Sachsen muss NS-Gewaltherrschaft stärker aufarbeiten

Erstveröffentlicht: 
27.06.2016

Neue Förderregeln in Sachsens Gedenkstättenstiftung – Evaluation erfolgt frühestens 2017

 

Sachsens Gedenkstättenstiftung hat neue Regeln für die Förderung. Dass sie helfen, das Ungleichgewicht zwischen den Themenkomplexen NS-Diktatur und DDR-Zeit zu verringern, ist nicht zu erwarten.

 

Auf dem Papier ist die Balance gewahrt. In einer neuen Förderrichtlinie der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ist von der »Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der kommunistischen Diktatur« in sowjetischer Besatzungszone und DDR die Rede. Seit 10. Juni verteilt die Stiftung auf Grundlage dieses Papiers ihre Zuwendungen. Die spannende Frage ist, ob diese künftig nun ausgewogener gewährt werden.

 

Zuletzt war das nicht der Fall. Auf Gedenkorte, die sich der NS-Zeit widmen, entfielen von 2013 bis 2015 nur 15 Prozent der Projektmittel; die übrigen 85 Prozent gingen an Projekte zur Zeit ab 1945. Das ergab eine Anfrage der Abgeordneten Claudia Maicher (Grüne). Kritiker sahen die Stiftung deshalb in »Schieflage«. Ihr Geschäftsführer Siegfried Reiprich erklärte die Unwucht zwar mit einem Förderschwerpunkt zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution in der DDR. Dem fast zeitgleichen 70. Jahrestag der Befreiung aber widmete die Stiftung keinen Schwerpunkt.

 

Dafür, dass die Unwucht beseitigt wird, bietet die neue Richtlinie keine Gewähr. Sie sei »schwammig und lückenhaft«, sagt Maicher dem »nd«; sie richte sich weiter vor allem an etablierte Institutionen und baue Hürden für kleine, ehrenamtliche Initiativen nicht ab. Eine Formulierung der Richtlinie, wonach die Auseinandersetzung mit Geschichte zu »professionalisieren« sei, sorgen bei Engagierten für Skepsis. Sie befürchten neue bürokratische Vorgaben statt einer Ermutigung durch die Stiftung.

 

Genau diese brauche es aber, sagt Franz Sodann (LINKE). Gerade die Beschäftigung mit der NS-Diktatur könne immer weniger auf Zeitzeugen bauen. Jüngere Interessierte, die den Faden aufgreifen, müssten von der Stiftung ermutigt werden: »Ich erwarte, dass diese auf Vereine zugeht«, sagt er. Dagegen erklärte Reiprich die Schieflage bei der Förderung damit, dass es an Anfragen zur Zeit vor 1945 gefehlt habe. Eine »Ablehnung von Projektanträgen im NS-Bereich«, sagte er, habe es »in nennenswerte Umfang« nicht gegeben.

 

Dem widersprach der Förderverein der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig. Seine Einschätzung: Die Art, wie die Stiftung Geld verteile, sei vorwiegend »politisch bedingt«. Diese Einschätzung teilen auch andere. Verwiesen wird dabei oft auf die starke Stellung von Reiprich. Ihm wird eine Nähe zu Erinnerungsprojekten an die SED-Herrschaft unterstellt, die sich aus seiner Biografie erklären ließe: Der Schriftsteller war als Student in Jena in der Opposition tätig und wurde aus der DDR ausgebürgert.

 

Wenn es um die Verteilung der Gelder geht, hat der Geschäftsführer auch nach der neuen Richtlinie eine Schlüsselstellung inne. Ganz gleich, ob institutionell geförderte Gedenkstätte oder neues Projekt: Die Anträge werden alle zuerst von ihm bewertet; sein Entscheidungsvorschlag ist Grundlage für die Beratung im Stiftungsrat. Über Beträge bis 10.000 Euro entscheidet er ganz allein.

 

Wie praktikabel solche Strukturen angesichts anhaltender Kritik sind, könnte Thema für eine Evaluation der Einrichtung sein, die Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) im März in Aussicht gestellt hatte. Allerdings ist mit schnellen Ergebnissen nicht zu rechnen. Im Mai hat der Stiftungsrat zunächst eine Arbeitsgruppe gebildet, die bis Dezember Vorgaben für die Evaluation erarbeiten soll. Wer ihr angehört, ist unklar. Danach müsste der Auftrag vergeben werden.

 

Dem Vernehmen nach gab es hartnäckige Bestrebungen, die Evaluation lediglich intern durchzuführen und die eigene Arbeit quasi selbst zu begutachten. Dies ist nach Informationen des »nd« vom Tisch. Beobachter gehen davon aus, dass im Sommer 2017 feststeht, wer die Stiftung evaluiert. Die Ergebnisse dürften frühestens Ende 2017 vorliegen.