Der Altonaer Blutsonntag am 17. Juli 1932

Erstveröffentlicht: 
18.07.2016

Vor 84 Jahren, am 17.Juli 1932, marschierten ca. 7000 Männer der NSDAP-Sturmabteilung (SA) und der Schutzstaffel (SS), begleitet von Musikkapellen durch Altona. Der Altonaer Polizeipräsidenten Otto Eggerstedt (SPD) hatte den Demonstrationszug, mit den aus ganz Schleswig-Holstein zusammengezogenen uniformierten SA-Leuten, durch die engen Gassen der Altonaer Altstadt genehmigt. Die politisch Verantwortlichen hatten es abgelehnt, die provozierende Wirkung der Demonstration in diesem mehrheitlich kommunistisch und sozialdemokratisch geprägten Stadtteil zu verbieten, oder auf einen anderen Weg zu leiten. Eggerstedt rief die Bewohner Altonas auf, die Stadt zu verlassen und ging mit „gutem Beispiel“ voran. Die ranghöchsten Polizeiführer waren an diesem Tag nicht in Altona anwesend…

 

Demoverlauf


Die Teilnehmer versammelten sich um ca. 12.30 Uhr in der Gegend zwischen Altonaer Rathaus und Altonaer Bahnhof. Der Marsch startete etwa um 15 Uhr Richtung Ottensen und Bahrenfeld. Gegen 16.30 Uhr erreichte der Umzug die Altonaer Altstadt, damals ein dicht bebautes Arbeiterviertel. Bis dahin verlief alles weitestgehend friedlich. In dem Bereich des heutigen Walter-Möller-Parks (Karte), kam es kurz vor 17 Uhr zum Zusammenstoß zwischen der am Straßenrand stehenden Bevölkerung und SA-Leuten. Die SA-Leute prügelten auf die Gegner ein, die offenbar zuvor Gegenstände auf die Nazis geworfen hatten. Der Hamburger Polizei gelang es daraufhin nicht, die Lager zu trennen. Sie drängten die Demonstranten zum Altonaer Bahnhof zurück und forderten Verstärkung an.

 

Polizei richtet Blutbad an


Nach der ersten Prügelaktion, welche vom 1.Altonaer SA-Sturm ausging, fielen Schüsse von beiden Seiten. Zwei SA-Leute starben, drei weitere wurden verletzt. Die Täter flohen. Anrückende Polizisten, es waren nur 200 im Einsatz, glaubten von den Dächern beschossen zu werden und belegten voller Panik alles mit Feuer. 16 Personen aus der Wohnbevölkerung kamen durch Polizeikugeln ums Leben. Die meisten, oder gar alle, waren unbeteiligt. Bei dem Blutbad das sie anrichteten, sollen ca. 5000 Kugeln geflogen sein. Daraufhin herrschte auf Altonas Straßen einige Stunden Bürgerkrieg. Die Altonaer Polizei nahm Hausdurchsuchungen vor und verhaftete etwa 90 Personen. Der Tag ging in die deutsche Geschichte als ‚Altonaer Blutsonntag‘ ein.

 

Die ersten Justizmorde des deutschen Faschismus


Spätere Ermittlungen der Polizei und Justiz richteten sich ausnahmslos gegen verdächtige Kommunisten, kamen aber zu keinem Ergebnis. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, eröffnete die gleichgeschaltete Justiz jedoch die sogenannten Blutsonntagsprozesse. Der Rechtsstaat war sodann abgeschafft. Mit den gefälschten Beweisen und auf Grundlage der einseitigen Ermittlungen, Sachverständigengutachten und Zeugenaussagen, wurden ein Jahr nach dem Massaker die Kommunisten Bruno Tesch, Karl Wolff, Walter Möller, und August Lütgens wegen Mordes zum Tode verurteilt und geköpft. Es war die erste Hinrichtung von politischen Gegnern des Naziregimes. Allein in Hamburg sollten mehr als 200 folgen. 

 

Zweifel an den Beweisen – Rehabilitierung der Opfer


Die Ereignisse wurden in den folgenden 60 Jahren nie angezweifelt. Seit 1945 bemühten sich Hamburger Antifaschisten, Angehörige der Opfer und ausländische Freunde der Ermordeten um die Rehabilitierung der zu Unrecht Verurteilten. In mindestens 14 Fällen wurden Anträge auf Aufhebung der Blutsonntagsurteile von den Hamburger Staatsanwälten und Richtern ignoriert bzw. abgelehnt, immer wieder die Urteile als rechtmäßig bestätigt und die „Rechtsstaatlichkeit“ der NS-Sondergerichte hervorgehoben. Erst durch die akribischen Studien des französischen Historikers Léon Schirmann, welcher 1992 die Prozessakten ausgewertet hatte, wurden Zweifel an der Version der Geschichte laut. Schirmann fand heraus, dass die Beweise die zu der Ermordung der vier Männer führte, gefälscht waren. Die Zeugenaussagen welche Tesch, Wolff und Lütgens belasteten, waren falsch. Der Obduktionsbericht welcher angeblich Möller überführte, wurde frisiert.

 

Schirmann ist es zu verdanken, dass das Landgericht Hamburg im Jahr 1992 die Fälschung der Beweismittel anerkannte und die Todesurteile gegen die vier angeblichen Täter aufhob. Sie wurden damit offiziell als Opfer des Nazi-Regimes rehabilitiert. Die wahren Todesschützen auf Seiten der Polizei wurden jedoch nicht identifiziert. Auch die Mörder der SA-Männer konnten nicht mehr zur Rechenschaft  gezogen werden.

 

Léon Schirmann vermutete, dass die Polizei ihr eigenes Versagen am Altonaer Blutsonntag durch die gefälschten Ermittlungen vertuschen wollte.

 

Die Folgen

Die Folgen des Altonaer Blutsonntag waren verheerend und führten bis heute zu Theorien eines Komplotts. Die Ereignisse wurden von der Reichsregierung drei Tage später zum Vorwand genommen den „Preußenschlag“ durchzuführen. Die amtierende SPD-lastige preußische Regierung wurde durch eine Notverordnung abgesetzt und die demokratische Verfassung des Freistaats Preußen außer Kraft gesetzt. Auch das Verbot der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) und der Schutzstaffel (SS) wurde durch Reichskanzler Franz von Papen aufgehoben.  Die Zahl der wechselseitigen Überfälle von Nationalsozialisten und Kommunisten nahm danach erheblich zu.

Viele Recherchen kommen zu dem Ergebnis, dass nie ein wirkliches Aufklärungsinteresse bestanden habe. Möglicherweise wurde der Blutsonntag bewusst inszeniert und von langer Hand geplant wurde. Die Altonaer Polizei wird dafür kritisiert womöglich auf Weisung ‚von oben‘ zu wenig Beamte abgestellt zu haben, um sicherzugehen, dass es zwischen Kommunisten und SA-Männern auch wirklich eskalierte. Zeitzeugen berichten, dass SA-Männer wie auf Kommando ausscherten und wahllos auf Passanten einprügelten.

 

Die Polizei, Senat und Bürgerschaft haben sich bis heute nicht zur Verantwortung der Polizei für das Massaker von 1932 erklärt.

 

Weblinks:

Der Schriftsteller Robert Brack verarbeitete die Geschehnisse in seinem Roman „Blutsonntag“ (erschienen 2010 im Edition Nautilus Verlag).

Im Jahr 2012 erinnerten in Rahmen eines Stadtteilspaziergangs, rund 300 Menschen an die Ereignisse. Graswurzel TV hat ein Video darüber veröffentlicht.

Eine Radiosendung des FSK hatte den Blutsonntag zum Thema. Zu Gast waren Mitglieder von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).

Ein kurzes Filmdokument hat vimu.info veröffentlicht.

Auch in der Mediathek des NDR gibt es einen kurzen Video-Bericht über die Ereignisse.

Unter dem Titel: „Die Lüge von den Heckenschützen“ hat spiegel-online.de einen Artikel veröffentlicht.

Den Wikipedia-Artikel findet man hier.