In der Nacht zu Sonntag wurden in der Alten Jakobstraße mehrere Autos in Brand gesteckt, Häuser beschädigt und Barrikaden gebaut. Linksextremisten sind tatverdächtig. Ein Ortstermin.
Fremde in der Alten Jakobstraße werden am Morgen danach argwöhnisch von den Sonnenbalkonen aus gemustert. Die Anwohner denken sich wohl das, was die Eigentümerin einer Wohnung im „Fellini“-Block ausspricht:„Die, die das gemacht haben, laufen hier jetzt garantiert rum und schauen sich ihr Werk an.“
„Die“, das sind schwarz vermummte Linksextremisten,
die in der Nacht auf Sonntag gezielt Neubauten in der Alten Jakobstraße
angriffen. Sie zerrten zunächst an zwei Kreuzungen Autoreifen und
Absperrungen auf die Straße und entzündeten diese Barrikaden. Dann
gingen mehrere Autos in Flammen auf sowie die gedämmte Fassade eines
Rohbaus. Die fertiggestellten Häuser auf der anderen Straßenseite wurden
mit Pflastersteinen und Teerfarbe attackiert. Nach Zeugenaussagen
sollen die Täter in Gruppen von fünf bis sechs Personen agiert haben.
Vor ihrer Flucht verstreuten sie „Krähenfüße“ auf der Fahrbahn. Das sind
in der autonomen Szene beliebte, speziell geformte Drahthaken, die
Autoreifen zerstören. Tatsächlich fuhr sich eine Funkstreife die Reifen
platt.
Krähenfüße gegen Polizeiautos
Anwohner hatten gegen 1.30 Uhr die Polizei alarmiert, als sie die Randalierer bemerkten. Festgenommen wurde niemand, trotz des Einsatzes des Polizeihubschraubers. Ein Bekennerschreiben wurde bislang nicht veröffentlicht. 30 Feuerwehrleute löschten die diversen Brände. Der für politische Delikte zuständige Staatsschutz ermittelt wegen schweren Landfriedensbruchs. „Ich habe gar nichts gehört“, sagt die Frau aus dem „Fellini“-Neubau, „wir haben sehr dichte Fenster“. Der Eigentümer der Wohnung unter ihr berichtet von einem „lauten Bumms“, als eine Farbflasche an seiner Jalousie zerplatzte.
Der Angriff ist das Hauptgespräch unter den Anwohnern an diesem Sonntag. Wer in den unteren Stockwerken wohnt, bleibt auf dem Balkon sitzen, die anderen schlendern durch die Straße. „Wir dachten, die feiern eine Gartenparty“, sagt ein sehr junges Pärchen auf dem Weg zum Bäcker, sie wohnen zum Hof raus, haben den Angriff nicht erlebt. „Unser Auto ist heile“, sagt ein junger Vater ganz erleichtert zu seinem etwa dreijährigen Sohn. Er wohnt in einem der alten Mietsblöcke an der Stallschreiberstraße, das ist schon Kreuzberg. Hier treffen sich Mitte und Kreuzberg, Ost und West. Im Westen war die Bundesdruckerei, im Osten an der Alten Jakobstraße der Todesstreifen und Brachen. Im Asphalt der Jakobstraße erinnern Pflastersteine an den Verlauf der Mauer.
Früher stand hier die Mauer
Vor gut zehn Jahren begann in der Alten Jakobstraße die Bebauung von Brachen. Die Linksextremisten sagen:die Gentrifizierung. Die „Fellini-Residences“ gehörten dort 2008 zu den ersten Projekten. Die Webseite pries den Bau damals großspurig als „Die Luxusimmobilie am Gendarmenmarkt“ an, obwohl der doch recht weit weg ist. Auch „Fellini“ hat schwarze Farbe abbekommen, wohl aus Prinzip. Vor fünf Jahren, direkt vor der Räumung der Liebigstraße 14 in Friedrichshain war der Luxus-Neubau "Fellini" schon einmal angegriffen worden. Ein Wachmann musste sich vor den Steinwürfen in Sicherheit bringen. Dass Vattenfall Steine abbekommt, ist in der autonomen Szene ebenfalls Prinzip. Mehrfach tauchte die Straße in den letzten Jahren im Polizeibericht auf –durch angezündete Autos.
Der Angriff in der
Nacht zu Sonntag galt nicht speziell Fellini, sondern vor allem dem
Immobilienkonzern Patrizia. Auf der Baustelle des Rohbaus wurde Material
angezündet, Fensterrahmen und die Fassade wurden dadurch beschädigt.
Und, bemerkenswert:Auf der anderen Straßenseite sind die riesigen
Schaufenster eines Bürohauses durch einen regelrechten Steinhagel völlig
zerstört worden. „Das ist das Baubüro von Patrizia“, erklärt eine
Anwohnerin. Zu erkennen ist das nicht, die Täter müssen es vorher
ausgekundschaftet haben.
Immobilienfirma im Fokus der Autonomen
Auf der linksextremistischen Internetseite „Indymedia“ war der Baubeginn im Oktober 2014 registriert worden. Der bundesweit tätige Konzern errichtet auf dem ehemaligen Mauerstreifen 102 Eigentumswohnungen, die in diesem Jahr bezogen werden sollen. „Die Preise werden eine breite Zielgruppe ansprechen“, hatte ein Firmensprecher vor drei Jahren dem Tagesspiegel gesagt, genannt wurden Quadratmeterpreise von 4000 bis 5000 Euro.
„Jeden
Tag schönes Erleben“ steht in großen Lettern auf einem Werbeschild der
Patrizia, es blieb unbeschädigt. Einem Mieter von der anderen
Straßenseite reicht das Erlebte. „Bloß hier wegziehen“, schimpft er in
sich hinein.
SPD, CDU und Grüne verurteilten die Attacke.
„Linksextremisten sind Feinde der Demokratie. Sie verstehen nur den
Haftrichter“, twitterte der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber. "Diese
linksautonomen Feuerteufel gehören alle in die JVA Tegel." Die Grünen
warfen Innensenator Frank Henkel (CDU) eine fehlende "durchdachte
Strategie" vor. "Die Polizei scheint nachts weniger unterwegs zu sein",
behauptete der Abgeordnete Benedikt Lux. Der Abgeordnete kündigte an,
den Anschlag im nächsten Innenausschuss zu thematisieren.
In den
vergangenen Monaten haben Linksextremisten in verschiedenen Bezirken
randaliert, unter anderem in der Neubausiedlung am Gleisdreieckpark.
Ein Pkw brannte auch in Pankow: gegen 23.15 Uhr wurden zwei Unbekannte dabei beobachtet, wie sie einen brennenden Gegenstand unter einen in einer Hinterhofeinfahrt in der Schwedter Straße geparkten Jaguar schoben und flüchteten. Ein daneben parkender BMW wurde den Angaben zufolge ebenfalls stark beschädigt - genauso wie die Fassade eines Mietshauses. Die Polizei geht nicht von einer politisch motivierten Tat aus.