Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Recht und Faschismus" des Arbeitskreises kritischer Jurist_innen Freiburg.
Ralf Oberndörfer, Rechtshistoriker und Jurist
9. November 2016, 20 Uhr, Uni Freiburg, Kollegiengebäude I, HS 1199
Die historische Aufarbeitung und Erforschung des NS-Regimes wurde wesentlich geprägt von den Strafprozessen gegen die Akteure des Regimes und den Versuchen, derartige Prozesse zu verhindern. Die Bemühungen waren keineswegs geradlinig, sondern waren geprägt von widersprüchlichen Interessen und sich verändernden Rahmenbedingungen. Nach einer Phase erhöhter Prozessdichte ordneten die Alliierten in Ost und West das Strafverfolgungsinteresse den strategischen Interessen des Kalten Krieges unter und sahen in beiden deutschen Staaten Bündnispartner bzw. Bollwerke gegen Kapitalismus oder Kommunismus.
BRD und DDR schoben sich Ursachen und Kontinuitäten des NS-Regimes gegenseitig zu und übten sich in Halbherzigkeiten und Beschweigen. Von den späten fünfziger Jahren bis in die achtziger Jahre waren NS-Prozesse vor allem der Versuch, im Systemkonflikt die eigene moralische Überlegenheit als eigentliche und einzige Demokratie zu beweisen. Das Aufklärungsinteresse stand hintan und wurde in der BRD durch die alten NS-Justizeliten, in der DDR durch das Entlastungsparadigma des Antifaschismus behindert.
Der Referent: Ralf Oberndörfer ist Volljurist und arbeitet als freiberuflicher Rechtshistoriker in Berlin (HISTOX - Institut für Geschichtsarbeit). Er ist seit 2015 Vorsitzender des Forum Justizgeschichte e.V. Er unterrichtet Rechtsreferendar_innen als Dozent für das Kammergericht und Polizeianwärter_innen an der FH der Polizei des Landes Brandenburg. Für die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem war er jahrelang als Rechercheur in verschiedenen Archiven tätig.