Hielt der Verfassungsschutz im Fall des verstorbenen V-Manns "Corelli" Beweismittel zurück? Ein neu aufgetauchtes Mobiltelefon des rechtsextremen Spitzels wirft neue Fragen auf.
Zwei Jahre nach dem Tod des rechtsextremen Geheimdienst-Informanten Thomas R. alias "Corelli" gerät das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erneut in Erklärungsnot. Nach SPIEGEL-Informationen geht es um ein Mobiltelefon "Corellis", das der Geheimdienst offenbar jahrelang unter Verschluss hielt und erst jetzt dem Bundeskriminalamt (BKA) zur Auswertung übergab.
"Corelli", der die Verfassungsschutzbehörden fast 20 Jahre lang mit Informationen aus der rechtsextremen Szene beliefert hatte, war 2012 enttarnt worden. Das BfV stattete ihn daraufhin mit einer neuen Identität aus und brachte ihn in einer Wohnung im nordrhein-westfälischen Paderborn unter. Dort wurde er im April 2014 tot aufgefunden. Der 39-Jährige war an den Folgen einer bis dato unerkannten Diabeteserkrankung gestorben.
Im Zuge der folgenden Ermittlungen sicherte die Kriminalpolizei seinerzeit zahlreiche Gegenstände aus der Wohnung des ehemaligen V-Manns, unter anderem Datenträger und Kommunikationsmittel. Die Asservate wurden später dem BKA übergeben - das zu einer ominösen Propaganda-DVD ermittelte, die "Corelli" einst seinen V-Mann-Führern übergeben hatte und auf der eine Organisation namens "NSU/NSDAP" erwähnt wird. Bis heute versuchen Ermittler von BKA und Bundesanwaltschaft zu klären, ob damit womöglich die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gemeint gewesen sein könnte. Belegt werden konnte diese Vermutung bislang nicht.
200 Kontaktdaten, Tausende Fotos
Umso merkwürdiger scheint die Tatsache, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz dem BKA erst jetzt, mehr als zwei Jahre nach "Corellis" Tod, dessen Privathandy übergab. Auf dem Mobiltelefon, das der Ex-Informant von Frühjahr bis Herbst 2012 genutzt haben soll, befinden sich nach SPIEGEL-Informationen rund 200 Kontaktdaten, darunter zahlreiche Einträge mit Daten wichtiger Akteure des rechtsextremen Spektrums. Außerdem sollen mehrere Tausend Fotos auf dem Gerät gespeichert sein.
Gefunden wurde das Handy bereits im Sommer 2015, in einem verschlossenen Kuvert, das in einem Panzerschrank des ehemaligen V-Mann-Führers von "Corelli" im Bundesamt für Verfassungsschutz lagerte. Wie der SPIEGEL erfuhr, soll der Safe zuvor bereits vier Mal von BfV-Beamten untersucht worden sein - angeblich ohne das Handy zu finden. Und auch nach der Entdeckung dauerte es offenbar Monate, bis das BfV das Handy auswertete. Erst Anfang Mai 2016, also vor wenigen Tagen, händigte das BfV das Asservat schließlich dem Bundeskriminalamt aus.
Am Mittwoch wurden die Obleute des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag über den Vorgang unterrichtet. Die Nachricht, dass womöglich ein wichtiges Beweismittel zurückgehalten wurde, sorgte in dem Gremium für Empörung.
Für Uli Grötsch, SPD-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, ist der Vorgang ein Affront. "Dass das BfV die Informationen über den brisanten Handyfund so lange für sich behalten hat, kritisiere ich in aller Schärfe. Gelegenheiten dafür hätte es gegeben", so Grötsch. Petra Pau von den Linken erklärte: "Im Fall 'Corelli' wurde nicht nur der erste NSU-Untersuchungsausschuss systematisch belogen, sondern auch andere Gremien des Bundestags". Das Bundesamt für Verfassungsschutz war für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zunächst nicht erreichbar.