Pegida, AfD & Co: Die Sprache der Wutbürger

Erstveröffentlicht: 
24.11.2016
IM Erika, Altmedien und Umvolkung: AfD, Pegida und Co pflegen ihre eigene Sprache. Das "Wörterbuch des besorgten Bürgers" erklärt, welche Masche dahinter steckt.

 

Es ist kein Zufall, dass dieses Projekt in Sachsen gestartet wurde. Patriotisches, nationalistisches, xenophobes oder rassistisches Gedankengut sind nicht ausschließlich dort, aber in diesem Bundesland besonders verbreitet. Jetzt bringt ein Leipziger Autorenkollektiv ein "Wörterbuch des besorgten Bürgers" heraus. Sie wollen herausarbeiten, wie Pegida, AfD & Co. im Netz und auf der Straße hetzen, üble Gerüchte in die Welt setzen und mit welchen Parolen dabei gearbeitet wird.

 

Das, so wird im Vorwort des Buches erläutert, laufe so: "Wutschäumende", die von Politik und Medien zunächst als besorgte Bürger mit berechtigten Anliegen verharmlost worden seien, wollten Begriffe vorschreiben und besetzen, ihnen gehe es um Meinungshoheit statt Redefreiheit. Zu ihnen gehören, so die Autoren, Pegida-Spaziergänger, AfD-Wähler, stramme Nazis, aber auch Rechtsausleger der Volksparteien - namentlich genannt werden neben Horst Seehofer (CSU) und Thilo Sarrazin (SPD) auch die sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten Veronika Bellmann und Bettina Kudla. "Mit Umdeutungen, Erfindungen und rhetorischem Nebel entwickeln sich Denk- und Sprachmuster, in denen so manches umgekehrt und gegen den Strich gelesen wird: Da ist Deutschland Opfer, Diktatur oder GmbH, bilden geflüchtete Menschen eine Armee oder droht der Volkstod."

 

Die Autoren des Buches, das Anfang Dezember erscheint, sind vom Fach: Einige von ihnen haben Sprachwissenschaft oder Linguistik studiert, andere Politikwissenschaft, Germanistik, Literatur oder Soziologie. Regelmäßig haben sie schon auf sprachlos-blog.de publiziert. Entlarven wollen sie die rhetorischen Kniffe, die Verrohung der Sprache, aber auch zum Beispiel die Begriffsaneignung als radikale Umkehrung, wenn zum Beispiel Gida-Gegendemonstranten mit "Nazis raus!" angebrüllt werden.

 

Weit mehr als 100 Begriffe werden erläutert: Wie wird "Abendland" verwandt, wie kam das Wort "Asylkritiker" auf? Auf welche Weise wird gegen Smartphones in den Händen von Flüchtlingen Stimmung gemacht? Woher stammt der Begriff "Umvolkung", wer benutzt ihn heute? Was ist der Plan von AfD-Chefin Frauke Petry, wenn sie "völkisch" wieder positiv besetzen will? Was wollte Björn Höcke, als er behauptete, Afrikaner hätten eine andere Reproduktionsstrategie als Europäer? Und warum spricht der thüringische AfD-Vorsitzende immer wieder von "Altmedien"? 

 

Was soll der Begriff "Fachkräfte"?


In einschlägigen Facebook-Kommentaren wird Angela Merkel immer wieder "Erika" genannt. Es handele sich um eine Analogie zu Erich Honecker, zudem seien die Besorgten besessen von der Idee, Merkel sei als "IM Erika" für die Stasi im Einsatz gewesen. Gegen die Kanzlerin geht es auch beim Begriff "Merkel-Jugend", den das rechte Compact-Magazin aufbrachte, als es schrieb: "Umerziehung im Endstadium - Antifanten sind inoffizielle Merkel-Jugend". Die begriffliche Analogie zur Hitlerjugend sei selbstredend Absicht, heißt es dazu im Wörterbuch.

 

Den Begriff "Fachkräfte" nutzen Pegida-Anhänger ausnahmslos ironisch, als Chiffre für angeblich importierte Migranten. "Maasmännchen" wird als Beispiel dafür genannt, wie der politische Gegner lächerlich gemacht werden soll, in diesem Fall Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Aus der grünen Bundestagsvizepräsidentin wird bei rechten Hetzern "Claudia Fatima Roth", aus dem SPD-Vorsitzenden "#FastSonderschülerSigmar". Flüchtlingen werden zu "Rapefugees" und so pauschal zu Vergewaltigern erklärt. Es ist all dies eine Masche, die zum Beispiel Pegida-Anführer Lutz Bachmann gern anwendet.

 

Die "besorgten Bürger" würden versuchen, längst für ausgrenzend erklärte Begriffe zu reanimieren, schreiben die Autoren. Ein Beispiel: das Zigeunerschnitzel. Der Linguisten Anatol Stefanowitsch wird im Buch mit dem Hinweis zitiert, die Bezeichnung sei zuerst in einem Kochbuch aus dem Jahre 1957 greifbar. "In den selbstzufriedenen fünfziger Jahren des Wirtschaftswunders hatten die (West-)Deutschen ihre jüngere Vergangenheit ausreichend verdrängt, um wieder etwas Exotik in ihre Küche zu bringen. Der Völkermord an den Sinti und Roma war vergessen (er war ja auch schon zehn Jahre her), und die fiktive Romantik des 'Zigeunerlebens' konnte wiederbelebt und auf das Paprikaschnitzel projiziert werden."

 

Neu ist also nicht alles, was im "Wörterbuch des besorgten Bürgers" analysiert wird. Und doch ist das Buch hoch aktuell, weil der Stammtisch im Zeitalter des Internets mehr Einfluss bekommen hat.