Das Landeskriminalamt hat nach dem Neonazi-Angriff vom 1. Mai 2015 in Saalfeld 21 Verdächtige ermittelt. Eine LKA-Sprecherin sagte MDR THÜRINGEN, die Verdächtigen stammten aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. Gegen sie ermittle die Staatsanwaltschaft Gera wegen Landfriedensbruch. Die polizeilichen Ermittlungen dauerten noch an, so dass sich die Anzahl der Tatverdächtigen noch ändern könne. Bei dem Angriff von rund 80 Neonazis auf eine Gruppe junger Punks am Rand eines Neonazi-Aufmarschs waren drei Jugendliche zum Teil schwer verletzt worden.
Seit fast einem Jahr ist die Sonderermittlungsgruppe "Zesar" des
Landeskriminalamts mit dem Fall Saalfeld befasst. Der Polizeieinsatz
rund um den Angriff war umstritten und mehrfach Thema im Innenausschuss
des Thüringer Landtags. Bis heute konnte nicht abschließend geklärt
werden, warum Polizeibeamte die rund 80 Neonazis nach dem Angriff rund
eine Stunde lang durch Saalfeld eskortierten, ohne deren Identitäten
festzustellen, obwohl die Einsatzleitung über den Angriff Bescheid
wusste. Die Landespolizeidirektion hatte dem MDR im Februar auf Anfrage
bestätigt, dass das Angebot einer Zeugin, Täter direkt vor Ort zu
identifizieren, nicht dokumentiert ist.
MDR THÜRINGEN hatte
mithilfe von im Internet frei zugänglichen Film- und Fotoaufnahmen im
Februar diesen Jahres rund 40 mutmaßlich beteiligte Männer und Frauen
aus der rechtsextremen Szene Sachsens und Sachsen-Anhalts namentlich
oder mit Facebook-Alias-Namen recherchiert. Darunter sind mehrere
bereits polizeibekannte Neonazis, Beteiligte an den Ausschreitungen vor
der Dresdner Flüchtlingszeltstadt im vergangenen Sommer und Ordner des
rechtsextremen Leipziger Pegida-Ablegers Legida.
Wie sind der Neonazi-Übergriff und der Polizeieinsatz in Saalfeld am 1. Mai 2015 wirklich abgelaufen? Die Darstellungen von Zeugen und dem Innenministerium gehen teilweise auseinander. MDR THÜRINGEN dokumentiert die Widersprüche.
Am Bahnhof sammelt sich eine Gruppe von 80 verspäteten Teilnehmern des rechtsextremen Aufmarschs. Die Bundespolizei leitet diese Information weiter.
Die fünf Bundespolizisten vor Ort können die Rechtsextremisten nicht aufhalten. Die Gruppe verlässt den Bahnhof und zieht in Richtung Demonstrationsort. Es gibt keine Polizeibegleitung.
Innenminister Poppenhäger erklärt im Innenausschuss des Thüringer Landtags, dass die fünf Bundespolizisten einer Bitte der Einsatzleitung nicht nachkamen, die Rechtsextremisten am Bahnhof festzuhalten.
Die Rechtsextremen greifen in der Nähe des Marktplatzes eine Gruppe junger Punks an. Drei junge Leute werden zum Teil schwer verletzt. Ein Augenzeuge informiert die Verkehrspolizisten, die wenige hundert Meter entfernt stehen. Die melden den Vorfall per Funk weiter.
Innenminister Poppenhäger erklärt im Innenausschuss, dass bereits 12:41 Uhr Kräfte der Polizei zu der Neonazi-Gruppe entsandt wurden.
Ein blauer VW-Bus, ein ziviler Einsatzwagen der sächsischen Polizei, ist auf einem Video des Augenzeugen unmittelbar am Tatort zu sehen. Der Zeuge sprach den Fahrer sogar an. Auch andere Zeugen erinnern sich an den Wagen.
Die Landespolizeidirektion bestreitet die Anwesenheit des Wagens. Auf MDR THÜRINGEN-Anfrage teilt die Behörde mit: "Ein Einsatzfahrzeug befand sich zur Tatzeit nicht unmittelbar am Tatort."
Die entsandten Beamten erreichen die Neonazi-Gruppe, die inzwischen weitergezogen ist.
Innenminister Poppenhäger und der damalige Polizeieinsatzleiter und Vizepräsident der Landespolizeidirektion Kehr erklären im Innenausschuss, dass die Beamten nichts von dem Angriff wussten. Außerdem habe es Störungen durch Gegendemonstranten gegeben, so dass eine Identitätsfeststellung nicht möglich gewesen sei. Kehr sagt weiter, dass die stattgefundenen Körperverletzungen zunächst keine Priorität in der Informationsverarbeitung bzw. -beauftragung gehabt hätten. Die Schwere der Verletzungen sei zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen.
Eine Mitarbeiterin der Opferberatungsstelle ezra erreicht den Tatort wenige Minuten nach dem Angriff. Die Opfer stehen unter Schock, werden vom eintreffenden Rettungsdienst versorgt und ins Krankenhaus gebracht. Eine Augenzeugin bietet Hilfe bei der Identifizierung der Schläger an. Das Angebot wird der Polizei vor Ort mitgeteilt.
Auch davon will die zuständige Landespolizeidirektion nichts wissen. Auf Anfrage teilt sie mit: "Ein derartiges, konkretes Angebot ist nicht dokumentiert. Es liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen wird auf die zu diesem Zeitpunkt äußerst kritische Einsatzlage verwiesen."
Ein Kamerateam des MDR filmt die Neonazi-Gruppe, die ruhig und geordnet von der Polizei zum Kundgebungsort geführt wird. Es gibt zu diesem Zeitpunkt keine Störungen durch Gegendemonstranten mehr.
Fast eine Stunde nach dem Angriff erreichen die Rechtsextremisten unter Polizeischutz den Startpunkt für ihren Aufmarsch. Sie passieren die Sicherheitskontrollen am Kundgebungsort und verschwinden in der Masse.