Parteiaussteiger berichten, dass die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative von Rechtsradikalen infiltriert wurde. Die Vorwürfe richten sich nach Recherchen der BZ und dem ZDF-Magazin "Frontal 21" gegen JA-Chef Markus Frohnmaier und den Freiburger AfD-Politiker Dubravko Mandic.
Es ist der 12. Februar 2015. Der
damalige Vorsitzende der Alternative für Deutschland und
Europaabgeordnete Bernd Lucke und sein Parteifreund Bernd Kölmel sind in
Offenburg angekommen. Sie steigen in den ICE in Richtung
Hamburg-Altona. Hinter ihnen liegt eine Sitzungswoche im Straßburger
Europaparlament. Auch mehrere Nachwuchspolitiker aus dem Vorstand der
Jungen Alternative (JA) steigen in Offenburg zu. Darunter der
Bundesvorsitzende, Philipp Meyer, sein Stellvertreter Hagen Weiß sowie
zwei weitere Mitglieder der Nachwuchsorganisation. Weil der Terminplan
der AfD-Politiker eng ist, bietet es sich an, während der Zugfahrt
ungestört miteinander zu sprechen. Das Treffen ist inoffiziell.
Involviert sind nur die Beteiligten.
Die Alternative für Deutschland hat damals mit den Themen Eurokritik und
Flüchtlingspolitik ihre ersten Wahlerfolge eingefahren. Sie ist auf dem
Weg, sich einen stabilen Parteiapparat aufzubauen. Was ihr noch fehlt,
ist eine Jugendorganisation. Die Junge Alternative, in der sich junge
Parteimitglieder gesammelt haben, bietet sich an. Doch der Zustand der
JA gibt Anlass zur Sorge. Zahlreiche rechtsextreme Nachwuchspolitiker
tummeln sich in ihren Reihen.
Einer der Gesprächsteilnehmer im ICE hat einem Rechercheteam der
Badischen Zeitung und dem ZDF-Magazin Frontal 21 von der Zusammenkunft
berichtet. Er möchte anonym bleiben, weil er in der Folgezeit mehrfach
bedroht wurde. Seinen Schilderungen zufolge ist die Junge Alternative
von Rechtsradikalen unterwandert worden. Dokumente, die den Reportern
zugespielt wurden, belegen das. Kritiker behaupten, die Führung der
Nachwuchsorganisation sei von nationalistischen Scharfmachern
infiltriert. Ein Vorwurf, der sich vor allem gegen Markus Frohnmaier
richtet, den am Wochenende auf dem Bundeskongress der Jungen Alternative
in Bingen wiedergewählten Vorsitzenden. Frohnmaier hat schon früh in
der AfD Karriere gemacht. Der 25-Jährige ist heute Pressesprecher von
Parteichefin Frauke Petry. Duldet Petry Rechtsradikale in der Partei?
Das Treffen der beiden Delegationen in einem ICE-Bordbistro findet zu
einem Zeitpunkt statt, als noch andere an der Spitze der JA standen. Auf
dem Bremer Parteitag wenige Tage zuvor hatte die Organisation im Foyer
der Versammlungshalle einen Stand aufbauen dürfen, um für sich zu
werben. JA-Mitglieder gingen nicht nur auf junge Teilnehmer des
Parteitages zu, sondern bemühten sich auch, mit der Mehrzahl der Älteren
ins Gespräch zu kommen. Hinter den Kulissen hatte der Vorstand der JA
seine Fühler ausgestreckt und den Kontakt zu Bernd Lucke und Frauke
Petry gesucht, zu Marcus Pretzell und Alexander Gauland. Zu den Spitzen
der moderaten Kräfte und des rechten Flügels der AfD. Die JA soll
offiziell an die Mutterpartei angegliedert werden – in Bremen scheitert
sie mit ihrem Vorstoß noch.
Auch das Gespräch im ICE nach Hamburg soll alles andere als reibungslos
verlaufen sein. Allen voran Bernd Lucke ist über die Unterwanderung der
Jungen Alternativen durch radikale Kräfte aus dem rechten Spektrum tief
besorgt. Es geht um rechte Burschenschaftler, um Mitglieder der
Identitären Bewegung – einer rechtsextremen Bewegung, die inzwischen vom
Verfassungsschutz beobachtet wird –, um rechte Nachwuchspolitiker, die
in die JA strömen. Es kommt der Vorschlag ins Spiel, die JA neu zu
gründen. Eine solche Jugendorganisation – frei von radikalen Kräften –
könnte direkt vom Bundesvorstand der AfD angegliedert werden, so die
Überlegungen. Das Angebot ist verführerisch. Dennoch können sich nicht
alle damit anfreunden.
Der Bundesvorsitzende Philipp Meyer lehnt eine Auflösung offenbar ab. Am
Frankfurter Flughafen endet das Treffen. Tage später – nachdem bekannt
wird, dass die JA-Spitze heimlich mit der AfD über eine Neugründung
verhandelt hat – kommt es in der JA zu massiven Auseinandersetzungen.
Recherche-Kooperation: Der Badischen Zeitung wurde in den vergangenen Monaten aus unterschiedlichen Quellen eine Vielzahl Dokumente zugespielt, die Verbindungen einzelner Mitglieder der JA und der AfD in die rechte Szene belegen. In einer Recherchekooperation mit Kollegen des ZDF-Magazins Frontal 21 haben wir diese Vorgänge aufgearbeitet.
Ehemalige JA-Mitglieder, die sich dem liberalen Lager innerhalb der
Partei zurechnen, sprechen heute von Diffamierungen, Beleidigungen und
Intrigen. Sie seien massiv unter Druck gesetzt worden, die JA zu
verlassen. Von Gewalt- und Morddrohungen ist die Rede. In einer internen
E-Mail zitiert Hagen Weiß, der damalige stellvertretende
JA-Vorsitzende, aus einem an ihn gerichteten anonymen Drohbrief: "Du
scheiß Zugverräter!!! Tritt sofort zurück und verschwinde aus der AfD,
du dreckiges Vieh. Lass dich nie wieder blicken und wenn du auf den
nächsten Bundeskongress gehst, schießen wir dich ab!!!"
Der rechte JA-Flügel verfasst in der Folgezeit mehrere Stellungnahmen.
Die Unterzeichner – darunter Markus Frohnmaier – sprechen von Verrat und
einer feindseligen Haltung gegenüber der JA, die nicht geduldet werden
könne. Sie fordern eine Neuwahl des Vorstands. In einer weiteren
Stellungnahme, die dieser Zeitung vorliegt, ist von Verschwörern und
Verrätern die Rede. Der Ton ist scharf.
Hagen Weiß verlässt schließlich die Junge Alternative. In seinem
Austrittsschreiben heißt es, dass in der Jungen Alternativen
"extremistische Tendenzen vorsätzlich billigend in Kauf genommen"
würden. Radikale Stimmen in der JA, heißt es in dem Dokument weiter,
wollten die Werte und Ziele der AfD nicht ergänzen, sondern durch
eigene, fundamentalistische ersetzen. Ein anderes ehemaliges JA-Mitglied
aus dem Führungszirkel der Jugendorganisation sagt: "Die JA ist von
einschlägigen Burschenschaften und Identitären letztlich übernommen
worden." Auch die Autonome Antifa Freiburg kommt in einem im März
veröffentlichten Dossier zu diesem Ergebnis.
Der Richtungskampf in der JA spiegelt den Richtungskampf in der AfD
wider. Zwischen dem wirtschaftsliberalen Flügel, der sich um Bernd Lucke
gruppiert, und dem nationalkonservativen Flügel, den damals Frauke
Petry anführt.
Hat das Treffen im ICE dazu beigetragen, die Eskalation zwischen Petry
und Lucke zu beschleunigen, der wenige Monate später in Essen bei einer
Kampfabstimmung unterliegt und sich aus der AfD zurückzieht? "Petry
hatte den perfekten Anlass, Lucke und Co. den Krieg zu erklären", sagt
einer der Teilnehmer des ICE-Treffens.
Auch in der JA setzt sich der rechte Flügel durch. Unter der Führung von
Markus Frohnmaier wird die JA als Jugendorganisation der AfD anerkannt.
Auf dem Bundesparteitag in Hannover im November 2015 wird ein
entsprechender Antrag ohne große Aussprache durchgewunken. In der Partei
steht die Jugendorganisation ganz rechts. Nicht nur, was scharfe Thesen
gegen Migranten und für Putin-Russland angeht. Frohnmaier gilt als
rechter Hardliner, als Vertrauter des thüringischen AfD-Politikers Björn
Höcke. Im Netz hat er gepostet: "Björn Höcke schenkt uns jungen
Menschen den Glauben an eine sichere Zukunft." Nach den Anschlägen im
südfranzösischen Nizza fordert Frohnmaier in einer Erklärung einen
Einreisestopp für Muslime. Für die nächsten Jahre dürfe es keinen
einzigen ausländischen Muslim geben, der nach Europa kommt.
Ein JA-Aussteiger sagt: "Die JA ist von der Stärke innerhalb der AfD
sehr tonangebend. Kein Vergleich mit irgendwelchen anderen Partei- und
Jugendorganisationen." Sie bestehe aus überaktiven jungen Leuten, die
ihre Kraft aufwenden, um innerhalb der AfD ihre Interessen
durchzusetzen. "Sie vernetzen sich innerhalb der JA und agieren dann in
der AfD."
Hartnäckig hält sich außerdem das Gerücht, dass Markus Frohnmaier Geld
von russischer Seite angenommen habe, um seine Aktivitäten in der Jungen
Alternativen zu finanzieren. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel
berichtete Ende April bereits von intensiven Kontakten der Jungen
Alternative zur "Jungen Garde", der Jugendorganisation des russischen
Präsidenten Wladimir Putin und seiner Partei "Einiges Russland". Auch
seien Frohnmaier und Marcus Pretzell, Vorsitzender des
AfD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen und Lebensgefährte von Frauke
Petry, ohne Genehmigung ukrainischer Behörden auf die von Russland
völkerrechtswidrig annektierte Krim gereist. Ex-JA-Mitglieder
berichteten dieser Zeitung von einem Besuch Frohnmaiers mit einer
Delegation in der russischen Botschaft in Berlin. Im Internet kursieren
entsprechende Bilder. Frohnmaier selbst bestreitet finanzielle
Verbindungen nach Russland. Er habe lediglich Reisekosten für Seminare
erstattet bekommen.
Zu den Unterstützern von Markus Frohnmaier zählt auch der AfD-Politiker
Dubravko Mandic. Gegen Mandic wurde Ende 2014 ein
Parteiausschlussverfahren eingeleitet, nachdem er im Internet
US-Präsident Barack Obama als "Quotenneger" bezeichnet hatte. Nachdem
Frauke Petry den Machtkampf innerhalb der AfD für sich entscheiden
konnte und den Parteivorsitz übernahm, verlief sich das Verfahren jedoch
im Sand. Mandic gilt als Netzwerker, der Radikale aus
nationalkonservativen Studentenverbindungen oder der Identitären
Bewegung in die AfD holt. Der Rechtsanwalt und Burschenschaftler soll in
Freiburg an rechtsradikalen Feiern im Haus seiner Studentenverbindung
Saxo-Silesia teilgenommen haben. Aus dem Umfeld der Burschenschaft heißt
es, dass die Saxo-Silesia aufgrund dieser Vorkommnisse im Rahmen eines
Ehrenverfahrens einen auf eineinhalb Jahre befristeten Ausschluss gegen
Mandic verhängt habe. Dieser Beschluss ist aber bislang noch nicht
rechtskräftig.
Inzwischen spricht sich Mandic offen für eine inhaltliche Zusammenarbeit
mit der Identitären Bewegung aus. Auf der Internetseite der
"Patriotischen Plattform", eines Zusammenschlusses in der AfD, schreibt
er, personell seien die AfD und vor allem die JA bereits mit der IB
verbunden. Er plädiert lediglich dafür, "Vorstände der JA oder AfD
sollten nicht gleichzeitig in führender Funktion bei der IB tätig sein".
Dies sei der "Tribut" der AfD "an das System". Mandic selbst hat Fotos
im Netz gepostet, die ihn auf einer Demonstration der IB in Wien zeigen.
Dass die Identitäre Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet wird, sei
eine Frechheit, sagt Mandic. Sein Engagement für offenkundig
rechtsextremistische Organisationen ist problematisch – er ist Mitglied
im Schiedsgericht der baden-württembergischen AfD. Das Gremium ist auch
für Parteiausschlussverfahren zuständig – auch im Fall des wegen
antisemitischer Äußerungen in der Kritik stehenden
AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon.
Die Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth von der Universität Gießen
hält die Junge Alternative inzwischen für gefährlich. Der Nachwuchs
rücke die Gesamtpartei immer weiter nach rechts. Die JA spiele in diesem
Radikalisierungsprozess eine große Rolle. "Ob es Deutsch-Nationalismus
ist, ob es völkisches Denken ist, ob es antifeministische Positionen
sind. Man hofft, dass die AfD jetzt die politische Kraft werden könnte,
die das alles ändert. Und die ganz Radikalen hoffen, dass das
tatsächlich den politischen Umsturz herbeiführen wird", sagt Kurth.
Und Frauke Petry? Sie schweigt. Die AfD-Parteichefin will sich zu
radikalen Kräften beim AfD-Nachwuchs nicht äußern. Weder zu Markus
Frohnmaier noch zu Dubravko Mandic.
Identitäre Bewegung
Ihre Aktionsform ist modern, ihre Inhalte sind rückwärtsgewandt: Die Identitäre Bewegung (IB) ist ein Zusammenschluss von Aktivisten, der aus einer Facebook-Gruppe hervorgegangen ist. Seit 2012 gründeten sich in Deutschland regionale Gruppen, so firmiert auf Facebook eine "Identitäre Bewegung Baden". Nach außen wirksam ist die IB durch das Anbringen von Plakaten und Verteilen von Flyern oder durch Demonstrationen und Flashmobs. Als Symbol nutzt sie den griechischen Buchstaben Lambda. Entliehen ist dies aus dem Hollywood-Film "300", der den Kampf spartanischer Krieger gegen die Perser verherrlicht. Im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2015 heißt es über die IB, sie sei "ein Verbund von Gruppierungen, der (...) rechtsextremistische und völkische Auffassungen verbreitet. In ihren programmatischen Texten finden sich sowohl fremden- und insbesondere muslimfeindliche Aussagen als auch verschwörungsideologische Ansätze". Zentrales Stichwort ist "Der Große Austausch": Angeblich legen es Politiker darauf an, die Bevölkerung Deutschlands gegen Einwanderer auszutauschen. Die AfD will offiziell mit der IB nichts zu tun haben. Der Bundesvorstand hat vor vier Wochen "festgestellt", dass es "keine Zusammenarbeit" gibt.
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