[MV] Demonstration gegen rassistischen Anschlag in Neubrandenburg

Demonstration auf dem Datzeberg

Etwa 150 Menschen gingen am Samstag in Neubrandenburg gegen einen rassistischen Brandanschlag auf die Straße. Die Beteiligung von Anwohner_innen, Antifas und zivilgesellschaftlichen Akteuren fiel gering aus. Das Verhalten einiger Veranstaltungsteilnehmer_innen ist kritikwürdig. Nennenswerte Störungen durch Rassist_innen blieben aus.

 

Bei feucht-kaltem Wetter sammelten sich am Platz der Familie am Samstag etwa 150 Menschen, um auf einen mutmaßlich rassistisch motivierten Brandanschlag aufmerksam zu machen und sich gegen rassistische Hetze und Gewalt auszusprechen.

Das Bündnis Neubrandenburg Nazifrei! hatte zu der Versammlung aufgerufen, nachdem bislang Unbekannte in der Alfred-Haude-Straße auf dem Neubrandenburger Datzeberg in der Nacht vom 1. zum 2. Oktober Möbelstücke vor der Wohnungstür einer syrischen Familie in Brand steckten. Dabei verkohlten die Türen der Etage stark. Zahlreiche Menschen mussten von der Feuerwehr gerettet werden. Ihnen war der Fluchtweg durch den Qualm im Treppenhaus versperrt. Drei Kinder und ein älterer Mann wurden mit einer Rauchgasvergiftung in das Krankenhaus gebracht. Nur mit Glück entgingen zahlreiche Betroffene des nächtlichen Anschlags dem Tod.

 

Die Demonstration begann zunächst mit einer Kundgebung auf dem zentralen Platz des Viertels. Zu den Redner_innen der Auftaktkundgebung gehörte neben dem stellvertretenden Neubrandenburger Bürgermeister unter anderem auch die Landtagspräsidenten Sylvia Brettschneider (SPD). Brettschneider scheute sich die Tat als einen rassistische motivierten Mordversuch zu benennen. Stattdessen betonte sie in ihrer Rede gebetsmühlenartig, dass auf den schlimmen Anschlag nun besonnen reagiert werden müsse und das Gewalt hier völlig fehl am Platze sei. Warum in ihrer Rede die Forderung nach gewaltfreier Reaktion auf den Anschlag mehr Raum einnahm, als die Tat selbst oder das Desinteresse der Zivilgesellschaft, der sozialen Initiativen und Vereine, bleibt ihr Geheimnis. Auch an der Demonstration selbst nahm sie mit der Begründung, sie sei gesundheitlich angeschlagen und müsse sich in der kommenden Woche schon im Parlament wieder mit denen Auseinandersetzen, die versuchten unsere Gesellschaft zu spalten, nicht teil. Das Kürzel AfD vermied sie dabei bewusst. Beobachter_innen vermuten, dass Brettschneider nicht unbedingt mit den vorwiegend aus dem Antifa-Spektrum stammenden Demonstrant_innen gesehen werden wollte.

 

Diese bildeten den Großteil der wenigen Veranstaltungsteilnehmer_innen. Die Bitte der Organisator_innen möglichst nicht im schwarzen Einheitslook zu erscheinen, ignorierten Viele und so machte der Umzug ein eher abschreckendes Bild auf die wenigen Passant_innen, die auf den Straßen unterwegs waren. Diesen Eindruck verstärkte überdies das Gegröhle der Demonstrationsspitze, die immer wieder die völlig unpassende Parole von Feuer und Flamme den Abschiebebehörden anstimmte. Bei einer Demonstration anlässlich eines rassistischen Brandanschlags, ist diese für Außenstehende nur schwer verständliche Parole geschmacklos und missverständlich.

Die Außenwirkung einer Demonstration ist ein Punkt, der immer wieder vernachlässigt wird, bei Anwohner_innen und Passant_innen aber große Beachtung findet. Interesse und Sympathien für das eigene politische Anliegen erweckt man nicht durch Abschreckung und verbalradikales Auftreten.

 

Im weiteren Verlauf passierte die Demonstration viele Straßen des Viertels und sammelte sich zur Zwischenkundgebung am Tatort. Während von außen lediglich an rußigen Schatten über den Treppenhausfenstern zu erkennen war, dass es hier kürzlich gebrannt hatte, war das Treppenhaus noch stark verrußt und roch deutlich. Am vor der Tür aufgestellten Schuttcontainer prangte eine Hakenkreuzschmiererei.

 

Anwohner_innen und Nachbarn standen der Demonstration eher reserviert gegenüber. Sehr wenige beteiligten sich an dem Umzug. Einige schauten interessiert zu, der Großteil betrachtete die Veranstaltung kritisch oder verschwand flugs in Hauseingängen. Ein stark angetrunkenes Trio pöbelte, wurde jedoch von Antifaschist_innen in Schach gehalten. Die Polizei beschränkte sich auf die Regelung des Verkehrs. Der Umzug endete mit einem Stadtteilbegegnungsfest am Ausgangspunkt.

 

Neben der Gleichgültigkeit der Anwohner_innen gegenüber dem rassistischen Anschlag, erschreckt insbesondere die geringe Zahl der Demonstrationsteilnehmer_innen. Das zivilgesellschaftliche Spektrum war deutlich unterrepräsentiert, die Zahl der Teilnehmer_innen aus Neubrandenburg war sehr gering und auch die magere überregionale Teilnahme von Antifaschist_innen aus den angeblichen linken Hochburgen MVs war angesichts des Anlasses erschütternd. Die alltäglichen rassistischen Aufmärsche, die Hetze und die Gewalt hat scheinbar selbst Antifas im Bundesland so stark abgestumpft, dass sie nicht einmal mehr bei einem rassistischen Mordanschlag die Notwendigkeit antifaschistischer Intervention erkennen. Mit dieser Tendenz muss sich auseinandergesetzt werden. Es braucht eine starke antifaschistische Bewegung, die Präsenz zeigt und Rassist_innen und Faschist_innen die Stirn bietet.

 

Der Angriff auf Geflüchtete in Neubrandenburg wird leider nicht der letzte gewesen sein. Beinahe täglich hört man von rassistischen Attacken in Mecklenburg-Vorpommern. Untermalt werden diese Angriffe von rassistischen Sprüchen des Innenministers Lorenz Caffier (CDU) und der nun auch im Landtag vorgetragenen Hetze der AfD. Die Zeit der Kneipenabende und Selbstbeweihräucherung muss enden. Statt darauf zu warten, dass die Nazis in MV wieder jemanden mit "Erfolg" töten, müssen die jüngsten Ereignisse als deutliche Signale ausreichen, um aktiv zu werden und den Menschenfeinden ernsthaft entgegen zu treten. Antifa in MV muss wieder in die Offensive!

 

Bilder bei Nils Borgwardt

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"Das zivilgesellschaftliche Spektrum war deutlich unterrepräsentiert"

 

Das ist bei viel zu vielen Demos und Aktionen gegen die Rassisten und die Nazis der Fall. Und es wird so bleiben, solange naive Möchtegern-Himmelsstürmer_innen (und auch Leute, die man guten Gewissens Chaoten und Gewaltbereite nennen kann) nicht kapieren, was schon oben steht:

"Die Außenwirkung einer Demonstration ist ein Punkt, der immer wieder vernachlässigt wird,..."

Die Argumente und Ziele der Antifa gegen Faschisten, Rassisten und Nationalisten sind gut genug, um sie zu erklären. Wer mit Feuer, Flamme und Gewalt das System ändern will, ist und bleibt aber nur ein_e elende_r Brandstifter_in.

An wen richtet sich dein Gepöbel? Hast du tatsächliche Verbesserungsvorschläge oder ist alles was du aussagen willst: "Die Antifa ist selber Schuld, wenn zu Demos gegen rassistische Gewalt nur wenig Menschen des "zivilgesellschaftlichen Spektrums" kommen."?

Nenne es ruhig "Gepöbel", wenn Menschen versuchen aus der bestehenden Situation das Beste rauszuholen; es braucht tatsächlich auch Visionär_innen. Aber definitiv keine weiteren Schläger und Brandstifter.

Und Ja, Ich habe Verbesserungsvorschläge. Ich wünsche mir, dass die radikale Linke endlich kapiert, dass man nicht mit Gewalt gegen Gewalt argumentieren bzw. vorgehen kann, ohne selbst Täter_in zu werden.

Das System ist SCHEISSE, Nationalismus ist SCHEISSE, Rassismus ist SCHEISSE und Faschismus ist auch SCHEISSE.  Aber: Gewalt ist eben auch Scheisse. Kapiert endlich, dass der rechte Dreck nur MIT der Mitte der euch ach so verhassten 'Zivilgesellschaft' wegzubringen ist, wenn es nicht wie '33 enden soll.

Wenn es doch so kommen sollte, wird man im Rückblick feststellen müssen, dass die radikalen Linke zu schwach war, um den gewaltbereiten Rechten den Garaus zu machen und es leider wieder nicht geschafft hat, die Mitte gegen den rechten Dreck zu mobilisieren. Schade, oder?

 

Schuld oder Unschuld: Teile der Antifa versemmeln zu oft die Chancen einer guten Sache, weil sie selbst ideologisch vernagelt sind. Das ist der Punkt.

Du bringst Antifaschist_innen in einen Zusammenhang mit "Schläger und Brandstifter" - und stellst sie damit in eine Reihe mit rassistischen Brandmördern. Was soll das?

 

Zur Gewaltdebatte: so pauschal, wie du hier argumentierst, möchte ich dir entgegenhalten: Die Rote Armee hat Berlin auch nicht mit Hilfe von Menschenketten befreit und YPJ/YPG hat Kobané nicht mit Blumenkränzen gehalten.

 

Ja, Gewalt ist verabscheuungswürdig. Deswegen geht die radikale Linke auch kritisch mit Gewalt um - im Gegensatz zur "Mitte der Zivilgesellschaft", die sich allzuoft ganz aufgeregt gibt, wenn Gewalt offen sichtbar wird. Aber die Gewalt ist alltäglich und allgegenwärtig. Ob es das Zwangssystem Schule ist, patriachale Verhältnisse, Lohnabhängigkeit. Alles gewalttätige Verhältnisse, die im Zweifelsfall auch physische Gewalt anwenden. Aber was hat der Franzose auch in Demmin auf 'ner Demo zu suchen...

 

Weiterhin: wie kommst du darauf, dass die Zivilgesellschaft der radikalen Linken verhasst wäre? Ich könnte dir jetzt eine ganze Reihe an Bündnissen aufzählen, in denen sowohl zivilgesellschaftliche, bürgerliche Akteure und Vertreter*innen antifaschistischer Gruppen zusammenarbeiten. Und das Ganze ist absolut kein Geheimnis - prominentestes Beispiel: Dresden Nazifrei.

 

Wie kommst du darauf, dass es genuine Aufgabe der radikalen Linken ist, "die Mitte gegen den rechten Dreck zu mobilisieren"?

Sollte es nicht im eigenen Interesse der Mitte, welcher ich jetzt mal liberale und christliche Vertreter*innen als auch Verfechter*innen der aktuellen Demokratie zurechne, liegen, rechtsradikale Ideen zu bekämpfen?

 

Und was ist eigentlich die Antifa? Eins ist mal sicher: ein großer Teil der Menschen in organisierten antifaschistischen Strukturen, also dessen, was gemeinhin als "Die Antifa" firmiert, versteht Antifa in einem historischen Kontext - als Antifaschistische Aktion. Und die umfasst seit jeher Linksradikale von Anarchist*innen bis Kommunist*innen über Gewerkschafter*innen zu Sozialdemokrat*innen und auch kirchlichen Aktivist*innen alle möglichen Leute.

 

Vielleicht sollten hier einige mal ihr Bild von "Antifa" überdenken und sich von rechter Propaganda lösen!

 

Mit solidarischen Grüßen - für eine  befreite Gesellschaft

"Du bringst Antifaschist_innen in einen Zusammenhang mit "Schläger und Brandstifter" - und stellst sie damit in eine Reihe mit rassistischen Brandmördern. Was soll das?"

Du willst (auf dieser Plattform!) doch nicht ernsthaft bestreiten, dass es linke Brandstifter gibt, oder? Und den (Kurz-)Schluss zwischen linken Brandstiftern/Schlägern und rechten Mördern hast DU gezogen, nicht ich.

"Wie kommst du darauf, dass es genuine Aufgabe der radikalen Linken ist, "die Mitte gegen den rechten Dreck zu mobilisieren"? [_] Sollte es nicht im eigenen Interesse der Mitte, welcher ich jetzt mal liberale und christliche Vertreter*innen als auch Verfechter*innen der aktuellen Demokratie zurechne, liegen, rechtsradikale Ideen zu bekämpfen?"

Zu diesen 'Zugerechneten' rechne ich mich auch selbst. Und ich kann dir Versprechen, dass es in meinem/unseren Interesse ist, rechtsradikale Ideen zu bekämpfen. Nur fragen sich viele in den genannten Gruppen, mit wem man denn da quasi koalliert, wenn vorne nach Feuer und Flamme gebrüllt wird, während man selbst in friedlicher Masse den rechten Scheiss bekämpfen will.


Ansonsten habe ich den Eindruck, dass du dich in deinem Beitrag um die wesentliche Kritik herumdrückst. Kobane? Berlin '45? Bist du da nicht etwas überspannt, wenn es um Neubrandenburg 2016 geht? Und natürlich muss Kapitalismuskritik sein, auch hart. Aber: Für die Bekämpfung der dumpfen Nazis (einschl. AfD) darf die Problemanalyse bitte gern etwas differenzierter sein.


Die zu diskutierende Kritik besteht nach wie vor darin, dass Teile der Antifa (oder zumindest Menschen, die sich so bezeichnen) nicht willens sind zu erkennen, dass Gewalt und Aufrufe zur Gewalt keine Basis für eine breite Gesellschaftsbewegung gegen die hier und heute auftretende braune Scheisse sind. Und das sie, im Hinblick auf die Zurückdrängung der Faschisten (aber nicht nur da), auch klar kontraproduktiv sind.

Mit solidarischen Grüßen - für eine freiheitlich und gewaltfrei befreite Gesellschaft.

Kannst du das nochmal überprüfen?

danke,

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