"Auf offener Straße krankenhausreif geschlagen"
Über Monate hat ein Mann in Weil eine Familie drangsaliert, offenbar aus rassistischen Gründen. Rechtsextreme belagern das Haus der Familie, die Situation ist bedrohlich.
Von Annika Bangerter und Kathrin Ganter (Der Sonntag)
Der Rollladen ist unten. Bens Zimmer* liegt im Dunkeln. An diesem Morgen sollte er eigentlich wie seine Klassenkameraden auf den Achterbahnen des Europa-Parks durch die Luft wirbeln, kreischen, unbeschwerte Stunden erleben. Doch solche Ausflüge sind seit knapp drei Wochen zu gefährlich für den 15-Jährigen. Der Sportverein, der Besuch im Jugendcafé: zu unsicher. Seitdem vor ihrem Haus fast täglich Rechtsextreme aufkreuzen, fühlen sich Ben und seine Familie nur noch in ihrer Wohnung einigermaßen sicher. Gedämpft ist dort das Licht, gedrückt die Stimmung. Die 37-jährige Mutter, Anna*, rührt in ihrer Kaffeetasse, erzählt stockend: "Durchschnittlich stehen zwölf Personen im Hof. Treten wir ans Fenster, versuchen sie, uns zu fotografieren", sagt sie. Als sie einmal auf dem Balkon rauchte und zu nahe ans Geländer trat, schallte von unten eine Morddrohung herauf. Es ist nicht die erste, die Anna in den vergangenen Monaten hörte.
Die vierköpfige Familie wohnt im Stadtteil Friedlingen in Weil am Rhein. Die Klingelschilder neben der Eingangstüre deuten auf eine internationale Hausgemeinschaft hin. Der Vater von Annas Ehemann stammt aus Westafrika. Er hat seinem Sohn die dunkle Hautfarbe vererbt. Einige Male wurde Annas Mann deswegen angepöbelt, ernsthafte Probleme gab es aber keine. Bis vor knapp drei Jahren: Im Herbst 2013 entdeckte die Familie erstmals Hundekot auf ihrem Auto. Ein Nachbar begann, Anna obszön und rassistisch zu beschimpfen. Alle paar Wochen fand sie Müll oder Essensreste im Briefkasten, Klingelstreiche störten die Ruhe. Im vergangenen Jahr häuften sich die Attacken am Auto: zerstochene Reifen, zugeklebte Türschlösser, verbogene Scheibenwischer. Die Familie erstattete Anzeige, der Nachbar bekam ein Annäherungsverbot.
Körperliche Attacke mit Schlägen und Tritten
Daran hielt er sich aber nicht. Vielmehr passte er die Kinder im Flur ab. Sechs Jahre alt ist der jüngste Sohn von Anna. Er getraut sich nicht mehr alleine ins Treppenhaus. Wegen der Anzeigen kündigte die städtische Wohnbaugesellschaft dem Nachbarn die Wohnung. Was Linderung versprach, führte zur eigentlichen Eskalation: Einige Wochen nach der Gerichtsverhandlung spaziert Anna mit ihrer Familie durch Weil am Rhein. Der Schwiegersohn des Nachbarn fährt vor, bremst, ruft Anna aus dem Auto zu: "Dich mache ich fertig." Die Familie rennt zu ihrem Auto, will zum Polizeirevier fahren. In einem Kreisel schneidet ihnen der Schwiegersohn mit seinem Auto den Weg ab. Anna steigt aus, geht durch einen Faustschlag zu Boden, spürt die ersten Tritte im Rücken. Auf dem Rücksitz sitzt ihr sechsjähriger Sohn. Ihr Mann steigt aus und versucht, sie zu schützen. Als Passanten dazwischengehen und die Polizei alarmieren, droht der Schwiegersohn Anna erneut: "Er sagte mir, dass er seine Gang, die Pegida, einschalten würde. Er sprach davon, dass sie mich vergewaltigen und umbringen würden."
24 Stunden später versammelten sich zum ersten Mal bekannte Gesichter aus rechtsextremen und rechtspopulistischen regionalen Gruppierungen vor Annas Wohnung. Es sind dieselben Personen, die in den vergangenen Monaten im Landkreis Lörrach immer wieder in Erscheinung getreten sind: Im Herbst 2015 organisierten sie als selbsternannter "Friedlicher Widerstand" Kundgebungen gegen Flüchtlinge, vereinigten sich mit den führenden Köpfen der Pegida Schweiz zur Pegida Dreiländereck. Da es in Weil am Rhein immer wieder zu massiven Gegenprotesten mit zahlreichen Antifaschisten aus Basel kam, verlegten sie die Kundgebungen ins Städtchen Kandern – wo die Bürger vehement dagegen protestierten. Im Januar kam es zum Bruch zwischen Pegida und dem "Friedlichen Widerstand" – seitdem fanden keine Kundgebungen mehr statt.
Beliebtes Mittel, um Gegner einzuschüchtern
Stattdessen hissten die Rechten bei Flashmobs auf Brücken unter anderem Kriegsflaggen aus dem Kaiserreich. Einen Fackelmarsch in Kandern und eine Schlägerei mit einer Gruppe Deutschtürken in Friedlingen konnte die Polizei rechtzeitig verhindern. Im Mai gründete sich in Weil am Rhein ein Kreisverband der rechtsextremen Kleinstpartei "Die Rechte", die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Vorsitzender ist Andreas Weigand. Fotos, die die Rechtsextremen teilweise selbst öffentlich bei Facebook posten, zeigen die Gesichter dahinter: Neben Weigand und seiner Familie ist Sven D., Anmelder der ersten Kundgebungen, regelmäßig mit von der Partie und weitere Personen der rechtsextremen Szene, die immer wieder in Erscheinung treten. Sie sind es auch, die sich vor dem Haus von Annas Familie treffen. Ähnliche Aktionen gab es bereits vor den Wohnungen linker Aktivisten. Auch dort zeigt die Gruppe: Wir sind da. Wir wissen, wo du wohnst. Du bist nicht sicher vor uns und du weißt nicht, wie weit wir gehen werden. Solche Aktionen sind ein beliebtes Mittel Rechtsextremer, um politische Gegner einzuschüchtern, und für die Opfer eine extreme psychische Belastung.
"Heikle" Reaktion auf Kinderfotos
Davon will Andreas Weigand nichts wissen: Er bestätigt zwar, dass er sich mit Freunden und Familienmitgliedern auf dem Platz trifft, streitet aber einen Zusammenhang mit Anna ab. "Diese Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezogen. Wir treffen uns dort, weil meine Eltern gegenüber wohnen", sagt Weigand. Anna und ihre Familie kenne er nicht, habe noch nie persönlich mit ihnen gesprochen. "Doch sie haben unsere Treffen fotografiert. Auf den Bildern sind auch unsere Kinder, darauf reagieren wir heikel", sagt Weigand. Zwei Mal sei die Polizei angerückt, gerufen durch Anna. "Wir haben uns aber anständig verhalten. Einen Platzverweis gab es nie", sagt Weigand. Anders hält dies die Polizei fest: Sprecher Dietmar Ernst bestätigt, es habe mindestens drei Einsätze mit Platzverweisen gegeben.
Der tätliche Angriff durch den Schwiegersohn hatte für Anna nicht nur psychische Folgen: Drei Bandscheiben sprangen durch die Schläge raus. Für mehrere Monate ist sie krankgeschrieben, sie muss starke Schmerzmittel nehmen. Ruhe findet sie zu Hause jedoch nicht. Schlafen kann sie nur noch am frühen Abend, wenn ihr Mann zu Hause ist und die Situation beobachtet. "Wir leben wie Gefangene in der eigenen Wohnung. Wollen wir raus, sind wir auf Hilfe von außen angewiesen", sagt Anna. Freiwillige aus Basel und der Region koordinieren deshalb eine Art Begleitschutz. Sie wollen sich zu ihrem eigenen Schutz nicht dazu äußern. Sie bestätigen aber, dass jeden Tag zwei Personen die Kinder zu Hause abholen und sie zur Schule begleiten. "Ohne diese Unterstützung wäre es unklar, ob sie überhaupt in die Schule könnten", sagt Anna.
Wegziehen? – "Dann hätten die gewonnen"
Mehrfach ruft Anna die Polizei, die schnell zur Stelle ist und Platzverweise ausspricht. Doch die Rechtsextremen kommen immer wieder. In Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung prüfe man, ob es rechtlich möglich sei, die Gruppe langfristig von der Familie fernzuhalten, sagt Polizeisprecher Dietmar Ernst: "Und die Polizeistreifen achten auf das Klientel." Zeitgleich laufen Ermittlungen gegen die Gruppe wegen des Verdachts auf politische Straftaten und wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz. Seit rund zehn Jahren bietet das sogenannte Stalking-Gesetz in Deutschland die gesetzliche Grundlage, um Nachstellungen zu bestrafen.
Annas Familie und die Rechten langfristig zu trennen, wird nicht einfach: Mehrere der Personen wohnen in der unmittelbaren Nachbarschaft, können Annas Wohnung aus ihren eigenen vier Wänden heraus beobachten. Wegzuziehen ist für Anna und ihren Mann noch keine Option, auch wenn sie schon darüber nachgedacht haben: "Aber dann hätten die gewonnen." Sie ist froh, dass gestern der Nachbar auszog, der Auslöser der ganzen Sache war. Der Rollladen in Bens Zimmer bleibt dennoch vorerst geschlossen.
*Name von der Redaktion geändert
Der Beitrag entstand durch eine gemeinsame Recherche der Zeitungen "Schweiz am Sonntag" und "Der Sonntag".
Dieser Artikel erschien am 3. Juli in "Der Sonntag"
Kommentar in der Badischen Zeitung
Den Opfern helfen, den Tätern die Grenzen aufzeigen
Das sind die bekannten
friedlinger Nazis rund um die Weigand-Brüder. Dass diese allerdings zu so offenem Terror übergehen, gegenüber einer Familie mit Kindern, macht sprachlos.
Wenn der Krug bricht, die wohnung im elsass abgefackelt ist und sonja alle finger abgeschnitten werden, reitet auch kein Odin mehr. In diesem Sinne, bis dann!