Angst, Zorn und Vorurteile: Eine Ankunft in Meerane

Erstveröffentlicht: 
14.04.2016

Als die ersten Flüchtlinge am Dienstag ins Erstaufnahmeheim gebracht werden, gibt es Protest. Wieso eigentlich? Ein Gespräch mit Asylgegnern.

Von Michael Stellner

 

Meerane. Der kleine Junge sitzt am Wegrand und spielt mit den Grashalmen. "Frag' doch den kleinen Mann, warum er heute auf die Straße geht", sagt ein großer, breitschultriger Mann mit Schnauzbart. Der kleine Junge ist sein Sohn. Gemeinsam mit etwa zwanzig anderen Meeranern warten die beiden am Gehweg vor der neuen Erstaufnahmeeinrichtung. Sie stehen einfach nur da. Niemand hat ein Transparent dabei, es gibt keine Sprechchöre. Wir gehen hinüber zu dem Jungen. Er ist noch im Grundschulalter.

 

"Was sind die Flüchtlinge", fragt ihn sein Vater. "Viehzeug", sagt der Junge leise und lächelt Papa an. "Und was machen die", fragt der Vater. "Die spucken und kratzen", sagt der Junge. "Traust du dich noch auf die Straße gehen?" Der Junge schüttelt den Kopf. Ich gehe neben ihm in die Hocke und frage: "Hast du Ausländer in deiner Klasse?" Er schüttelt den Kopf. "Haben sie dich auf der Straße schon einmal geärgert oder dir was getan?" Er schüttelt wieder den Kopf. "Kennst du überhaupt Ausländer hier in Meerane?" Nochmal Kopfschütteln. Ich wende mich wieder zu dem Schnauzbartträger. "Das hat er vom Vater", sage ich. "Von mir? Nein, von mir hat er das nicht", sagt der Mann. "Er kuckt selber Nachrichten. Sag, dass du selber Nachrichten kuckst."

 

Es ist Dienstag, früher Vormittag. Ein Reisebus hat gerade 41 Asylbewerber in die Unterkunft gebracht. Die ersten Bewohner der neuen Erstaufnahmeeinrichtung. Die Ansammlung auf der anderen Straßenseite lehnt das Heim ab. Mal sind zehn Leute da, mal dreißig, es herrscht ein Kommen und Gehen. Mehrere Aktive der Facebookgruppe "Meerane unzensiert" sind unter ihnen, manche tragen das Gruppenlogo auf ihrer Kleidung. Die Gruppe sei weder gewalttätig noch rechts, sagt ein kahlköpfiger Mann. In der "Freien Presse" würden nichts als Lügen stehen.

 

Ein anderer Mann kommt dazu und baut sich vor mir auf. Er bellt Fragen und gibt sich gleich selbst die Antworten. Unterbrechen lässt er sich nicht. Ob er diskutieren oder nur Dampf ablassen will, frage ich. "Wenn ich Dampf ablasse, dann würdest du nicht mehr hier stehen", sagt er. Viermal droht er mir in dem kurzen Gespräch Schläge an.

 

Aus dem angrenzenden Haus kommt ein Bewohner und schimpft: "Dass ihr das alles wieder mitnehmt!" Er meint die Papierservietten, die am Boden liegen, weil sich einige Leute eine Roster nebenan am Bratwurststand geholt haben. "Nicht dass ich euch das auch noch wegräumen muss", grantelt er. Bevor er weitergeht deutet er hoch auf das neue Heim. "Was ihr mit denen da drin macht, ist mir egal, von mir aus anbrennen. Aber das hier, das räumt ihr weg." Ja, ja, sie räumen schon auf, sagen die Wartenden.

 

Viele Stunden stehen sie an diesem Tag vor der Einrichtung. Sie beobachten. Die Ausländer hätten in der Stadt ein Klima der Angst geschaffen, sagen sie. Eine junge Frau mit Hund kennt nur ein Wort für Asylbewerber, das sie fortlaufend wiederholt: "Viehzeug." Mit Knüppeln sollen die Fremden auf ihren Hund eingeschlagen haben, sagt sie, nur weil er ohne Leine herumlief. Der Hund schaut mich treuherzig an. Zwei Fremde seien ihr einmal nachts hinterhergegangen. Deutsche Kinder würden von Ausländern verprügelt. In Geschäften würden sie stehlen und die Belegschaft einschüchtern. Auf dem Spielplatz würden fremde Männer die deutschen Frauen ansprechen. "Was würden Sie sagen, wenn ich Sie laufend in einer anderen Sprache anbrülle", fragt mich die junge Frau.

 

Eine andere Frau erzählt, dass sie nachts nicht mehr schlafen könne, weil in der Wohnung über ihr Asylbewerber laufend Party machen würden. "20 Stück sind da drin", sagt sie. Es würden immer mehr werden. Wenn sie sich beschwert, seien Flaschen auf sie geflogen. Andere berichten von schweren Körperverletzungen und Diebstählen.

 

Seit über einem Jahr leben Asylbewerber in Wohnungen in Meerane. Es waren bisher noch nicht mehr als 190 Personen. Glaubt man den Schilderungen der Asylgegner, dann terrorisieren die Flüchtlinge eine ganze Stadt. Fragt man dazu die Polizei, hört man anderes. Die Glauchauer Revierleiterin Marika Schwanitz sagte der "Freien Presse" in einem Interview, schwere Straftaten durch Asylbewerber seien ihr nicht bekannt. Eigentlich sei es in der Region ruhig.

 

Doch der Polizei glauben die verärgerten Meeraner schon lange nicht mehr. "Die machen doch nichts. Die gehen nur gegen das eigene Volk vor." Deshalb würden sie die Polizei gar nicht anrufen. Sie fühlen sich unverstanden, sie glauben, dass ihnen keiner zuhört. "Es hilft nur noch Gewalt", sagt ein Mann. Wenn die Asylbewerber einen Fuß vor die Tür des neuen Heims setzen, wollen sie aufpassen, sagen sie.

 

Auf der anderen Seite des Stacheldrahtzauns packen die neu angekommenen Flüchtlinge ihre Bettwäsche aus und beziehen ihre neuen Zimmer. Einige freiwillige Helfer aus Meerane sind spontan gekommen und spielen mit den Kindern Puzzle. Ein junger Asylbewerber schaut aus dem Fenster. Von dem Ort, an dem er nun wohnt, sieht er nur die Menschentraube an der Straße. Sie harrt dort aus bis zur Nacht.