Berlins Linksextreme so gefährlich wie lange nicht

Erstveröffentlicht: 
03.11.2016

Die linksextreme Szene Berlins hat Zulauf und ihre Gewaltbereitschaft wächst, besonders auch gegen Polizisten.

  • Auch die Sprache verroht zusehends, auf Szeneportalen sind selbst „gezielte Tötungen“ inzwischen kein Tabuthema mehr.
  • Beobachter der Szene rechnen damit, dass die Zahl der Gewaltdelikte in diesem Jahr stark ansteigen wird.

Gewalttätige Extremisten in Deutschland haben den Hang, ihre Taten mit zynischem Spott zu begleiten. Militante Akteure der linksextremen Szene finden es lustig, Brandanschläge und Angriffe auf Polizisten zum Wettbewerb einer „Randale-Bundesliga“ zu erklären. Auf dem Internetportal „linksunten.indymedia“ wird im Ton von Fußballberichterstattern verkündet: „Dass der aktuelle Titelträger (Randalemeister 2015) aus Leipzig gerade wieder auf der 1. (Blitz-Tabelle) steht“, verwundere ebenso wenig wie der Umstand, dass „Berlin wieder vorne dabei ist, schließlich gilt die Hauptstadt als Anwärter auf den Titel“.

 

​Die Aussage entspricht dem Selbstverständnis der Szene. „Das ist blanker Zynismus“, sagt Klaus Schroeder, Politologe an der Freien Universität Berlin, der seit Jahren zum Linksextremismus forscht. „Die machen sich über uns lustig, aber kaum jemand regt sich darüber auf. Man stelle sich vor, Rechtsextremisten würden das Gleiche tun: Wir hätten eine doppelte Lichterkette um Berlin.“

 

Die Bundeshauptstadt gehört seit Jahrzehnten zu den Hochburgen des Linksextremismus in Deutschland. Von 2014 auf 2015 stieg die Zahl der vom Verfassungsschutz registrierten Linksextremisten von 2560 auf 2640, die der gewaltbereiten fiel hingegen um 20 auf 940. Doch macht das die Szene nicht weniger gefährlich – im Gegenteil.

 

Gewaltbereitschaft der Linksextremisten wächst

 

Ungeachtet der niedrigeren Zahl gewaltorientierter Linksextremisten beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz nämlich eine stetig wachsende Bereitschaft zur Militanz. „Die Hemmschwelle im Hinblick auf Gewalt gegen bestimmte Personen, insbesondere gegen Polizisten und vermeintliche ,Faschisten‘, ist von Jahr zu Jahr gesunken“, sagt der Berliner Verfassungsschutzchef Bernd Palenda der „Welt“. Das belegten mehrere Ermittlungsverfahren wegen versuchter Tötungsdelikte.

 

Politikwissenschaftler Schroeder verweist zudem auf „üble Aussagen und eine Verrohung der Sprache, wie wir sie vor allem vom Rechtsextremismus kennen“. Linksextremisten verkündeten etwa: „Wir können bei einer Eskalation (durch die Polizei, d. Red.) nicht garantieren, dass es keine Toten gibt.“

 

Akteure begnügten sich nicht mehr damit, Sicherheitskräfte als „Bullenschweine“ zu bezeichnen. Die Rede sei inzwischen von „übel riechenden Schweinen“ und „Abschaum“. Schroeder konstatiert: „Das zeigt, dass die gewaltbereite Szene in sich geschlossener und militanter geworden ist.“

 

Palenda bereitet noch eine weitere Entwicklung Sorgen: „Neben der faktischen Entwicklung sind auch Ansätze eines Diskurses zu erkennen, der den bisher stabilen Szenekonsens, der gezielte Tötungsaktionen ablehnt, infrage stellt.“

 

Parolen wie „Henkel töten“ – bezogen auf Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) –, aber auch Graffiti und Äußerungen in Szeneartikeln deuteten darauf hin, dass die Diskussion „deutlich emotionaler“ geführt werde. Wobei der größte Teil der Bewegung aber nach wie vor „gezielte Gewalt gegen Personen“ ablehne.

 

Durch das ultralinke Lager in Deutschland geht ein Riss

 

Tatsächlich tobt in der linksextremen Szene seit längerer Zeit ein Streit über den Sinn und das akzeptable Ausmaß von Gewaltanwendung. Dabei bilden aber nicht ethische Auseinandersetzungen den Kern der Debatte, sondern eher Image-Fragen.

 

Schließlich will die Szene als ernst zu nehmender politischer Akteur wahrgenommen werden. Dem einen reicht es, Fensterscheiben einzuschlagen und Farbbeutel auf symbolträchtige Objekte des Staates wie Gerichtsgebäude und Jobcenter zu werfen – der andere schmeißt Steine oder Brandflaschen auf Polizisten.

 

In einem Eintrag griechischer Militanter auf „linksunten.indymedia“ unter dem Titel „Bekennung zur Exekution des Mafioso Habibi im Juni in Exarchia“, einem linken Studentenviertel Athens, wird in einem für die Szene typischen, ellenlangen und kruden Text die Tötung eines „spezifischen Individuums“ und „potenziellen Serienmörders“ als „Notwendigkeit ... zur Beschützung des Volkes und der Bewegung“ dargestellt.

 

Die Debatte darunter zeigt den Riss, der durch das ultralinke Lager geht. Zwar könne ein solches Vorgehen „nur das allerletzte Mittel“ sein. „Aber manchmal geht es einfach nicht, ohne den Tyrannen zu besiegen.“ Andere halten dagegen: „Leider reiht sich das ein in eine ganze Folge von Gewaltphantasien auch bei uns, wo man sich z.B. auch in der Rigaer öffentlich Heckenschützen auf den Dächern wünscht. Autonome Politik sieht anders aus!“

 

Rigaer Straße 94 hat hohe Symbolwirkung in der Szene


Die gescheiterte Räumung des teilbesetzten Hauses in der Rigaer Straße 94 im Berliner Ortsteil Friedrichshain hat die zerstrittenen Szeneanhänger wieder mehr zusammengebracht. Von dem Konflikt um das Gebäude gehe „zumindest vorübergehende, identitätsstiftende Wirkung für die in den vergangenen Jahren tief gespaltene linksextremistische Szene Berlins aus“, heißt es beim Verfassungsschutz. Gründe seien „die hohe Symbolwirkung dieses Objektes innerhalb der Szene“ und das „Themenfeld der (Anti-)Gentrifizierung“.

 

Anfang 2016 hatten militante Linksextremisten dazu aufgerufen, jede Räumung „mit einer Million Euro Sachschaden“ zu beantworten. Der Appell stieß auf offene Ohren. Vor allem kleine Gruppen zogen nachts durch die Stadt und setzten Autos in Brand und legten Feuer.

 

Auch hier geht es um möglichst breite Aufmerksamkeit. Den „teilnehmenden Teams“ der „Randale-Meisterschaft“ wird empfohlen, ihre Taten „durch Flugblätter/Erklärungen/Pressemitteilungen besser nach außen hin zu vermitteln“.

 

Die regelmäßig vermummten Krawallmacher verschwinden meist unerkannt. Trifft die Polizei ein, werden ihre Fahrzeuge immer wieder von kleinen Eisenkonstruktionen mit vier Spitzen – sogenannten Krähenfüßen – gestoppt, die die Reifen zerstören.

 

Um die Lage in den Griff zu kriegen und die Chancen zu erhöhen, mehr Straftäter als bisher zu erwischen, ließ der scheidende Innensenator Henkel, der in der Szene verhasst ist wie kaum ein anderer Politiker, kurz vor der Berlin-Wahl im September eine Sonderkommission einrichten. „Es war an der Zeit, unsere Kräfte zu bündeln“, sagt ein Beamter.

 

Zahlreiche Politiker wurden Opfer linksextremer Gewalt

 

Beobachter rechnen damit, dass die Zahl der Gewaltdelikte in diesem Jahr stark ansteigen wird. Zuletzt war sie rückläufig: Nach der „Lagedarstellung Politisch motivierte Kriminalität in Berlin 2015“ des Landeskriminalamtes lag die Zahl der Gewaltdelikte 2014 bei 496, ehe sie 2015 auf 361 sank.

 

Auch bei den in der Statistik erfassten „sonstigen Delikten“, besonders Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fiel der Wert im selben Zeitraum von 877 auf 598. Nach Polizeischätzungen könnten die Werte in diesem Jahr deutlich zulegen, der Anstieg dürfte demnach im unteren dreistelligen Bereich liegen.

 

Zahlreiche Politiker von CDU und AfD wurden bereits Opfer linksextremer Gewalttäter, die die Parteien als „faschistisch“ und „rassistisch“ betrachten. Experte Schroeder beklagt, dass linksextreme Gewalt nach wie vor nicht generell geächtet werde. „Noch immer wird im gemäßigten linken Lager linksextreme Gewalt mitunter als gute Gewalt angesehen nach dem Motto: Wenn der AfD-Politiker auf die Fresse kriegt, trifft es den Richtigen.“

 

Besonders die Flüchtlingspolitik dient nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes als Motiv zur Rechtfertigung von Gewalt gegen Einrichtungen des Staates und deren Repräsentanten. Ihnen werde „institutioneller Rassismus“ unterstellt, mit dem Privilegien der „weißen Mehrheitsbevölkerung“ verteidigt würden. Im Jargon der Szene wird diese abstruse Behauptung demnach so formuliert: „Nazis morden, der Staat schiebt ab, es ist das gleiche Rassistenpack.“

 

Selbst Terrorgruppen wie die RAF können Vorbilder sein

 

Stets werden „Aktionen“ – oft begleitet von Selbstmitleid – als Verteidigung von „autonomen Freiräumen“ verklärt. Die Situation in der Rigaer Straße sei „nicht neu im Bemühen des Staates, selbstbestimmte Räume zu beseitigen“, heißt es in der Szene. Ganz so, als kämen Linksextremisten völlig ohne den Staat aus, als würden sie nicht steuerfinanzierte Straßen und niemals subventionierten Nahverkehr nutzen.

 

Selbst Terrorgruppen wie die Rote-Armee-Fraktion spuken heute in den Köpfen gewaltbereiter Linksextremisten als mögliche Vorbilder herum. In einer Diskussion über „martialische Bullenangriffe“ in der Rigaer Straße erklärt ein Szeneanhänger bei „linksunten.indymedia“ in Erinnerung an die gewaltsame Räumung eines besetzten Hauses in der Hamburger Ekhofstraße im Mai 1973: „Ein Ergebniss der Eckhofstrase war die Gründung der RAF! Vielleicht ist es ja diese Konsequenz, die heute fehlt?“ Auch findet man martialische Parolen wie „Henkel in den Kofferraum“ – die Metapher spielt auf die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die RAF an.

 

Der Verfassungsschutz beobachtet diese Diskussionen nach Worten seines Chefs sehr genau. „Eine Lehre aus dem NSU sollte sein, dass die Sicherheitsbehörden solche Entwicklungen niemals gänzlich ausschließen“, sagt Palenda. Aktuell lägen keine Indizien vor, die auf den Aufbau einer linksextremistischen Terrororganisation deuteten.

 

Politikwissenschaftler Schroeder sieht das ähnlich. In der Szene würden zwar vor allem Ex-Mitglieder der beiden nicht leninistischen Terrorgruppen Bewegung 2. Juni und Revolutionäre Zellen als Helden verehrt. Die Gründung einer linken Terrororganisation sei allerdings unwahrscheinlich.

 

„Es fehlt schlicht das Umfeld, wie es in den 70er-Jahren existierte, aus offenen und klammheimlichen Sympathisanten und Wegguckern“, sagt der Experte. Zudem sei die Angst vor Verfolgungsdruck sehr hoch. Anders sähe es vielleicht aus bei einem Ereignis, das die Szene schwer träfe – etwa, wenn ein Mitglied bei einem Polizeieinsatz ums Leben käme. „Das könnte die Entschlossenheit, auf organisierte terroristische Gewalt zu setzen, erhöhen.“