Neonazis, Linksextreme, Islamisten – und der NSU-Ausschuss So überlastet ist Brandenburgs Geheimdienst

Erstveröffentlicht: 
09.12.2016

Ein Hilferuf eine oder ein sicherheitspolitischer Gau? Verfassungsschutz-Chef Carlo Weber wies Ende November via TV auf Defizite des Geheimdienstes hin und forderte 30 Prozent mehr Personal. Darf ein Top-Maulwurf so etwas? Brandenburgs Innenminister Schröter (SPD) teilt die Kritik seines leitenden Angestellten.

 

Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sieht die Verfassungsschutzbehörde des Landes „am Rande ihrer Belastbarkeit“. Verantwortlich für die extreme Beanspruchung sei ein Anwachsen extremistischer Strömungen von vielen Seiten. Damit nahm der Innenminister Kritik des Verfassungsschutz-Chefs Carlo Weber auf, der im RBB geäußert hatte, seine Behörde sei „prekär aufgestellt“ und brauche ein Drittel mehr Personal. Schröter deutete an, er wolle den Dienst stärken. Dazu werde man Personaleinsparungen an anderer Stelle in Kauf nehmen. 

 

Mehr Neonazis, Linksextremisten und Islamisten

 

Der Innenminister zählte am Donnerstag im Innenausschuss des Landtags die verschärften Herausforderungen für den brandenburgischen Geheimdienst auf: Höchster Stand rechtsextremistischer Gewalt seit 1993; größte Anzahl gewaltbereiter Rechter sowie höchste Mitgliederzahlen in Neonazi-Gruppen seit Bestehen des Bundeslandes. Nie habe es im Land mehr radikale Islamisten – Weber nannte 100 – gegeben. Außerdem sei die Anzahl von Gewalttaten mit linksextremem Hintergrund so hoch wie nie seit der Wende. Etliche Verfassungsschützer seien derzeit zudem damit beschäftigt, für den NSU-Untersuchungsausschuss Akten zu suchen und andere Zuarbeiten zu leisten. Gleichwohl sagte Schröter: „Die Arbeitsfähigkeit bleibt gegeben“. Im aktuellen Haushalt sei ein Erhalt der 90 Stellen in der Behörde vorgesehen, zehn zur Streichung vorgesehene Posten blieben erhalten. „Es ist ein Kompromiss zwischen dem Wünschenswerten und Machbaren“, so der Innenminister. 

 

CDU fordert 120 Stellen für die Verfassungsschützer

 

Viel zu wenig ist das in den Augen der CDU-Opposition. „Was der Verfassungsschutz-Chef gesagt hat, war ein Weckruf“, so Innenexperte Sven Petke. Angesichts der Bedrohungen müsse der Verfassungsschutz auf 120 Stellen aufgestockt werden – wie zu Zeiten von Innenminister Jörg Schönbohm nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001. Petke war damals Vize-Landeschef der CDU, später arbeitete er beim Verfassungsschutz. Nach seinen Worten seien dem SPD-Innenminister die Hände gebunden, weil der linke Koalitionspartner grundsätzlich für die Abschaffung von Verfassungsschutzbehörden plädiere. Als „große Bremse“ bezeichnete der CDU-Abgeordnete Björn Lakenmacher die Linkspartei. 

 

Grüne nennen TV-Auftritt des Geheimdienst-Chefs Realsatire

 

Linken-Innenexperte Hans-Jürgen Scharfenberg entgegnete, das Land wäre „nicht gut beraten, wenn unser Wohl und Wehe vom Verfassungsschutz“ abhinge. Der Verfassungsschutz sei „eine Komponente“ in der Sicherheitsarchitektur des Landes. Die aktuelle Landesregierung habe in jedem Fall den Personalabbau gestoppt. Der war unter SPD-Innenminister Rainer Speer in der letzten Legislaturperiode eingeleitet worden.

 

Als „sicherheitstechnischen Gau“ bezeichnete die Grünen-Innenexpertin Ursula Nonnemacher das Schwäche-Eingeständnis von Verfassungsschutz-Chef Carlo Weber. Von „selbstinszenierter Handlungsunfähigkeit“ am Rande der „Realsatire“, sprach Nonnemacher. Ein Geheimdienst-Chef, der derart öffentlich über Defizite der eigenen Abteilung spreche, lade Extremisten geradezu ein, in Brandenburg aktiv zu werden.

 

Von Ulrich Wangemann