Sachsens GdP-Chef Hagen Husgen über Fahndungspannen, Personalnot und fehlende Rückendeckung
Dresden. Heute und morgen findet in Dresden der Landestag der sächsischen Gewerkschaft der Polizei (GdP) statt – es ist die erste Delegiertenversammlung seit 2010. Im Vorfeld redet GdP-Landeschef Hagen Husgen (52) Klartext. Sein Fazit: Die Polizei ist kaputt gespart worden und wird von der Politik im Stich gelassen.
Die sächsische Polizei hat zuletzt keine gute Figur gemacht, die gescheiterte Festnahme des mutmaßlichen Terroristen Dschaber al-Bakr machte Schlagzeilen. Wie sehen Sie die Aktion im Nachgang?
Die Festnahme ist sicherlich nicht lehrbuchhaft gelaufen und es sind zuvor wohl auch Fehler passiert – ausschlaggebend ist aber das Ergebnis. Was mir sauer aufstößt ist, dass die Polizisten wie Trottel hingestellt werden. Und das nicht zum ersten Mal. Das ärgert mich und meine Kollegen wahnsinnig, ja, das finde ich zum Kotzen. Denn die Polizei in Sachsen hat in den vergangenen Jahren unter schwierigsten Bedingungen eine sehr gute Arbeit geleistet. Wir sind von der Politik im Stich gelassen worden, mussten Stellenstreichungen in Größenordnungen ertragen und kompensieren. Dass das nicht spurlos an der Polizei vorbeigeht, dürfte jedem klar sein, der einigermaßen bei Verstand ist.
Weshalb ist die Lage so kritisch, wie Sie sie beschreiben?
Die Aufgaben sind immer mehr geworden. Nur drei Stichworte: Die hohe Zahl der Flüchtlinge und die Angriffe auf deren Unterkünfte, der enorme Anstieg großer Demonstrationen wie Pegida und Legida, die vier Aufstiege im Fußball und die Absicherung der Spiele. Das alles geht mit einer permanenten Personalnot einher, die mit hohen Krankenständen und steigenden Überstunden verbunden ist. Weil die Beamten völlig überlastet sind, lässt die Konzentration nach. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass auch mal ein Fehler bei der Polizei passiert. Natürlich hätten in Chemnitz, bei der gescheiterten Festnahme von Dschaber al-Bakr, ein zweiter Sicherungsring installiert und anschließend eine Ringfahndung ausgelöst werden müssen. Ob das ausreichend geschah, bezweifle ich, und die Vermutung liegt nahe, dass die dafür notwendigen Leute einfach nicht zur Verfügung standen.
Wurde die Größenordnung von der Einsatzleitung nicht erkannt?
Nein, die wussten schon, was sie – eigentlich – tun müssen. Es ist einfach schändlich, immerzu die Polizisten in den Fokus zu stellen. Außerdem: Wir haben in der letzten Zeit, zum Beispiel bei der Einheitsfeier, auch sehr gute Arbeit erbracht.
Auch da hagelte es Kritik.
Die Polizei musste gegen linken Gegenprotest einschreiten, weil Farbbeutel und Flaschen geworfen wurden. Es sieht natürlich unschön aus, wenn die Polizei gerade mal 30 Leute einkesselt – doch diese 30 Leute haben uns durch ihre Aggressivität zum Eingreifen gezwungen. Im Gegensatz dazu mussten die Kollegen die 3000 Pegida-Teilnehmer demonstrieren lassen, da dort alles reibungslos verlief – und nicht, weil die sächsischen Beamten auf dem rechten Auge blind sind, was uns im Nachhinein unterstellt wird. Dagegen verwahre ich mich ausdrücklich. Seltsamerweise gibt es die ersten lauten Stimmen immer aus der Politik, die sich an Schlagzeilen aufgeilt, ganz nach dem Motto: Was ist denn heute schon wieder in Sachsen los? Da wird nicht gefragt, weshalb manche Sachen nicht ordentlich laufen konnten.
Die Polizei trifft also keine Schuld?
Nochmal: Ich will nichts unter den Teppich kehren – was nicht richtig gelaufen ist, muss herausgefunden und benannt werden, das ist klar. Doch die eigentlich Verantwortlichen, die vor Jahren beschlossen haben, dass 4000 Polizisten abgebaut werden müssen, verkriechen sich im letzten Loch. Von denen hört man nie etwas, da ist keine Rede von einer Unterstützung der Polizei.
Innenminister Markus Ulbig (CDU) hat auf einer Pressekonferenz die Polizei gelobt.
Ich erwarte ein ganz deutliches Signal von Markus Ulbig, unserem obersten Dienstvorgesetzten, und auch von der Polizeiführung, von dem Landespolizeipräsidenten. Die Kritik an der miserablen Situation wird immer der Gewerkschaft überlassen – und aus dem Ministerium, von oben, wird alles schöngeredet. Es kann doch nicht sein, dass von dort keine knallharte und klare Rückendeckung für die Polizisten kommt.
Im Doppelhaushalt sind für 2017 insgesamt 138 zusätzliche Stellen eingeplant, für 2018 noch 40 Stellen. Wie erklären Sie sich diese niedrigen Zahlen?
Das kann mir niemand erklären. Es ist beschlossen, dass wir tausend Polizeistellen mehr im Freistaat bekommen sollen. Dass es für die Besetzung einige Zeit braucht, vor allem aufgrund der Ausbildung, ist verständlich. Doch dass jetzt nur etwa ein Sechstel der zugesagten Stellen in den nächsten beiden Jahren kommen soll, finde ich eine Unverschämtheit – sowohl gegenüber den Polizisten, als auch gegenüber der Bevölkerung. Die Kriminalitätsstatistik zeigt beispielsweise, dass Sachsen seit 2009 von Platz vier der sichersten Bundesländer auf Rang elf abgerutscht ist. Wenn jetzt nur 178 Stellen im Doppelhaushalt vorgesehen sind, ist das ein Armutszeugnis. Der Freistaat müsste den Weg andersrum gehen: Das Geld für die tausend Stellen bereithalten – und dann bis Ende 2018 so viele besetzen, wie es geht. Stattdessen legt man lieber die Hände in den Schoß und wartet ab, was kommt.
Es sollen auch ältere Beamte angeworben werden, länger Dienst zu schieben. Welche Anreize gibt es hier?
Überhaupt keine. Die Polizisten sollen ihren verdienten Ruhestand für einen feuchten Händedruck hinausschieben. Andere Bundesländer und auch der Bund legen zehn Prozent auf das Monatsbrutto drauf. Das ist dem Freistaat aber zu teuer. Auch für das Anwerben von bereits ausgeschiedenen jüngeren Kollegen, die bundesweit per Ausschreibung gesucht wurden, gibt es kaum Geld. Da soll mir noch jemand aus der Regierung erzählen, man versuche alles, um mehr Polizisten auf die Straße zu bekommen. Was jetzt passiert, ist symptomatisch: Der Finanzminister macht die Sicherheitspolitik.
Im Kultusministerium gibt es ähnliche Pläne, um ältere Lehrer zu halten. Hier scheinen die Gelder lockerer zu sitzen.
Genau das ist es ja: Wenn sich derjenige Minister oder diejenige Ministerin für seine Leute stark macht, klappt es auch. Doch Markus Ulbig ist leider nicht Frau Kurth aus dem Kultusministerium, die die Schwierigkeiten an den Schulen offensichtlich erkannt hat. Das Innenministerium wartet lieber bis 2026, um die Stellen zu besetzen. Ich erwarte jetzt ein klares Signal von Ministerpräsident Tillich – er muss zeigen, wer der Chef ist.
Interview: Andreas Debski