AfD – Mut zur Unwahrheit

Erstveröffentlicht: 
06.05.2016

Ein dubioser Geldfluss, eine dubiose Mitgliederkartei, dubiose Behauptungen gegenüber dem Parteigericht. Neue stern-Recherchen zeigen: Der AfD-Landesfürst Josef Dörr und seine Helfer müssen sich nicht nur Neonazi-Kontakte vorwerfen lassen.

 

Am 21. Oktober 2015 fuhr der AfD-Landesvorsitzende Josef Dörr aus dem Saarland nach Kaiserslautern. Er traf dort Ulrike Reinhardt, die mit ihrer Organisation "Pfälzer Spaziergänger" regelmäßig Neonazis aufmarschieren lässt. Dörr umwarb Reinhardt. "ich bin sehr an einer zusammenarbeit mit ihnen interessiert", hatte er ihr zuvor gemailt, wie so oft in Kleinbuchstaben.

 

Aus dem Kontakt, den der stern im März aufdeckte, erwachsen Fragen, die von hoher Bedeutung sind – für die AfD, vor allem für die Zukunft ihrer Vorsitzenden Frauke Petry und Jörg Meuthen.

 

Kann die Partei sich von Funktionären lösen, die mit Rechtsaußen anbändeln? Oder haben unkontrollierbare Kräfte wie der Landesfürst Dörr die AfD längst im Griff?

 

Das Problem aus Sicht der Parteispitze: Josef Dörr und die Seinen geben sich nicht geschlagen. Allerdings verzichten sie dabei gern mal auf die Wahrheit. Das zeigen neue stern-Recherchen. 

 

Gespräch über Kinder und die kranke Mutter: Was der AfD-Anwalt in seinem Schreiben behauptet


In Kürze startet vor dem Bundesschiedsgericht der AfD das Hauptverfahren im Fall Bundesvorstand gegen Landesvorstand Saar. Zu entscheiden ist, ob Dörrs Saar-AfD komplett aufgelöst wird, wie vom Bundesvorstand und zuletzt vom Bundesparteitag gewünscht, und ob Dörr und sein Stellvertreter Lutz Hecker aus der Partei ausgeschlossen werden. Es geht dabei auch um den Kontakt zur Rechtsaktivistin Ulrike Reinhardt.

 

Dem stern liegt der entsprechende Schriftsatz des von der Saar-AfD engagierten Anwalts Carsten Jahn vor. Jahn ist schon länger für die Saar-AfD im Einsatz, er kassiert inzwischen sogar eine Honorar-Pauschale. Manchmal schreibt er darüber hinaus eine Rechnung.

 

Zu dem Besuch bei Ulrike Reinhardt äußert der Anwalt aus Saarbrücken sich ausführlich. Er legt dem Bundesschiedsgericht dar, es sei "zu einem kurzen Gespräch mit Frau Reinhardt und ihrem Lebensgefährten" gekommen. "Hauptthema war die Erziehung von deren Kindern und die kranke Mutter." Erst als sich auch der bekannte NPD-Kader und Neonazi Sascha Wagner an Dörrs Tisch setzte, sei die Diskussion "politischer" geworden, aber ebenfalls nur "kurz". 

 

"Aus dem Nähkästchen der AfD geplaudert": Wie die Rechtsaktivistin Reinhardt das Treffen schildert


Ulrike Reinhardt widerspricht. "Herr Dörr hat bei uns aus dem Nähkästchen der AfD geplaudert", sagt sie dem stern, und das keineswegs kurz. "Für zwei Hefe-Weizen reichte es zumindest." Dörr sei "erst nach 23 Uhr" aufgebrochen. "Das war ein politisch-patriotischer Stammtisch. Es ging darum, wie man sich fühlt als Patriot, und sicher nicht um meine Kinder." Einen Lebensgefährten, wie vom Dörr-Anwalt behauptet, habe sie überhaupt nicht, fügt Ulrike Reinhardt hinzu.

 

Es ist wenig wahrscheinlich, dass das AfD-Gericht eine Frau wie Ulrike Reinhardt als Zeugin hört. Aber Josef Dörr wird befragt werden. Das wird der Wahrheitssuche helfen, denn der beste Zeuge gegen Josef Dörr in dieser Sache ist: Josef Dörr.

 

Der 77-jährige ehemalige Schulrektor hält nämlich genau fest, wann und wo er für seine Partei unterwegs ist. Er rechnet Kilometer ab, zu je 30 Cent. In jenem Oktober 2015 traf er mal seine enge Vertraute Aline Wagner zur Besprechung (2,10 Euro), mal demonstrierte er in Saarbrücken gegen Angela Merkel (10,50 Euro). Für seinen Besuch bei "ulrike reinhardt und kollegen" (123 Kilometer) schrieb Dörr sich 36,90 Euro gut. Und er notierte auf seiner Tabelle "parteiarbeit außer haus" auch den Grund seines sechsstündigen Einsatzes: "kaisersl. mitgl.werb."

 

Die Abkürzung "mitgl.werb." dürfte für "Mitgliederwerbung" stehen. Dörrs Eintrag entlarvt also die Argumentation seines Anwalts als mindestens irreführend. Der hatte dem Schiedsgericht ja geschrieben, bei Dörrs Besuch in Kaiserslautern sei es um die "technischen Notwendigkeiten" für eine Demo gegangen.

 

Der Rechtsanwalt Rainer Jahn will sich zu seinem Schreiben an das Parteigericht gegenüber dem stern nicht äußern. Josef Dörr selbst sagt, er habe seiner Schilderung der Dinge "nichts hinzuzufügen". 

 

Mitgliederbetrag an einen Verein, ohne dessen Mitglied zu sein


Wie es bei der Saar-AfD um die Wahrheit bestellt ist, zeigt sich auch am Beispiel von Dörrs Vize Lutz Hecker. Im Zusammenhang mit den Rechts-Kontakten soll er sich gleich mehrere Lügen geleistet haben. So führt es zumindest ein AfD-Bundesvorstand in einem sechs-seitigen Papier aus. Hecker wollte sich dazu dem stern gegenüber nicht äußern.

 

Was nutzt ist offenbar erlaubt an der Spitze dieses AfD-Landesverbands. Zu jenen Aussagen, die der Bundesvorstand als Lügen darstellt, kommen ein dubioser Geldfluss und Unstimmigkeiten in der Mitgliederverwaltung.

 

So floss im Spätsommer 2015 vom Konto des Landesverbandes Geld an den Heimat- und Verkehrsverein Quierschied. Als Verwendungszweck ist das Wort "Mitgliederbeitrag" angegeben. Über die Parteikasse – einen Schatzmeister gab es seit Monaten nicht – verfügte damals Josef Dörr. Der lebt zwar in Quierschied. Aber der AfD-Landesverband ist keineswegs Mitglied des Heimatvereins. Demnach wurden Gelder der Saar-AfD unter falschem Verwendungszweck im Wohnort des Vorsitzenden eingesetzt.

 

Josef Dörr bestritt zuerst, dass es zu einer Überweisung an den Heimatverein Quierschied gekommen sei. Dann sagt er dem stern, wenn es doch passiert sei, dann "zu einer Zeit, als bei uns große Unordnung herrschte". Und Dörr behauptet: "Das ist mit Sicherheit zurückgezahlt worden."

Der Vorgang liegt mehr als acht Monate zurück. Nach stern-Informationen ist der Mitgliederbeitrag an den Verein, bei dem die Saar-AfD überhaupt nicht Mitglied ist, nicht zurückgezahlt worden. 

 

Als Steuerberater ist der Cousin engagiert


Vielleicht wird das dem Steuerberater der Landes-AfD noch auffallen, falls der für den Rechenschaftsbericht weiterhin die Konten prüft. Der Mann arbeitete zuletzt auf Rechnung, und er könnte dann einfach direkt beim Vorsitzenden nachfragen. Der Steuerberater ist nämlich Dörrs Cousin Franz-Josef Dörr.

 

Beratung und Kontrolle, vielleicht sogar durch jemanden außerhalb der Familie, könnte die AfD im Saarland auch bei der Mitgliederverwaltung gebrauchen. In der Kartei fanden sich nach stern-Informationen bis vor Kurzem etliche Namen, die mit falscher Email-Adresse gespeichert waren: mit der von Josef Dörr. Mit der seiner Vertrauten Aline Wagner, Mit der seines Vertrauten und Sprechers Rudolf Müller. Insgesamt elf AfDler firmieren zudem unter der Anschrift "afd-lv@web.de". 

 

"Ältere Leute" Anfang 20: An der Angabe des Pressesprechers ist nahezu nichts korrekt


Unstimmigkeiten all überall, doch der AfD-Saar-Sprecher Rudolf Müller erklärt auf Nachfrage, es sei dabei nur um ein paar ältere Leute gegangen, die keine Email-Adresse hatten oder haben wollten. Für die hätte man dann eben die Email-Adresse von Dörr eingetragen, aber nur von Dörr, nicht etwa von Aline Wagner.

 

An dieser Aussage des Dörr-Sprechers ist nahezu gar nichts korrekt, nicht mal die Behauptung, es habe dabei nur um "ältere Leute" gehandelt. Das jüngste Parteimitglied, das laut Rudolf Müller keine Email-Adresse haben wollte, ist Anfang 20.