Vandalismus in Berlin-Mitte – Wie die Anwohner die Randale erlebten

Dieser Balkon eines Neubaus wurde durch einen Brandsatz schwer beschädigt.Foto: Jörn Hasselmann
Erstveröffentlicht: 
29.05.2016

In der Nacht zu Sonntag wurden in der Alten Jakobstraße mehrere Autos in Brand gesteckt, Häuser beschädigt und Barrikaden gebaut. Linksextremisten sind tatverdächtig. Ein Ortstermin.

 

Fremde in der Alten Jakobstraße werden am Morgen danach argwöhnisch von den Sonnenbalkonen aus gemustert. Die Anwohner denken sich wohl das, was die Eigentümerin einer Wohnung im „Fellini“-Block ausspricht:„Die, die das gemacht haben, laufen hier jetzt garantiert rum und schauen sich ihr Werk an.“


„Die“, das sind schwarz vermummte Linksextremisten, die in der Nacht auf Sonntag gezielt Neubauten in der Alten Jakobstraße angriffen. Sie zerrten zunächst an zwei Kreuzungen Autoreifen und Absperrungen auf die Straße und entzündeten diese Barrikaden. Dann gingen mehrere Autos in Flammen auf sowie die gedämmte Fassade eines Rohbaus. Die fertiggestellten Häuser auf der anderen Straßenseite wurden mit Pflastersteinen und Teerfarbe attackiert. Nach Zeugenaussagen sollen die Täter in Gruppen von fünf bis sechs Personen agiert haben. Vor ihrer Flucht verstreuten sie „Krähenfüße“ auf der Fahrbahn. Das sind in der autonomen Szene beliebte, speziell geformte Drahthaken, die Autoreifen zerstören. Tatsächlich fuhr sich eine Funkstreife die Reifen platt.

 

Krähenfüße gegen Polizeiautos

 

Anwohner hatten gegen 1.30 Uhr die Polizei alarmiert, als sie die Randalierer bemerkten. Festgenommen wurde niemand, trotz des Einsatzes des Polizeihubschraubers. Ein Bekennerschreiben wurde bislang nicht veröffentlicht. 30 Feuerwehrleute löschten die diversen Brände. Der für politische Delikte zuständige Staatsschutz ermittelt wegen schweren Landfriedensbruchs. „Ich habe gar nichts gehört“, sagt die Frau aus dem „Fellini“-Neubau, „wir haben sehr dichte Fenster“. Der Eigentümer der Wohnung unter ihr berichtet von einem „lauten Bumms“, als eine Farbflasche an seiner Jalousie zerplatzte.

 

Der Angriff ist das Hauptgespräch unter den Anwohnern an diesem Sonntag. Wer in den unteren Stockwerken wohnt, bleibt auf dem Balkon sitzen, die anderen schlendern durch die Straße. „Wir dachten, die feiern eine Gartenparty“, sagt ein sehr junges Pärchen auf dem Weg zum Bäcker, sie wohnen zum Hof raus, haben den Angriff nicht erlebt. „Unser Auto ist heile“, sagt ein junger Vater ganz erleichtert zu seinem etwa dreijährigen Sohn. Er wohnt in einem der alten Mietsblöcke an der Stallschreiberstraße, das ist schon Kreuzberg. Hier treffen sich Mitte und Kreuzberg, Ost und West. Im Westen war die Bundesdruckerei, im Osten an der Alten Jakobstraße der Todesstreifen und Brachen. Im Asphalt der Jakobstraße erinnern Pflastersteine an den Verlauf der Mauer.

 

Früher stand hier die Mauer

 

Vor gut zehn Jahren begann in der Alten Jakobstraße die Bebauung von Brachen. Die Linksextremisten sagen:die Gentrifizierung. Die „Fellini-Residences“ gehörten dort 2008 zu den ersten Projekten. Die Webseite pries den Bau damals großspurig als „Die Luxusimmobilie am Gendarmenmarkt“ an, obwohl der doch recht weit weg ist. Auch „Fellini“ hat schwarze Farbe abbekommen, wohl aus Prinzip. Vor fünf Jahren, direkt vor der Räumung der Liebigstraße 14 in Friedrichshain war der Luxus-Neubau "Fellini" schon einmal angegriffen worden. Ein Wachmann musste sich vor den Steinwürfen in Sicherheit bringen. Dass Vattenfall Steine abbekommt, ist in der autonomen Szene ebenfalls Prinzip. Mehrfach tauchte die Straße in den letzten Jahren im Polizeibericht auf –durch angezündete Autos.


Der Angriff in der Nacht zu Sonntag galt nicht speziell Fellini, sondern vor allem dem Immobilienkonzern Patrizia. Auf der Baustelle des Rohbaus wurde Material angezündet, Fensterrahmen und die Fassade wurden dadurch beschädigt. Und, bemerkenswert:Auf der anderen Straßenseite sind die riesigen Schaufenster eines Bürohauses durch einen regelrechten Steinhagel völlig zerstört worden. „Das ist das Baubüro von Patrizia“, erklärt eine Anwohnerin. Zu erkennen ist das nicht, die Täter müssen es vorher ausgekundschaftet haben.

 

Immobilienfirma im Fokus der Autonomen


Auf der linksextremistischen Internetseite „Indymedia“ war der Baubeginn im Oktober 2014 registriert worden. Der bundesweit tätige Konzern errichtet auf dem ehemaligen Mauerstreifen 102 Eigentumswohnungen, die in diesem Jahr bezogen werden sollen. „Die Preise werden eine breite Zielgruppe ansprechen“, hatte ein Firmensprecher vor drei Jahren dem Tagesspiegel gesagt, genannt wurden Quadratmeterpreise von 4000 bis 5000 Euro.


„Jeden Tag schönes Erleben“ steht in großen Lettern auf einem Werbeschild der Patrizia, es blieb unbeschädigt. Einem Mieter von der anderen Straßenseite reicht das Erlebte. „Bloß hier wegziehen“, schimpft er in sich hinein.


SPD, CDU und Grüne verurteilten die Attacke. „Linksextremisten sind Feinde der Demokratie. Sie verstehen nur den Haftrichter“, twitterte der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber. "Diese linksautonomen Feuerteufel gehören alle in die JVA Tegel." Die Grünen warfen Innensenator Frank Henkel (CDU) eine fehlende "durchdachte Strategie" vor. "Die Polizei scheint nachts weniger unterwegs zu sein", behauptete der Abgeordnete Benedikt Lux. Der Abgeordnete kündigte an, den Anschlag im nächsten Innenausschuss zu thematisieren.


In den vergangenen Monaten haben Linksextremisten in verschiedenen Bezirken randaliert, unter anderem in der Neubausiedlung am Gleisdreieckpark.

 

Ein Pkw brannte auch in Pankow: gegen 23.15 Uhr wurden zwei Unbekannte dabei beobachtet, wie sie einen brennenden Gegenstand unter einen in einer Hinterhofeinfahrt in der Schwedter Straße geparkten Jaguar schoben und flüchteten. Ein daneben parkender BMW wurde den Angaben zufolge ebenfalls stark beschädigt - genauso wie die Fassade eines Mietshauses. Die Polizei geht nicht von einer politisch motivierten Tat aus.