Rechte und Linke sind nicht dasselbe, das ahnt so langsam auch der sächsische Innenminister

Entwicklung der „politisch motivierten Kriminalität“ 2011 bis 2015. Grafik: Freistaat Sachsen, SMI
Erstveröffentlicht: 
10.04.2016

Am 6. April stellte Innenminister Markus Ulbig wieder irgend so etwas Ähnliches wie einen Jahresbericht zur politisch motivierten Kriminalität in Sachsen vor. Dabei nutzte Ulbig wieder Frames, die alles zukleistern und nichts erklären. Ein Innenminister, der lieber vernebelt als erhellt. „Besorgniserregend ist vor allem die Entwicklung der politisch motivierten Gewaltkriminalität, die im Vergleich zum Vorjahr um über 50 Prozent gestiegen ist“, sagte er zum Beispiel.

 

Wenn er wirklich besorgt wäre, würde er seine elend zusammengesparte Polizei wirklich schon seit Jahren aufstocken und nicht zusammenstreichen. Die Töne sind übrigens nicht neu. Denn genau wie sein Landesamt für Verfassungsschutz schmeißt auch Ulbig gern alles, was irgendwie nach politisch motivierter Kriminalität klingt, in den großen Haufen „Extremismus“.

 

„Diese Entwicklung lässt möglicherweise darauf schließen, dass Extremisten in einer politischen ‚Sackgasse‘ stecken, daher häufiger zur Gewalt greifen und an der Autorität des Staates graben“, schwadronierte er am Mittwoch, 6. April, als er die Zahlen vorstellte. „Gegner unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates wollen durch die zunehmende Anwendung von Gewalt beispielsweise gegen Asylbewerber und Polizisten ihren absurden politischen Meinungen offensichtlich mehr Gehör und Nachdruck verleihen. Die Staatsregierung wird ihnen weiterhin entschieden entgegentreten.“

 

Das ist Kraftmeierei, aber keine Analyse.

 

Auch wenn er dann – mit einer etwas dünnen Statistik unterlegt – vermelden lässt: „Insgesamt wurden 559 Gewaltstraftaten festgestellt, darunter 213 aus dem Bereich PMK-rechts- und 292 aus dem Bereich PMK-links-.“

 

Das Thema hatten wir gerade, als wir uns mit dem beschäftigten, was Jörg Michaelis, Chef des Landeskriminalamtes, im Januar bei einer CDU-Versammlung in Dresden-Blasewitz erzählt haben soll. Oder auch nicht. Auch er brillierte dort mit einer ausgedünnten Grafik, die einen rapiden Anstieg gerade linker Gewalttaten suggerierte – ohne den älteren Herrschaften zu erklären, was eigentlich hinter diesen Zahlen steckt. Denn Straftat ist nicht gleich Straftat, Gewaltstraftat nicht gleich Gewaltstraftat.

 

2011 gab es schon einmal dieses Phänomen eines scheinbar rapiden Anstiegs von „politisch linksmotivierten“ Gewaltstraftaten. Damals wagte das Innenministerium noch, den gesamten Bericht ins Netz zu stellen, wo sich dann im Detail schnell herausstellte, dass man hier nicht nur Äpfel mit Birnen verglichen hatte, sondern auch regelrecht große Zahlen bei einem einzigen Ereignis produziert hatte: Das waren die Demonstrationen im Februar 2011 in Dresden.

 

Im Ergebnis schrieb man den politisch links Motivierten damals 952 Straftaten zu („Anstieg von 563“) davon 206 „Gewaltdelikte“.

 

Das entspricht so ungefähr dem, was jetzt für 2015 vermeldet wird: „Im Bereich PMK -links- wurden 1.058 Straftaten verübt, 207 mehr als im Jahr zuvor. Dies ist vor allem auf Straftaten, die sich gegen den politischen Gegner oder den Staat richten, zurückzuführen.“

 

Aber wie war 2011 die eigentliche Deliktverteilung?

 

347 Mal wurde den „Linken“ ein „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ zum Vorwurf gemacht, „Sachbeschädigung“ (289 Fälle insgesamt), 67 Mal „Landfriedensbruch“, 9 Mal „gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr“ … Logisch, dass Dresden damals eindeutig die Tabelle anführte mit 581 „linken“ Straftaten. Auch bei den „linken“ Gewalttaten mit 151.

 

Linke Gewalttaten, das waren damals hauptsächlich „Körperverletzung“ (109 Fälle) und wohl auch „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ (15 Fälle), auch das fast alles während Demonstrationen registriert. Es liegt auf der Hand, dass es für 2015 ganz ähnlich war. Denn bei all den rechten und „rechtspopulistischen“ Demonstrationen war die sächsische Polizei wieder sehr bemüht, gerade gegen die Gegendemonstranten etwas robuster vorzugehen.

 

Man hat es bei „politisch links motivierten Straftaten“ zum größten Teil also mit registrierten Vorfällen aus Demonstrationen zu tun. Wenn das vor allem rechte Demonstrationsgeschehen in Sachsen zunimmt, nimmt auch immer die registrierte Zahl von Straftaten bei „linken“ Gegendemonstrationen zu.

 

Das hätte Ulbig zumindest sagen müssen. Hat er nicht. Lieber tat  er so, als seien rechts und links allemal dasselbe.

 

Auch bei den rechts motivierten Straftaten gab es 2011 wesentlich detailliertere Angaben.

 

Für 2015 gab es nur dies: „Im Bereich der PMK -rechts- ereigneten sich 2.415 Straftaten. Ein Jahr zuvor waren es 1.740 Straftaten. Der starke Anstieg der Fallzahlen der PMK-rechts ist vor allem auf häufiger begangene fremdenfeindliche Straftaten zurückzuführen. Von den 819 im Jahr 2015 registrierten fremdenfeindlichen Straftaten waren 799 rechts motiviert. Bei den antisemitischen Straftaten ist mit 100 registrierten Fällen keine nennenswerte Veränderung zum Jahr 2014 festzustellen.“

 

Immerhin wurde vom SMI registriert, dass die Angriffe auf Asylunterkünfte fast alle handfeste rechtsextreme Ursachen haben.

Dafür trifft eines nicht zu: Die meisten Straftaten von Rechtsextremen werden nicht bei Demonstrationen festgestellt, sondern in anderen Zusammenhängen. Hauptdelikt 2011 war übrigens die „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ in  1.154 Fällen, gefolgt von „Sachbeschädigung“ (217), Volksverhetzung (94), Körperverletzung (67) und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (53). Wobei die „Körperverletzung“ durch rechte Gewalttäter ebenfalls oft nicht bei Demonstrationen registriert wurde, sondern häufig als körperlicher Angriff gegen andere Menschen im Alltag.

 

Was dann auch in der regionalen Verteilung der rechten Delikte sichtbar wird: Sie verteilten sich 2011 über das ganze Land- mit einem gewissen Schwerpunkt Chemnitz/Erzgebirge und Dresden.

 

Indirekt gibt Ulbig sogar zu, dass es nicht die „Linken“ sind, die das Land in Angst und Schrecken versetzen. Auch wenn er dabei in eine seltsame – und tatsächlich irreführende – Wortwahl verfällt: „In dieser Entwicklung zeigt sich einmal mehr, wie sich in der politisch motivierten Kriminalität Art und Ausmaß gesellschaftlicher Konflikte widerspiegeln. Die Zunahme der Fälle resultiert maßgeblich aus Straftaten mit Bezug zum Thema Asyl und geht mit der starken Polarisierung zwischen Asylgegnern und Asylbefürwortern einher. So stand 2015 jedes vierte PMK-Delikt damit im Zusammenhang. 2014 war es nur jedes 17. gewesen.“

 

Das ist schlicht: Vernebelung.

 

Da konstruiert der Innenminister regelrecht einen Hauptkonflikt zwischen „Asylgegnern und Asylbefürwortern“, obwohl das Land eindeutig unter rechtsextremistischen Übergriffen auf Asylbewerberunterkünfte und unter zumeist von Rechtsextremen veranstalteten fremdenfeindlichen Demonstrationen leidet, die 2015 immer wieder ausgeartet sind, auch dann, wenn weit und breit kein „Asylbefürworter“ zu sehen war.

 

Und es sind genau diese Übergriffe und Angriffe, die seitdem dafür sorgen, dass OAZ und INES alle Hände voll zu tun haben. Oder mit den Worten des SMI: „Zur weiteren Erhöhung des Verfolgungsdrucks wird ein Teil solcher Straftaten seit Herbst 2015 durch Polizei und Justiz gemeinsam in einem Sonderdezernat bei der Integrierten Ermittlungseinheit Sachsen (INES) bearbeitet. Erste Ermittlungserfolge sind beispielsweise im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Ereignisse in Freital und Heidenau zu verzeichnen.“

 

Und Ulbig selbst: „Mit dem Sonderdezernat ‚INES PMK‘ und dem OAZ hat der Freistaat schlagkräftige Instrumente gegen politisch motivierte Straftäter, auf die wir aufbauen können. Dies zeigt auch die erfreuliche Entwicklung der Aufklärungsquote, die um 8,4 Prozentpunkte gestiegen ist.“

 

Und noch etwas ist dem emsigen Ministerium mittlerweile aufgefallen: „Für alle Phänomenbereiche ist festzustellen, dass Straftaten vermehrt mit dem Tatmittel Internet begangen werden. Die Zahl dieser Delikte hat sich 2015 mehr als verdreifacht (von 184 auf 624). Insbesondere rechte Straftäter nutzen das Internet zur Verbreitung von fremdenfeindlicher Hetze und Propaganda.“

 

Das Fazit ist eigentlich sehr eindeutig: Es sind nicht die „Linken“, die die Stimmung in Sachsen anheizen, sondern die sächsischen Rechtsextremen. Oft genug hat der Innenminister selbst abgestritten, dass man es bei etlichen – auch von Parlamentariern – angefragten Phänomenen im Internet mit aktiven rechtsextremen Netzwerken zu tun hat. Dass die Zahl der Anzeigen 2015 so deutlich stieg, hat auch damit zu tun, dass Sachsens Polizei die Sache endlich ernst nimmt.

 

Ein Fazit ist natürlich auch: Wenn man all das nicht weiß, ist die vom SMI mitgelieferte Tabelle nicht die Bohne aussagekräftig. Wie die zuvor auch von Jörg Michaelis verwendeten Tabellen, die dann in bombastische Zitate in der „Mopo24“ mündeten.

 

Aber in der Summe gilt tatsächlich, was Ulbig fast beiläufig anmerkte: Dass nämlich jedes vierte PMK-Delikt 2015 Bezug zum Thema Asyl hatte. Und genau diese – fast durchweg rechts motivierten – Straftaten sorgten 2015 für den deutlichen Anstieg der politisch motivierten Kriminalität, wie das SMI feststellt: „Im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) kam es im vergangenen Jahr zu einem Anstieg der Straftaten um rund 30 Prozent, der sich hauptsächlich auf den Phänomenbereich -rechts- bezieht.“

 

Die völlig unzureichende Statistik zur „Politisch motivierten Kriminalität“ 2006 bis 2015.