Am 16. Mai wird voraussichtlich ein Gesetz im türkischen Parlament zur Abstimmung vorlegt, welches die Aufhebung der Immunität aller Abgeordneten für 4 Wochen vorsieht. Was wie ein rechtsstaatliches Verfahren aussieht, um kriminelle Machenschaften der Abgeordneten zu unterbinden (viele AKP - Abgeordnete sind dem Vorwurf der Korruption ausgesetzt) dient in Wirklichkeit dazu, jede paralamentarische, nicht nationalistische Opposition aus dem Parlament auszuschliessen.
3/4 aller Abgeordneten der HDP sind dem Vorwurf des Terrorismus, der Präsidentenbeleidigung und ähnlichem ausgesetzt. Welch dehnbarer Begriff von Terrorismus der Staatspräsident der Türkei verwendet, haben wir erst unlängst der Presse entnehmen können. Dass die Abgeordneten sich weniger Sorgen um ihre Zusatzgeschäfte machen müssen, kann man Sätzen wie:"Ich füge mich diesem Urteil nicht, und ich respektiere es auch nicht." (Erdogan zur Haftentlassung von Cem Dündar, 2.3.2016) entnehmen.
Die Aufhebung bedeutet allerdings noch mehr: die Mandate verfallen, dürfen nicht durch Nachrücker besetzt werden. Die innerparlamentarische Vertretung kurdischer und linker Interessen, welche auf Verhandlung zur Deeskalation im türkischen Bürgerkrieg drängt, welche gegen die Islamisierung des bislang laizistischen türkischen Staatswesen auftritt, welche sich aktiv dem Ansinnen Erdogahns, in der Türkei eine Präsidialherrschaft mit quasi diktatorischer Machtbefugnis zu etablieren widersetzt, wird durch eben diesen ausgeschaltet. Das Eliminieren der innerparlamentarischen Opposition in der Türkei läßt schlimmstes für diesen Staat, aber auch für Europa befürchten. Das Vorgehen der AKP weckt Erinnerungen an das Ende der Weimarer Republik in Deutschland.
Die Zerstörung jeglicher kultureller Vielfalt jenseits der türkischen zeigt sich aber auch im Alltag. In Maraş, wo viele alevitische Dörfer beheimatet sind, werden systematisch und ganz bewusst Flüchtlingscamps errichtet, in denen Dschihadisten untergebracht werden.
Diese Dschihadisten, sind diejenigen, die vor Kurzem in sozialen Medien und auch ganz öffentlich verlautbart haben: „Sobald wir unsere Mission in Syrien beenden, sind die Aleviten in der Türkei an der Reihe." Das an die Provinz Maraş angebundene alevitische Dorf Terolar ist angesichts dieser Gefahrenlage besonders in Aufruhr, weil große Angst vor der islamistischen Gefahr besteht.
Das Alevitentum lehrt die Gleichwertigkeit jedes Menschen. Dabei ist unbedeutend, welche religiöse oder ethische Zugehörigkeit sie haben. Toleranz und Akzeptanz anderer Religionen und Ethnien bilden das Fundament der alevitischen Lehre. Vor diesem Hintergrund sind die Aleviten in keinster Weise gegen Flüchtlinge oder deren Unterbringung, doch sind die in der Türkei lebenden Aleviten längst Zeugen einer Assimilierungs-, Diskriminierungs- und Marginalisierungspolitik geworden. In diesem Zusammenhang leisten die Bewohner*innen von Terolar noch immer, unbemerkt von der hiesigen Bevölkerung entschieden Widerstand gegen die Ansiedlung dschihadistischer Flüchtlingslager.
Am Samstag, den 21.05 wird in Freiburg um 16 Uhr am Kartoffelmarkt eine Demonstration des Kurdistan Solidaritätbündnisses aufgrund der Aufhebung der Immunität der Abgeordneten im türkischen Parlament stattfinden.