So groß ist das „Reichsbürger“-Problem der Polizei

Erstveröffentlicht: 
24.10.2016
In mehreren Bundesländern laufen Disziplinarverfahren gegen "Reichsbürger" in der Polizei, einige sind suspendiert.
  • Auch die Bundespolizei nimmt das Problem ernst: Derzeit wird gegen zwei Beamte mit zweifelhafter Ideologie ermittelt.
  • Die Verfahren richten sich auch gegen andere rechtsextreme Gruppierungen, insbesondere in Berlin und Baden-Württemberg.

 

Warum das wichtig ist:
Die "Reichsbürger" galten lange lediglich als Spinner und Querulanten. Seit den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten wird befürchtet, dass man das Problem unterschätzt hat.

Lange galten die selbst ernannten „Reichsbürger“ mehr als Spinner, Querulanten und Verschwörungstheoretiker denn als Risiko für die innere Sicherheit Deutschlands. Seit am vergangenen Mittwoch einer von ihnen, der 49-jährige Wolfgang P., im mittelfränkischen Georgensgmünd auf vier Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos geschossen und einen Beamten getötet hat, wird warnend über die Bewegung gesprochen, zu deren Ideologie der Glaube an das Fortbestehen des Deutschen Reichs gehört. Vor allem steht nun die Frage im Raum, ob „Reichsbürger“ nur spinnerte Außenseiter sind - oder womöglich schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen sein könnten.

 

Umso geschockter zeigte sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, als er einen Tag nach der Tat mitteilen musste, dass es „Reichsbürger“ auch innerhalb der bayerischen Polizei gebe. Gegen vier Beamte werden derzeit entsprechende Disziplinarverfahren geführt, zwei von ihnen wurden bereits suspendiert.

 

„Wir nehmen das sehr, sehr ernst. Und es ist völlig klar: Wenn sich hier ernsthafte Zweifel an der Verfassungstreue zum Freistaat Bayern und der Bundesrepublik Deutschland ergeben sollten, dann müssen diese Beamten den Dienst verlassen“, sagte der CSU-Politiker.

 

Zudem gab es in den letzten Jahren weitere rechtsextreme Vorfälle innerhalb der bayerischen Polizei wie das Schmieren von Hakenkreuzen auf einer Dienststelle und volksverhetzende Kommentare von Beamten im Internet. 

 

Bundespolizei nimmt Problem sehr ernst


Angesichts von mehr als 40.000 Mitarbeitern bei der bayerischen Polizei scheinen es bislang nur Einzelfälle zu sein, die jedoch aufhorchen lassen. Und es gibt diese Fälle nicht nur im Freistaat. In mehreren Bundesländern laufen nach Informationen der „Welt“ derzeit Disziplinarverfahren gegen Polizisten wegen Zugehörigkeit zur Bewegung der „Reichsbürger“ oder zu anderen rechten Gruppierungen – beispielsweise in Berlin, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

 

Zudem führt die Bundespolizei Disziplinarverfahren gegen zwei Beamte, deren Ideologie sich mit dem Gedankengut der „Reichsbürger“ überschneiden soll. Ziel sei die Entfernung dieser Polizisten aus dem Beamtenverhältnis beziehungsweise die Aberkennung des Ruhegehalts, wie ein Sprecher mitteilte.

 

Rechtsextremisten in der Bundespolizei? Wie ernst die Behörde diese Problematik nimmt, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2012. Damals war ein Beamter aus dem Landkreis Rosenheim in Verdacht geraten. Die hauseigene Eliteeinheit GSG 9 kam zum Einsatz und stürmte das Anwesen des Kollegen. Er soll Kontakte zu rechtsextremen Organisationen gehabt haben, beispielsweise zur „Europäischen Aktion“, einer Gruppierung, die den Holocaust leugnet. Zwar wurde er vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen, aber das Disziplinarverfahren gegen ihn ist noch anhängig. Es geht auch hier um die Frage, ob er weiterhin ein Ruhegehalt beziehen darf. 

 

In Sachsen-Anhalt sind die „Reichsbürger“ angekommen


Die meisten Disziplinarverfahren gegen Polizisten, die im Verdacht stehen, rechtsextreme Bewegungen zu unterstützen, werden aber in der Hauptstadt geführt. Sechs Beamte stehen derzeit im Fokus, drei von ihnen sind bereits suspendiert. „Reichsbürger“ gehören nicht dazu, obwohl es entsprechende Verfahren in der Vergangenheit durchaus gegeben hatte.

 

In Baden-Württemberg ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Disziplinarverfahren, die dort gegen Polizisten geführt werden, richten sich gegen Beamte, die rechtsextremen Gruppierungen, aber nicht der „Reichsbürger“-Bewegung nahestehen sollen. Es handele sich um eine einstellige Zahl, wie ein Sprecher des Innenministeriums erklärte.

 

In der Polizei von Sachsen-Anhalt scheinen die „Reichsbürger“ dagegen angekommen zu sein. In dem Bundesland werden gegenwärtig gleich vier Disziplinarverfahren gegen Anhänger dieser Bewegung geführt, drei von ihnen sind bereits suspendiert. Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es einen Verdachtsfall. Dort wird derzeit im Rahmen eines Disziplinarverfahrens gegen einen Polizeibeamten geprüft, ob dieser mit den „Reichsbürgern“ in Verbindung steht.

 

Bereits vor zwei Jahren war ein Dortmunder Polizeikommissar suspendiert worden, weil er der „Reichsbürger“-Bewegung zugerechnet wurde. Innenminister Ralf Jäger (SPD) fand zu dem Vorgang damals klare Worte: „Wer unserem Staat und seinen Gesetzen jede Legimitation abspricht, hat keinen Platz in der nordrhein-westfälischen Polizei.“