Trotz des prominenten neuen Präsidenten - Thüringen diskutiert Komplett-Abschaffung des Verfassungsschutzes

Erstveröffentlicht: 
09.03.2016

Heute ist er auf den Tag genau 100 Tag im Amt: Der neue Verfassungsschutzpräsident des Freistaates Thüringen. Der langjährige Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, hat sich da keine leichte Aufgabe vorgenommen. Nicht nur, dass sich die Thüringer Behörde noch immer nicht von den NSU-Ermittlungspannen erholt hat. Sie soll nach dem Willen der wichtigsten Erfurter Regierungspartei sogar ganz abgeschafft werden.


Soll Stephan Kramer den in Misskredit geratenen Inlandsgeheimdienst nun reformieren, oder gleich ganz abwickeln? Wenn man die Fraktionschefin der LINKEN im Thüringer Landtag, Susanne Hennig-Wellsow, hört, dann möchte man meinen, der Promi Kramer soll beim Verfassungsschutz die Lichter ausmachen: "Grundsätzlich sind wir natürlich für die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Weil weder polizeiliche Aufgaben noch Bildungsaufgaben durch den Verfassungsschutz zu erfüllen sind. Und die Demokratie geschützt wird durch die Demokraten und nicht durch den Verfassungsschutz." 

Inlandsgeheimdienst abschaffen?

Nun, Herr Kramer, wie ist das, wenn man für einen Job eingekauft wird, der eigentlich nicht mehr erwünscht ist? Das politische Ziel der Abschaffung des Verfassungsschutzes wird bei der LINKEN ja schon lange verfolgt. "Das JA zum Reformprojekt, - zu dem ja die gesamte Regierung auch JA gesagt hat, auch die LINKE mit ihren Vorbehalten -, ist ein Bekenntnis aus meiner Sicht zum Verfassungsschutz. Solange wir keine bessere Alternative haben."

Bei dieser Haltung weiß Kramer zumindest die Thüringer SPD hinter sich. Denn für den Erfurter Innenminister, den Sozialdemokrat Holger Poppenhäger, steht fest: "…dass die Sicherheitsbehörden mit allen ihren Teilen, - Polizei, Justiz, aber auch der Verfassungsschutz -, dass die möglichst stark aufgestellt sind. Und die Herausforderungen im Moment sind ja nicht weniger geworden. Sondern die Ansprüche - auch die, der Bevölkerung - nach mehr Schutz, nach mehr Sicherheit sind da. Und dem versuchen wir gerecht zu werden. Und da ist der Verfassungsschutz ein wichtiger Baustein." 

Verfassungsschutz vs. Polizeiarbeit

Ähnlich argumentiert Dorothea Marx, die innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Sie erinnert an das Trennungsgebot, eine Konsequenz aus der Willkür der Nazi-Zeit, als die geheime Staatspolizei Inlandsgeheimdienst und Ermittlungsbehörde zugleich war. "Als Verfassungspatriotin sage ich: Ich möchte, dass die Verfassung geschützt wird. Und das ist keine Polizeiaufgabe. Deswegen: Wenn ich den Verfassungsschutz abschaffe, dann wandert diese Aufgabe zur Polizei. Und dann habe ich diese Vermischung, dass eine Polizei, die eigentlich auf Straftatenermittlung beschränkt ist, plötzlich solche Vorfeldaufgaben bekommt. Und dann doch eher noch eine Gefahr hat, eine allgemeine Schnüffelbehörde zu werden, als der Verfassungsschutz, den wir ja auch strenger kontrollieren als bisher."

Ganz ähnlich sieht es auch der neue Verfassungsschutz-Präsident: "Ich bin der festen Überzeugung, dass die Aufgaben des Verfassungsschutzes nicht so einfach an irgendwelche anderen Strukturen delegierbar sind. Manche bestimmt, aber eben nicht alle. Und deswegen glaube ich, dass wir nicht nur eine Daseinsberechtigung haben, sondern dass, wenn wir so ausgestattet sind, dass wir unsere Arbeit ordentlich machen können, wir auch einen Mehrwert bringen können für die Sicherheit."

Das wäre etwa in dem Fall, wenn die Behörde ihrer Schwerpunktaufgabe, als Frühwarnsystem die rechte Szene im Freistaat im Auge zu behalten, überzeugen nachkommt: "Ich freue mich darauf, die Chance zu haben, auch die Partei DIE LINKE,  - vielleicht nicht alle und jeden -, aber davon zu überzeugen, dass dieser Verfassungsschutz eine Zukunft hat - und zwar für den Schutz unserer Verfassung."