Debatte statt Gewalt: Lose Enden in einer komplexen Frage

Erstveröffentlicht: 
01.12.2016

Gegen 21 Uhr des 30. November standen die ausdiskutierten Politiker des Podiums noch beieinander, es wurde weiter gearbeitet. Denn so sahen es einige, die zu Beginn vor allem die Anwesenheit von Juliane Nagel – die präsenteste Ferngebliebene des Abends – einforderten. Als Arbeit, da es doch ihre steuerlich bezahlte Pflicht sei, sich hier zu stellen. Vor der Tür gab es zum Empfang stattdessen eine Demo, eine Sicherheitsschleuse für Teilnehmer und am Ende des Abends eher den Eindruck, dass manche Grundregeln des Miteinanders offenbleiben mussten.


Die Debatte am 30.11.2016 in Leipzig zum Thema Gewalt in der Messestadt. Es diskutieren (vlnr.) Uwe Wurlitzer (AfD), Valentin Lippmann (Grüne), Björn Meine (LVZ/Moderation), Dr. Thomas Feist (CDU), Holger Mann (SPD), Enrico Stange (Die Linke) und das Publikum.

 

Vor allem aus den vorderen Reihen des mit knapp 70 Menschen gefüllten Saales, besetzt von AfD-Funktionären über Ex-Legida-Vorstand Arndt Hohnstädter bis hin zu einem über linksextreme Gewalt besorgten Bürgerrechtler Tobias Hollitzer, gab es den großen Wunsch, sich in die Bürgerdebatte mit ganz eigenen Statements vor allem zu linksextremer Gewalt einzubringen. Die andere, im Saal hinten sitzende, jüngere Hälfte des Publikums bekam so genügend Gelegenheiten, den Kopf zu schütteln. Am Ende stand auch die Frage nach der Tauglichkeit des gewählten Gesprächsformates. Auch da das Wort Selbstverantwortung für eigenes Handeln zu keinem Zeitpunkt fiel – vor allem wurde aus dem Publikum das Gefühl ventiliert, Opfer der Verhältnisse zu sein.

Gut, dass die Debatte früh geöffnet wurde.

 

Ein Podium, fünf Politiker, ein LVZ-Lokalchef Björn Meine, der sich eher jonglierend als moderierend betätigte und knapp zwei Stunden Zeit. Bei einem Thema, welches sich wohl niemals an den offensiven Erscheinungsformen festmachen lassen wird. Gewalt, hier nur im extremistischen Sinne gedacht und erst durch eine letzte fast unbeholfene Zuschauerfrage auf eine der vielen Ursachen wie Bildung, soziale Fragen und Chancen in der aktuellen Leipziger Stadtgesellschaft gelenkt. Vielleicht hätte dies sogar der Anfang sein müssen, um die Frage zu ergründen, woher die Gewalt kommt.

 

Den längsten Teil des Abends bekamen hingegen die, welche gern Standgerichte über Flüchtlingspolitik, die Bundeskanzlerin oder eventuelle Gesetzesbrüche abhalten wollten. Und teils hörbar murrten, wenn sich ein Politiker links der CDU zu lange zu äußern schien.

 

So dass im Konsens der brutal angegriffenen Bürgerbüros von Politikern fast unterging, dass es Asylbewerber, Flüchtlinge und ihre Unterkünfte sind, die seit zwei Jahren in Sachsen attackiert, verunglimpft und zum Ziel von Brandanschlägen gemacht werden. Bis auch dies aus dem hinteren Teil des Saales angemahnt und vom Podium, erneut linksseits der CDU gesehen, bestätigt wurde.

 

Die Gewalt selbst als Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wurde erwartungsgemäß von allen auf dem Podium abgelehnt. Scheinheiligkeiten inklusive. Bis sich auch dazu erneut der hintere Teil des Saales meldete und Uwe Wurlitzer (AfD) darauf hinwies, dass auch er und seine Partei Teil der verbalen Gewalt sei. Was dieser verneinte, letztlich gehörten ja Pressemitteilungen und Äußerungen zum politischen Geschäft. Angriffe auf den politischen Gegner inklusive.

 

Auch gegen die abwesende, anfangs irritierend omnipräsente Juliane Nagel, die sich jedoch im Nachgang auf einen eloquenten Enrico Stange als Ersatz berufen kann, richteten sich Vorwürfe. 

 

Apropos Geschäft


Alle Legida-Positionen und die der AfD fanden letztlich statt, die scheinbare Mehrheit in der Gesellschaft gelang an diesem Abend für diejenigen Teilnehmer, die sich hier zeitig bei der Stadthotline angemeldet hatten. Vertreter Legidas traten mit eher kruden Rechtsansichten zum Thema Demonstrationsgesetze auf. Weitab des Themas Gewalt in Leipzig wurden auch gesetzlich versicherte Grundrechte eines jeden Menschen in Deutschland infrage gestellt. Und natürlich falsch berichtende Medien aufgezählt und mit Schimpf und Schande überzogen.

 

Hier von einem TV-Journalisten aus dem Westteil Deutschlands, der scheinbar in den letzten 10 Jahren nicht wahrgenommen hat, dass Neonazis kaum noch Glatzen tragen.

 

Uwe Wurlitzer konnte sich oft genug für die AfD ruhig zurücklehnen, er galt an diesem Abend eher als Angegriffener. Auch der „normale Bürger“ fand statt, der Nazi, wie er einst in Bomberjacke und mit Springerstiefeln herumlief und was sich heute an diesem Abbild geändert hat, auch. Auch Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter, inmitten der AfD-Mitglieder sitzend, konnte die Chance nutzen, sich als „einfacher Bürger“ zu Wort zu melden und den Leipziger Polizeichef Bernd Merbitz (nicht anwesend) als linksblind anzugreifen. Es blieb also Thomas Feist (MdB, CDU) überlassen zu antworten und den üblichen Legida-Vorwurf zurückzuweisen.

 

Mancher meldete sich mit gänzlich anderen Beiträgen zu Wort. Und es wurde immer dann deutlich, dass es viele Verunsicherungen mehr gibt, als nur linksextreme und rechtsextreme Gewalttaten, wenn mal ganz kurz mehr aufblitzte, dass es irgendwie Gründe geben müsste. Doch an die Ursachen für ansteigende politische Gewalt gelangte man an diesem Mittwochabend eher nicht. Dafür fehlte eben dies, was Kritiker bereits vor dem Abend angemerkt hatten – die Beteiligung von Menschen, die sich jahrelange Expertisen in eben jenen Bereichen erarbeitet haben. Und nun hätten eingreifen können, erklären und dies vielleicht außerhalb des politischen Raums.

 

Da fehlte letztlich auch LVZ-Lokalchef Meine die wirkliche Leipziger Straßenerfahrung mit Legida, als es indirekt um die „Lügenpresse“ aus dem Hause Madsack ging. Mehr als die in AfD-Kreisen eher belächelte Quellengegenfrage blieb nicht. Dabei ging es um nicht weniger, ob die LVZ nun einzelne Legida-Teilnehmer Neonazis genannt hatte oder nicht. Sie waren in jedem Fall dabei, nur Namen schienen Meine nicht präsent, weshalb er sich auf die rhetorische Rückfrage verlegte, wann dies die LVZ behauptet habe.

 

Vielleicht der Moment des Abends, wo sichtbar wurde, dass es der Kreis der sichtlich um Verständigung bemühten Politiker besser als der soeben involvierte Moderator machte. Sie parierten und gaben auch untereinander Contra.

 

Das Wohlmeinende der Veranstaltungsidee ging letztlich für diejenigen Teilnehmer in Ordnung, die bislang noch keine Lust auf eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema „Debatte statt Gewalt“ hatten. Im Saal eher vorn sitzend. Dafür war das Angebot ausreichend.

 

Und deshalb hatten am Ende alle irgendwie Recht und doch nicht. Man solle sich öfter unterhalten und die Debatte aufnehmen. Ob Politik einfach oder komplex zu erklären ist, blieb Dissens – AfD und CDU für einfache, der Rest für komplexere Erklärungen. Dr. Thomas Feist (CDU) forderte am Ende von der Stadt Leipzig, solche Veranstaltungen aufzuzeichnen oder live zu übertragen. Hiermit geschehen, ganz ohne Stadtverwaltung und Steuergeld, wie es in der Bürgerstadt Leipzig geschehen sollte. 

 

Fazit – als eines von 76 (inkl. Podium)


Ein Thema, welches mit entsprechender Vorbereitung, Fachleuten und Kontinuität große Säle füllen könnte, geriet unter einem linken Ordnungsbürgermeister zu einem wohlfeilen Quickie mit AfD-Sprech und so manchem Opfermythos. Dafür begann am 30. November anderen Ortes ein echter Verständigungs-Prozess namens „Urbane Gewalt“ in Leipzig als dreijähriges Projekt (davon später mehr).

 

Bleibt: „Der Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Kein Zustand, der noch lange so bleiben sollte. Das Thema ist mehr wert, als eilig ein paar durchaus kompetente Politiker in einen Saal zu werfen und zu schauen, was sie so mit einem LVZ-Publikum zustandebringen. Wichtig auch angesichts des Themas – es gab keine Gewalt an diesem Abend. Oder um es mit Holger Mann zu sagen: „Wo Gewalt beginnt, endet Politik“. Der große Rest bleibt also beim durchaus sonst gern schweigenden Bürger.