Schwierige Gedenkkultur - Am 21. April erinnert Eilenburg an den Beschuss der Stadt 1945, aber warum eigentlich?

Erstveröffentlicht: 
20.04.2016

Es ist nicht so einfach mit der Erinnerung. Erst recht nicht mit der an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Dresden macht ja seit Jahren vor, wie schwer das ist: Jeden Februar veranstaltet man Kranzniederlegungen zur Erinnerung an die Bombenabwürfe im Februar 1945. In Leipzig erinnert man sich lieber an den 18. April, den Tag, als die Amerikaner in die Stadt kamen und die NS-Herrschaft beendeten. In Torgau feiert man lieber am 25. April den „Elbe-Day“. Und in Eilenburg?

 

Da wird es ganz schwierig. Die Eilenburger Stadtverwaltung lädt ein zur Kranzniederlegung am 21. April: „Zum Gedenken an die Opfer des Beschusses der Stadt Eilenburg im April 1945 findet am Donnerstag, dem 21. April, um 11:00 Uhr eine Kranzniederlegung an der Kriegsgräbergedenkstätte des Stadtfriedhofes statt. Alle Bürger sind dazu herzlich eingeladen.“

 

Mitgeschickt hat die Stadt ein Foto von der Kranzniederlegung im Vorjahr auf dem Stadtfriedhof mit dem Mahnmal für die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Ein groß auf Stein gepacktes „Warum“. Als hätte es seit Jahren keine Antworten auf diese Frage gegeben. Kriege sind zwar etwas Irrationales – aber trotzdem lassen sich Ursachen, Beweggründe, Schuld und Versagen in der Regel sehr eindeutig benennen. Das „Warum“ ist hier falsch. War es schon immer.

 

Denn vor der Entscheidung, wie sie auf das Vorrücken der Alliierten reagieren, standen 1945 sämtliche Stadtkommandanten in Deutschland. Und die, die sich noch ein bisschen Menschlichkeit und Ratio bewahrt haben, haben die Städte kampflos übergeben, haben mit den Amerikanern verhandelt (wie in Halle) oder sich auf einzelne Punkte zurückgezogen, ohne die ganze Stadt einem Flächenbeschuss auszusetzen (wie in Leipzig).

 

Es gab auch die anderen, die wilden Fanatiker oder tumben Befehlserfüller. Wie in Breslau, das zur „Festung“ erklärt wurde, oder eben Eilenburg, dessen westlicher Stadtrand am 17. April von amerikanischen Panzern erreicht wurde. Hier versuchte Panzerkorpsgeneral Maximilian Reichsfreiherr von Edelsheim, die Amerikaner an der Mulde aufzuhalten. Die Stadt war – wie Breslau – zur Festung erklärt worden. Eine Verhandlung mit den Amerikanern über eine Kapitulation blieb aus. Und so erlebte Eilenburg fünf Tage lang das, was in Halle in letzter Minute verhindert worden war. 65 Prozent der Stadt waren nach diesem Dauerbeschuss zerstört, das historische Stadtzentrum sogar zu 90 Prozent, als die Panzer der 69. US-Division am 23./24. April in die Stadt rollten.

 

Die Brücken aber über Mulde und Mühlgraben hatten die deutschen Truppen selbst gesprengt. Die Übergabeaufforderung wurde verweigert. Es gibt also nicht wirklich einen Grund, hier nach dem „Warum“ zu fragen, auch wenn damit alle Opfer des Weltkriegs gemeint sind. Aber weder ist der Krieg zufällig ausgebrochen, noch sind die Nazis von allein an die Macht gekommen.

 

Eigentlich wäre es an der Zeit, auch in der Erinnerungskultur ein „Darum“ daraus zu machen. Denn wenn man die Erinnerung an solche menschgemachten Tragödien immer wieder durch ein nebliges „Warum“ mystifiziert, lernt die Menschheit niemals was. Und schon gar nicht, dass man kriegslüsterne Führer und Weltenretter einfach nicht an die Macht wählen und sich hinterher wundern darf, dass sie es immer genauso meinen, wie sie ankündigen.

 

Was hätte sich geändert, wenn Eilenburg verhandelt und wie Leipzig am 20. April kapituliert hätte?

 

Die Amerikaner wären drei Tage früher in die Stadt eingezogen, die nie so zerstört worden wäre. Und sie wären wohl drei Tage früher in Torgau gewesen.

Das „Warum“ steckte nur im Kopf einiger Generäle, die partout nicht den Schneid hatten, das eigene Land zu verschonen und einem Größenwahnsinnigen, der in Berlin im Bunker hockte, die letzten sinnlosen Befehle zu verweigern.

 

Das werden wahrscheinlich ein paar Bürger in Uniform anders sehen. Aber genau da, wo die militärische Feigheit anfängt, beginnt der Mut des Demokraten. Da helfen auch keine Kränze und Trauermusiken. Auch wenn der 21. April an ein brennendes Eilenburg erinnert. Aber nur zur Erinnerung: Auch in Leipzig wird nicht der 3. oder 4. Dezember 1943 erinnert, als nicht nur die Stadt in Flammen aufging, sondern die ganze einst erfolgreiche Buchstadt im Grafischen Viertel.

 

Manchmal entscheidet genau das, was man erinnert, darüber, welche Beziehung die Bürger einer Stadt zu ihrer Geschichte haben.