Der Beschluss des Unterhauses des brasilianischen Kongresses von Sonntag, die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff einzuleiten, markiert das Ende einer politischen Ära und den Beginn einer neuen Periode scharfer Klassenkämpfe im größten Land Lateinamerikas.
Dreizehn Jahre lang stützte sich die brasilianische herrschende Klasse auf die Arbeiterpartei (PT), zuerst unter ihrem Gründer, dem früheren Vorsitzenden der Metallarbeitergewerkschaft, Luiz Inacio Lula da Silva, und dann unter seiner handverlesenen Nachfolgerin Dilma Rousseff. Auf diese Weise versuchte sie die Interessen des brasilianischen und des internationalen Kapitals zu verteidigen. Gleichzeitig dämpfte sie in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaftsbürokratie die sozialen Spannungen mithilfe geringfügiger Sozialprogramme.
Das Amtsenthebungsverfahren fällt mitten in die schwerste Wirtschaftskrise des Landes seit der großen Depression der 1930er Jahre. Es geht im Wesentlichen auf die Entscheidung der herrschenden Finanz- und Wirtschaftselite zurück, die Klassenbeziehungen im Land grundlegend zu verändern. Darin wird sie auch vom US-Imperialismus unterstützt.
Rousseff, Lula und ihre Anhänger erheben immer wieder den Vorwurf, ein Amtsenthebungsverfahren mit willkürlichen Beschuldigungen wegen Manipulation der Staatsfinanzen gegen sie zu eröffnen, komme einem „Putsch“ gleich. Insoweit es sich tatsächlich um einen Putsch handelt, der unter grobem Missbrauch der Verfassung betrieben wird, sitzen die Hauptverschwörer nicht im brasilianischen Militär oder der CIA, sondern an den Finanzmärkten von Sao Paulo und der Wall Street.
Die brasilianischen Aktienkurse haben seit Jahresbeginn um 35 Prozent zugelegt, insbesondere wegen der Kampagne für das Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff. Die brasilianische Währung, der Real, stieg in diesem Zeitraum gegenüber dem Dollar um mehr als zehn Prozent.
Am Vorabend der Abstimmung über das Amtsenthebungsverfahren übten führende Wirtschafts- und Finanzvertreter heftigen Druck auf den Kongress aus, um sicherzustellen, dass das Unterhaus für die Amtsenthebung stimmte. Abgeordnete, die erklärten, es nicht zur Abstimmung in der Hauptstadt Brasilia zu schaffen, bekamen Privatjets zur Verfügung gestellt.
Die Abstimmung übertraf problemlos die notwendige Zweidrittelmehrheit, die notwendig war, um das Verfahren an den Senat weiterzureichen. Im Ergebnis waren es 367 Ja-Stimmen gegenüber 146 Nein-Stimmen, Enthaltungen und Abwesenheiten. Umgehend brachte die Tageszeitung Folha de S.Paulo einen Artikel mit der Überschrift „Wirtschaft fordert unpopuläre Reformen binnen sechs Monaten“. Darin legte sie die Agenda für die Nachfolge-Regierung von Vizepräsident Michel Temer fest, dem Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens (PMDB). Unter anderem fordert sie, die Bestimmung zurückzunehmen, dass die Regierung garantierte Mittel für die Gesundheitsversorgung und die Bildung bereitzustellen hat. Außerdem mahnte sie eine radikale „Reform“ der Rentengesetze an, eine Neufassung der Arbeitsgesetzgebung sowie eine neue Welle von Privatisierungen, darunter von Petrobras. Der Konzern steht im Zentrum des Bestechungsskandals, in den nicht nur die PT-Regierung verwickelt ist, sondern alle großen Parteien. Ganz offensichtlich wird ein Frontalangriff auf die sozialen Rechte und Lebensbedingungen der brasilianischen Arbeiterklasse vorbereitet.