »Institut« nicht der Fall.

 

Als Anschrift desselben gibt die Staatsanwaltschaft die Altenberger Straße 64 in Schmiedeberg an. Tatsächlich existiert auf dem Gelände – einer Industriebrache – mit der Hausnummer 65 die Firma »Brandschutzzentrum Schmiedeberg UG«. Nach Auskunft von Insidern vermietet deren Inhaber, Dirrich Uhlhorn, der auch Geschäftsführer der Firma Hansenebel mit Sitz in Hoisdorf (Schleswig-Holstein) ist, das Gelände für Löschübungen – unter anderen auch an den Diplom-Ingenieur Thorsten Prein.

 

Prein betreibt ein Büro für Brandschutz in Bergisch Gladbach (NRW). Braun hatte ihn der Presse als »Institutsleiter« vorgestellt. Er war damit beauftragt, auf Zollingers Anweisung den Versuch aufzubauen und durchzuführen. Ersichtlich war hier selbst für den Laien: Mit dem Originaltatort in der Dessauer Polizeizelle stimmte vieles nicht überein. Mehrere Mitglieder der Bundesvereinigung Fachplaner und Sachverständige für den vorbeugenden Brandschutz (BFSB) hatten Prein gegenüber jW scharf kritisiert. Er dürfe in manchen Kommunen wegen gravierender Mängel keine Brandschutzkonzepte mehr vorlegen, hieß es. Und: Einige von ihm vorgebrachte Referenzen hätten sich als nicht nachvollziehbar entpuppt.

 

Gegenüber jW ignorierte der Staatsanwalt bisher sämtliche Anfragen zum »Institut« und zu dessen »Leiter«, zuletzt am Mittwoch. Gegenüber der MZ behauptete er: »Die Firma ist als Einzelgewerbe eingetragen.« Sie sei »keine windige Sache«. Wo sie denn eingetragen sei, erklärte er nicht. Auch ein weiterer Fakt ist mysteriös: Noch im Oktober war keine Webseite des »IBLF« zu finden. Seit wenigen Wochen ist nun eine Facebook-Seite öffentlich. Ein Geschäftsinhaber wird auch hier nicht genannt. Braun schweigt dazu.

 

Der öffentliche Brandversuch hatte Medienvertreter und die Anwältinnen der Opferfamilie überrascht. Anfang August ließ die Staatsanwaltschaft vom Justizministerium Sachsen-Anhalt Einladungen an Journalisten versenden. Das kann als Reaktion darauf gewertet werden, dass von der Oury-Jalloh-Initiative eigenständig beauftragte Gutachter aus Irland, Großbritannien und Kanada massive Ungereimtheiten in der offiziellen Version des Tathergangs, wonach es sich um einen Selbstmord handelte, zu Tage gefördert hatten.

 

Bereits ein 2013 präsentiertes Gutachten des Experten Maksim Smirnou legt nahe, dass Brandbeschleuniger benutzt wurden. Danach leitete die Staatsanwaltschaft neue Ermittlungen wegen Mordverdachts ein. Gleichwohl beharrt sie weiter auf Selbsttötung. Schließlich erklärte 2015 auch der britische Brandsachverständige Iain Peck, selbst von staatsanwaltschaftlichen Gutachtern als »äußerst renommiert« bezeichnet, die Brandlegung durch Dritte für wahrscheinlich. Zahlreiche Indizien sprächen dafür, dass das angebliche Selbstmordfeuerzeug nie in der Zelle war und somit manipuliert wurde, so Peck unter anderem. »Mir fällt dazu nur eins ein: Die Behörden wollen einen Skandal verhindern und stecken unter einer Decke«, kommentierte Initiativengründer Mouctar Bah am Donnerstag das Prozedere.

 


 

Vertreter der Initiative »In Gedenken an Oury Jalloh« sind derzeit bundesweit unterwegs. Sie klären über die Hintergründe des Feuertodes des Flüchtlings im Polizeirevier Dessau auf, sammeln Spenden, um vor allem eigens beauftragte Gutachter zu finanzieren. Und sie wollen mobilisieren: Denn am 7. Januar 2017 jährt sich der Todestag zum zwölften Mal. Unter dem Motto »Oury Jalloh ist kein Einzelfall – Keiner wird vergessen werden« soll dann um 14 Uhr die Demonstration am Dessauer Bahnhof starten.

 

An diesem 7. Januar 2005 seien zwei Menschenleben in Obhut der Polizei in Deutschland ausgelöscht worden, heißt es in dem Aufruf. Beide Opfer stammten aus dem kriegsgeschüttelten westafrikanischen Land Sierra Leone: Der 36jährige Oury Jalloh verbrannte in einer Zelle, gefesselt auf einer feuerfest umhüllten Matratze, bis zur Unkenntlichkeit. Vor vier Jahren verurteilte das Landgericht Magdeburg den damals zuständigen Dienstgruppenleiter des Dessauer Reviers, Andreas S., zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro. Er habe nicht schnell genug auf den Alarm reagiert. Der ein Jahr jüngere Laye Condé verstarb in Bremen nach dem gewaltsamen Einsatz eines Brechmittels. »Keiner der verantwortlichen Polizisten wurde dafür verurteilt«, so die Initiative.

 

Schuld sei das gesellschaftliche System, heißt es weiter. Es produziere Unmenschlichkeit und mangelnden Respekt vor dem Leben Ausgegrenzter. Es privilegiere die einen und zwinge »andere in die Unterwerfung, Ausbeutung und Angst«, schreiben die Aktivisten. Und fügen an: »Wir haben verstanden, dass wir nicht nur die Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh selbst in die Hand nehmen müssen, weil das kein Staatsanwalt oder Richter tun wird.« Der Fall Oury Jalloh stehe symbolisch für alle rassistisch konnotierten Verbrechen, »ob in Dessau, Bremen oder Ferguson«. In Ferguson im US-Bundesstaat Missouri hatten Polizisten im August 2014 den 18jährigen Afroamerikaner Michael Brown erschossen.

 

Bezüglich Jalloh wirft die Initiative Sachsen-Anhalts Polizei, der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau und den übergeordneten Behörden und Ministerien vor, die Aufklärung »systematisch zu verschleppen und zu verhindern«. Sprecher Thomas Ndindah betonte gegenüber junge Welt, dies werde seit dem öffentlichen Brandversuch in dem ominösen sächsischen »Institut« im August noch deutlicher. »Der Staatsanwalt tischt uns immer dreistere Märchen auf«, sagte er. (sbo)