Verfassungsschutzbericht 2015 - Was Sachsens Verfassungsschützer 2015 alles über rechtsextreme Terrornetzwerke gelernt haben

Erstveröffentlicht: 
27.04.2016

Da staunten sogar die Kollegen von der „Zeit“, als sie den am Dienstag, 26. April, veröffentlichten „Verfassungsschutzbericht 2015“ lasen und die rechtsextremistische Terrorzelle aus Freital drin fanden. Das Jahr 2015 war augenscheinlich für Sachsens Verfassungsschützer ein Jahr, in dem sie eine Menge gelernt haben.

 

Nicht ganz freiwillig. Am Ende waren es die zunehmenden fremdenfeindlichen Demonstrationen, Aktionen und Anschläge in Sachsen, die die Verfassungsschützer zwangen, aus ihrer jahrelang gepflegten Agonie zu erwachen. In der sie ja bekanntlich nicht alleine ruhten. Kritisch anfragende Abgeordnete des Sächsischen Landtages bekamen immer wieder beschwichtigende, schulterzuckende, zuweilen regelrecht gleichgültige Antworten zu den rechtsextremistischen Aktivitäten in Sachsen. Von Radikalisierung und der Bildung terroristischer Zellen wollte auch der Innenminister nichts wissen. Da verließ er sich auf die oft genug windelweiche Expertise seiner Schlapphüte, die jahrelang nicht aus dem Trott Rechtsextremismus = Linksextremismus herauskamen und beides abwogen, als würde sich die politische Waage dadurch irgendwie ausrichten.

 

Deutlicher noch als die vorhergehenden Verfassungsschutzberichte macht nun der für 2015 deutlich, dass es da weder ein Gleichgewicht gibt, noch dass man es mit vergleichbaren Phänomenen zu tun hat. Und auch, dass die Gefahr für die politische Verfassung in Sachsen eindeutig von rechts kommt, aus einem zutiefst rassistischen, revisionistischen und gewalttätigen Milieu.

 

Lang hat es gedauert, bis der Verfassungsschutz eine Entwicklung ernst genommen hat, die zur deutlichen Radikalisierung der Szene geführt hat. Aber auch dazu, dass wesentliche Gruppen und Akteure fast komplett aus dem Blickfeld der Verfassungsschützer abtauchten. Während Organisationen wie die NPD deutlich an Zuspruch und Mitgliedern verloren, organisierten sich die sächsischen Rechtsextremisten zunehmend in losen Gruppen, bildeten lose Netzwerke, die immer stärker über offene oder geschlossene Kanäle im Internet interagierten, und sie schürten überall dort, wo sie Aktionsräume fanden, die Stimmung im Land. Schon weit vor Ankunft der Flüchtlinge aus Syrien. Schon im Herbst 2014 begannen sie, sich bei PEGIDA anzudocken und waren dann fortan immer dabei, wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen am Rande der fremdenfeindlichen Umzüge kam. Zumeist mit linken Autonomen, die damit ihre Straftatenliste in Sachsen regelrecht aufblähten.

 

Dass aber die Unsichtbarkeit der rechtsextremen Netzwerke nicht bedeutete, dass die gewaltbereiten Neonazis verschwunden waren, erlebte ja die sächsische Öffentlichkeit 2015 in aller Breite. Und der Verfassungsschutz musste – nachdem er noch Anfang des Jahres die Gefahr eines rechten Terrornetzwerkes verneinte und auch die Angriffe auf Asylunterkünfte und Politiker einfach nicht mit bekennenden Neonazis in Verbindung bringen konnte – lernen, dass man sich da selbst in Schlaf gelullt hatte.

 

Im Sommer 2015, als dann die „Oldschool Society“ von sich Reden machte, muss der Groschen dann gefallen sein. Vielleicht hat auch das Umdenken des Innenministers etwas bewirkt, der seitdem endlich verstärkt das OAZ in die Spur geschickt hat, seit die gewalttätigen Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte immer drastischere Formen annahmen. Wo das OAZ fündig wurde, stellte sich ziemlich schnell heraus, dass man es immer wieder mit wenigen Tätern zu tun hatte, die zumeist schon seit Jahren in den losen rechtsextremen Strukturen unterwegs waren und die sich – wie die jüngst erst aufgeflogene Gruppe in Freital – längst so weit radikalisiert hatten, dass sie ganze Serien von Anschlägen planten und auch durchführten.

 

Wo das Problem der Wahrnehmung lag, schildert der Verfassungsschutzbericht so: „Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene war auch wesentlich für die starke Zunahme der asylbezogenen Straftaten verantwortlich. Insbesondere diese rechtsextremistische Szene neigte im Zeitverlauf immer offener zu Gewalt gegen Asylbewerber sowie deren Aufnahmeeinrichtungen. Grund war die ausgeprägte Gewaltneigung der Szene und die zunehmenden Begegnungen mit Asylbewerbern im Alltag. Diese beiden Aspekte – die geringe Hemmschwelle und die sich häufiger ergebende Gelegenheit zur Ausübung von Gewalt – stellen eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. Diesbezüglich gab es innerhalb der rechtsextremistischen Szene immer wieder Überlegungen, eigene gewalttätige Aktionen gegen Asylbewerber und deren Einrichtungen durchzuführen. Hier ist exemplarisch die subkulturell geprägte ‚Oldschool Society‘ (OSS) zu nennen. Mit ihr bildete sich seit der rechtsextremistischen Terrorzelle ‚Nationalsozialistischer Untergrund‘ (NSU) der erste Personenzusammenschluss, der tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer entstehenden rechtsterroristischen Gruppierung aufwies.“

 

Nun weiß man mit der Freitaler Gruppe von wenigstens zwei solcher Zusammenschlüsse. Es wird wohl noch mehr geben, gerade dort, wo sich die fremdenfeindlichen Übergriffe 2015 besonders geballt haben: im Raum Dresden, Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, wahrscheinlich auch im Raum Zwickau.

 

Und all die so völlig ziellosen GIDAs in Sachsen boten 2015 vor allem den Rechtsextremen eine ideale Plattform, ihre rassistischen und zuweilen hysterischen Vorstellungen mitten in die gesellschaftliche Debatte zu bringen und damit oft genug sogar die Wortführerschaft zu übernehmen, ohne dass es die „besorgten Bürger“, die ihnen da auf Demonstrationen oder in ausufernden Internetdebatten begegneten, zu merken schienen.

 

Dass gerade die „Sozialen Medien“ zum Verstärker der rechtsextremen Stimmungsmache wurden, hat man beim Sächsischen Verfassungsschutz dann auch irgendwann im Lauf des Jahres 2015 eingesehen, nachdem auch dazu vorher die Antworten aus der Staatsregierung meistens so klangen, als hätte man es bei all den besorgten „Bürgerinitiativen“ tatsächlich mit lauter unbescholtenen Bürgern zu tun.

 

„Solche Gefahren werden durch den alarmierenden Tonfall, der sich vor allem in Internetverlautbarungen immer wieder findet, noch verschärft. Eine zentrale Rolle für die Verbreitung rechtsextremistischer menschenverachtender Stereotype und für die Mobilisierung zu asylbezogenen Veranstaltungen spielte im Berichtsjahr vor allem das Internet“, heißt es nun im „Verfassungsschutzbericht 2015“. „Insbesondere mithilfe von sozialen Netzwerken, wie Facebook oder dem Kurznachrichtendienst Twitter, gelang es Rechtsextremisten, ein vergleichsweise breites Publikum für ihre Botschaften zu erreichen und sich szene- und regionenübergreifend zu vernetzen.“

 

Und man wurde tatsächlich aufmerksamer: „Die Zahl der Facebook-Seiten mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen nahm im Laufe des Berichtsjahres kontinuierlich zu. Gleichzeitig war im Internet eine wachsende Verbalradikalität zu beobachten. So traten Rechtsextremisten als provokative Stichwortgeber auf, denen mitunter strafbare, zum Teil Gewalt verherrlichende Äußerungen einzelner Internetnutzer folgten.“

 

Und während man die Schwerpunkte der gewaltbereiten „Linksextremisten“, die im Bericht richtigerweise als Autonome bezeichnet werden, vor allem in den beiden Großstädten Leipzig und Dresden verortet, haben sich die organisierten Rechtsextremen im ganzen Freistaat vernetzt: „Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szenen existieren gleichmäßig auf den Freistaat Sachsen verteilt. Die wenigen festen Strukturen sind dagegen nur in Ostsachsen und Leipzig feststellbar. Dazu zählen der Nationale Jugendblock e.V. (NJB) in Zittau und die Brigade 8, die mittlerweile in Leipzig und Weißwasser (Landkreis Görlitz) und darüber hinaus auch in mehreren Bundesländern vertreten ist. Mit der Oldschool Society (OSS) existierte mit Schwerpunkt im Landkreis Leipzig eine bundesweite subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierung, bei der Anhaltspunkte für den Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung bestehen. Das Verfahren gegen die Mitglieder ist seit Mai 2015 beim Generalbundesanwalt anhängig.“

 

Der Unterschied zu den linken Autonomen, die ihre Gewalttaten vor allem gegen den politischen Gegner (vor allem die Rechtsextremen) und die Polizei (den „Staat“) richten: Die Rechtsextremisten greifen vor allem schwächere und wehrlose Menschen an. Mit den Worten des Berichtes: „Mit der Zunahme der rechtsextremistischen Agitation gegen Asylbewerber häuften sich im Jahr 2015 abermals die Straftaten gegen Asylbewerber und deren Aufnahmeeinrichtungen.“

Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten stieg von 83 im Jahr 2014 auf 201 im Jahr 2015. Was nicht bedeutet, dass die rechten Gewalttäter vor Angriffen auf die Polizei zurückschrecken. Wo von Rechtsextremen befeuerte Demonstrationen wie in Heidenau aus dem Ruder laufen, wird auch vor direkten Angriffen gegen die eingesetzten Polizeibeamten nicht zurückgeschreckt – was zum Anstieg rechtsextremer Gewalttaten gegen Polizisten von 4 im Jahr 2014 auf 39 im Jahr 2015 geführt hat.

 

Allein die Analyse der rechtsextremen Strukturen im Freistaat nimmt über die Hälfte des Verfassungsschutzberichtes ein. Stellenweise liest es sich jetzt so, dass man im Landesamt für Verfassungsschutz die zunehmende Radikalisierung und „subkulturelle“ Vernetzung der neonazistischen Gruppen endlich ernst zu nehmen scheint. Und damit auch die Rolle, die die aktiven Neonazis bei der Anheizung der „asylkritischen“ Stimmung in einigen Landesteilen gespielt haben. Denn unübersehbar gab es nicht nur die meisten Anti-Asyl-Veranstaltungen genau dort, wo sich die rechtsextremen Strukturen schon seit Jahren fest verankert haben – in der Sächsischen Schweiz/Osterzgebirge und im Landkreis Bautzen, dort waren auch die Schwerpunkte der gewalttätigen Übergriffe auf Asyleinrichtungen.

 

Und weil der Bericht in einigen Passagen einen durchaus ungewohnten Klartext sprach, waren auch die Reaktionen aus der Politik entsprechend entsetzt.