Verfassungsschutzbericht 2015, Frontal21 und der Innenminister - Rechte Drähte in Sachsen: Von Staatsanwaltschaften, Verfassungsschutz, Polizeibeamten und Extremisten

Erstveröffentlicht: 
27.04.2016

Sachsens Innenminister Markus Ulbig hat es mal wieder ins Fernsehen geschafft. Nicht immer schmeichelhaft, wenn dies ausgerechnet bei Frontal21 geschieht und es um Unterlassungen der Behörden geht. Am Abend des 26. April 2016 strahlte das ZDF einen Bericht über etwas aus, was man wohl leider erneut „sächsische Verhältnisse“ nennen muss. Nicht ganz neu für L-IZ – Leser tauchen dabei neben dem Anschlag auf die „Mangelwirtschaft“ in Dresden und der Freitaler „Bürgerwehr“ im Beitrag über Sachsens Zustände mit Alexander Kurth und Fernando V. auch alte Bekannte wieder auf. Es geht mal wieder um all das, was man im Freistaat unterlässt und verdreht, wenn es um Rechtsextreme geht.

 

Der Zeitpunkt der Beitragsausstrahlung war ganz gut gewählt, denn am gleichen Tag erschien auch der Verfassungsschutzbericht 2015 in Sachsen. Auch in diesem findet sich ein Beispiel für die verdrehte Sicht in Sachsens Behörden auf das Phänomen rechte Straftaten. Doch dazu am Ende mehr. Was Frontal21 ausgegraben hat, ist nicht ganz neu für L-IZ- Leser. Erneut wird vor dem Hintergrund der Anschläge auf verschiedene Wohnprojekte und Asylbewerberheime die „mutmaßliche Freundschaft“ zwischen dem Einsatzbeamten Fernando V. und dem Ex-NPD-Mitglied, Legida-Unterstützer und „Die Rechte“–Frontmann Alexander Kurth beleuchtet.

 

Neu dabei einzig: Neben den Whats-App-Chats während der Einsätze von Fernando V. bei Legida in Leipzig mit Alexander Kurth rief dieser ihn persönlich um Hilfe, als sich vor seinem Wohnhaus eine Gruppe für ihn Linksextremer versammelte (und offenbar später ohne Vorkommnis weiterzog). Fernando V. spurte und informierte nach Frontal21–Recherchen seine Kollegen, um seinen mutmaßlichen Freund zu schützen. Über die am 9. Mai 2015 bei Indymedia aufgetauchten Leaks von Kurth´s Handy, die Verbindungen zur Polizei und den weiteren Verbleib Fernando V.s im Dienst berichtete die L-IZ.de ausführlich

 

Neu ist nun auch, wohin es Fernando V. nach dem Auffliegen seiner engen Kontakte zu einem der führenden Rechtextremen in Sachsen verschlug. Dass er trotz der Vorwürfe weiterhin, wie zum Beispiel ausgerechnet bei Demonstrationen rings um die Erstaufnahmeeinrichtung in Freital, im aktiven Dienst verblieb, war zwar bekannt. Doch nun wird nach ersten Gerüchten vor Wochen abschließend klar, dass Fernando V. mittlerweile statt disziplinarrechtlicher Maßnahmen oder gar das Ende seiner Laufbahn zu erleben zum polizeilichen Ausbilder in Sachsen aufgestiegen ist.

 

Für Innenminister Markus Ulbig im Interview mit Frontal21 kein Problem. Er sieht darin ein konsequentes Vorgehen nach den Vorwürfen gegen den ehemaligen Vorzeigebeamten – so steht nun Fernando V. nicht mehr auf der Straße, sondern wird mit öffentlicher Zustimmung des Innenministers auf den sächsischen Polizeinachwuchs losgelassen. 

 

Auch bei der „Gruppe Freital“ alles richtig gemacht


Auch in Sachen Ermittlungsverfahren gegen die nun als „kriminelle Vereinigung“ durch den Generalbundesanwalt verfolgte „Gruppe Freital“ (also die Bürgerwehr Freital) sieht Ulbig weiterhin alles im Lot. Schnell hat man in Sachsen in CDU-Kreisen eine Sprachregelung dafür gefunden, dass – so indirekt nun auch durch Ulbig bestätigt – entgegen sonstiger Gepflogenheiten der Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank den Fall an sich ziehen musste, statt dass er vom Verdacht einer Bildung einer kriminellen Vereinigung von den sächsischen Staatsanwälten informiert wurde, um das Verfahren von sich aus abzugeben.

 

Denn diese hatten die ersten drei Verhaftungen als Einzelfälle behandelt, konnten also scheinbar keine zusammenarbeitende Gruppe erkennen, wie sie sich nun durch weitere fünf Verhaftungen und ein Zusammenführen der Fälle rings um die „Bürgerwehr FTL 360“ ergeben dürfte.

 

Seitens Ulbig und seiner Parteikollegen kann man nun seit Tagen hören, dass es vor allem der guten Ermittlungsarbeit des Operativen Abwehrzentrums (OAZ) und weiterer Ermittler geschuldet sei, dass der Generalbundesanwalt hier in kurzer Zeit weitere fünf Verhaftungen vornehmen konnte. Das mag in Teilen so sein, unterschlägt eben nur den unbequemen zweiten Teil der Wahrheit. Es wird mal wieder alles getan, um nicht zugeben zu müssen, wie hartnäckig in Sachsen die Bildung krimineller rechtsextremer Netzwerke unter dem Radar gehalten und immer wieder als Einzelfälle deklariert werden. 

 

Oder es wird gleich gänzlich verdreht


Wie quer so manche Sicht in Sachsen ist, zeigt ein paralleler Vorgang, welcher den Weg in den gestern erschienenen Verfassungsschutzbericht gefunden hat. In der Nacht vom Montag, 19. Oktober 2015 auf den 20. Oktober geht gegen 0:20 Uhr in der Bahnhofshalle am Leipziger Hauptbahnhof eine Gruppe offensichtlich gewaltbereiter junger Männer mit Holzstöcken auf eine Gruppe Gegendemonstranten los. Diese kommen gerade aus Dresden an, wo sie gegen Pegida demonstriert haben. Am Übergriff wahrscheinlich beteiligt auch Kevin D., er soll sogar ein Messer mit sich geführt haben.

 

Erkannt wird er auf einem vor Ort gedrehten Handyvideo, da er bereits in den 90iger Jahren in der Leipziger Neonazi-Szene aktiv gewesen ist. Die hinzukommenden Beamten greifen zwar ein, sprühen jedoch anschließend den flüchtenden Gegendemonstranten Pfefferspray ins Gesicht.

 

Im Verfassungsschutzbericht 2015 findet man diesen Vorfall wieder, allerdings ins Gegenteil verkehrt. Hier steht nun zu lesen, es seien am 20. Oktober 2016 „am Leipziger Hauptbahnhof rückkehrende Pegida-Teilnehmer angegriffen“ worden.

 

Wenn man nicht aufgrund der zeitlichen Unmöglichkeit wüsste, dass Fernando V. die Beamten, welche beim Vorfall zugegen waren, nicht ausgebildet haben kann, man müsste es fast vermuten. Dass der Verfassungsschutz sich offenkundig sogar weigert, öffentlich zugängliche Quellen wie Videos und Zeitungsberichte (siehe Links) zu nutzen, zeigt das Beispiel hingegen definitiv. Markus Ulbig garnierte am gestrigen 26. April den aktuellen Jahresbericht aus Sachsen mit den Worten: „Der Verfassungsschutz schützt unsere Demokratie“.

 

Ein wenig mehr Faktentreue und ab und zu auch ein Blick in die Polizeistrukturen des Freistaates wären da sicher hilfreich.

Zum Beitrag „Rechtsextremismus in Sachsen“ von Frontal21 vom 26. April 2016 (Video)