Und immer wieder Sachsen

Erstveröffentlicht: 
19.02.2016

Rechtsextreme Gewalt und Stimmungsmache tragen immer schlimmere Früchte. Gerade in Sachsen wird das Problem aber weiterhin kleingeredet und -gerechnet.

 

Von Kilian Behrens

 

Rechtsextreme Straftaten haben in Deutschland stark zugenommen. Nach vorläufigen Zahlen registrierten die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr knapp 14 000 einschlägige Delikte – über 30 Prozent mehr als 2014. Unabhängige Recherchen zählen über 120 Brandstiftungen und Sprengstoffanschläge für 2015, davon 29 allein in Sachsen an Orten wie Freital, Großhartmannsdorf, Pirna, Meißen, Dresden oder Lunzenau. Und jede Woche inszenieren sich Rassisten öffentlich als Opfer von Überfremdung, Islam, Lügenpresse und Feminismus.

 

Um dem Problem eines immer offener artikulierten Rassismus in der Bevölkerung und der damit einhergehenden Gefahr eines rechten Terrorismus entgegenzuwirken, müsste sich auch und vor allem im Freistaat Sachsen einiges grundlegend ändern. Ein Anfang wäre, endlich mit einer Verharmlosung der Situation aufzuhören.

 

Die Zunahme von Anschlägen auf Unterkünfte für Geflüchtete steht im Zusammenhang mit einem Anstieg rassistischer Aufmärsche und einem öffentlich geführten Diskurs, der Geflüchteten ihre Fluchtgründe abspricht und sie nur allzu oft als Gefahr darstellt. Tatsächlich sind die Zahlen der Angriffe gegen Unterkünfte Ende 2014 sprunghaft angestiegen, also genau dann, als Pegida in Dresden und die verschiedenen anderen Gidas im Bundesgebiet zahlenmäßig am stärksten waren und im Fokus der Öffentlichkeit standen.

 

Ein Blick auf die Zahlen der Bundesregierung zu extrem rechten Aufmärschen zeigt aber, wie ein Großteil der aktuellen Mobilisierungen schlicht ignoriert wird. So finden sich zwar verschiedene Gida-Aufmärsche in der Aufstellung, jedoch nur, wenn bei diesen eine neonazistische Dominanz oder gar Steuerung erkannt wird. Sowohl das Dresdner Original mit den größten Teilnehmerzahlen als auch die anderen Gida-Aufmärsche Sachsens fehlen, selbst wenn sie, wie in Leipzig, das bevorzugte Betätigungsfeld von Neonazi-Hooligans sind.

 

Mit der Verengung auf einen Rechtsextremismus-Begriff, der nur organisierte Strukturen und Parteien erfasst, ist es den Behörden nicht möglich, die aktuellen Entwicklungen angemessen einzuordnen. Gelistet wird nur, was allzu offensichtlich neonazistisch ist. Aggressiver Rassismus und andere Bestandteile extrem rechter Ideologie auf der Straße allein qualifizieren offenbar nicht dafür, bei den Institutionen in den Fokus zu geraten. Häufig wird dabei das Bild der vermeintlich berechtigten Ängste „besorgter Bürger“ bemüht.

 

Es sind aber eben genau diese, welche sich als „Vollstrecker des Volkszorns“ der geistigen Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld in Nachbarschaft oder Betrieb gewiss sein dürften. Und so klatscht das Pegida-Publikum, wenn Dauerrednerin Tatjana Festerling mit Bezug auf aktuelle Fluchtbewegungen von „Massenflutung integrationsunwilliger männlicher Muslime“ spricht und an die freiwilligen Helfer in den Unterkünften gewandt meint, diese sollten sich überlegen, „ob sie sich weiter von den planlos agierenden Politikern für die Zerstörung Deutschlands missbrauchen lassen wollen“.

 

Durch die Verwendung sprachlicher Bilder von Naturkatastrophen werden Geflüchtete zur Bedrohung erklärt, die sogar zur Zerstörung des Landes führen könnten. Dies verklärt die eigene Position zum alternativlosen Selbstschutz. In diesem Fall werden männliche Muslime abgewertet und homogenisiert, indem ihnen pauschal unterstellt wird, sich nicht integrieren zu wollen. Wenn in einigen Medien die Selbstinszenierung Pegidas übernommen wird und von „Asylkritikern“ oder „Islamkritik“ zu lesen ist, verschleiert dies erneut, worum es geht: Rassismus.

 

Vierteljährlich veröffentlicht die Bundesregierung im Rahmen parlamentarischer Anfragen Zahlen zu Angriffen auf Asylunterkünfte, basierend auf den Daten der Ermittlungsbehörden vor Ort. Dabei gibt es große Defizite bei der politischen Einordnung der Taten. So können Monate vergehen, bis ein Delikt als politisch rechts motivierte Straftat geführt wird. Auch die in der Liste verwendeten Straftatbestände werfen Fragen auf. Zu den am häufigsten registrierten Delikten gehören Sachbeschädigung, Volksverhetzung, das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Doch auch schwere Körperverletzungen, Bedrohungen und Brandstiftungen werden geführt.

 

Von diesen Daten zurück auf das konkrete Geschehen zu recherchieren, erweist sich vor allem da, wo unabhängige Beobachtungsstellen fehlen, als schwierig. Das folgende Beispiel zeigt als eines von vielen jedoch, wie problematisch eine Nichtüberprüfung ist. So meldet die RAA Opferberatung Sachsen für den 3. Juni 2015 in ihrer Chronik eine versuchte Brandstiftung. Hier heißt es mit Bezug auf Presse- und Polizeimeldungen: „Unbekannte haben in der Nacht zu Mittwoch einen Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Hoyerswerda verübt. Nach Polizeiangaben warfen sie einen Behälter mit brennbarer Flüssigkeit in Richtung der Notunterkunft, in der sich zu diesem Zeitpunkt 27 Asylbewerber aufhielten.“ In der Liste des BMI findet sich für den 3. Juni in Hoyerswerda jedoch lediglich eine Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten und keine versuchte Brandstiftung. Auch den Tatbestand des versuchten Mordes listet die Aufstellung bislang nur einmal.

 

Immer häufiger finden derzeit aber Brandstiftungen auch an bewohnten Unterkünften statt. Dabei wird der Tod von Menschen in Kauf genommen. Nur durch Zufall ist es bisher nicht dazu gekommen. Durch das unhinterfragte Übernehmen der Zahlen des BMI in der Berichterstattung wird fatalerweise die behördliche Deutungshoheit anerkannt und weiterverbreitet. Allein im Bereich versuchter oder vollendeter Brandstiftungen liegen unabhängige Recherchen etwa fünfzig Prozent höher. Mit einer unabhängigen Dokumentation in allen Bundesländern wäre schon viel gewonnen. Neben den Zahlen gilt dies vor allem für eine qualitative Einschätzung, welche Rassismus nicht weiterhin als gesellschaftliches Randphänomen betrachtet.

 

Vermehrt wird nun darüber diskutiert, um wen es sich bei den Brandstiftern handelt. Laut einer Recherche von Zeit-Online, die 222 Angriffe auf Asylunterkünfte umfasst, bei denen Menschen verletzt wurden und die Gefahr einer Verletzung bestand, wurden bislang lediglich in vier Fällen Urteilssprüche gefällt. Insgesamt konnten nur 41 Tatverdächtige ermittelt werden. Hinweise auf eine überregional koordinierte Struktur finden sich derzeit nicht.

 

Der bedarf es wohl auch nicht. Vor Ort gibt es genügend gewaltbereites rassistisches Potenzial, das nötige Know-how liefert das Internet. So ist es auch Rassisten, die nicht in organisierte Strukturen eingebunden sind, problemlos möglich, Anschläge zu verüben. Auch von der Wissensweitergabe der alten, noch immer aktiven „Hoyerswerda-Generation“ an neue potenzielle Brandstifter ist auszugehen.

 

Immer häufiger werden Gewaltfantasien und Morddrohungen völlig unverhohlen in sozialen Netzwerken geäußert. Durch die Hetze auf der Straße und im Netz sehen sich Täter in ihrem Handeln legitimiert. Die Verharmlosung rechter Gewalt und eine fehlende Strafverfolgung haben in den Neunzigerjahren das Entstehen des NSU mit ermöglicht. Wenn heutzutage einmal mehr der Gefahr, die von Rassisten ausgeht, aufgrund mangelhafter Analysen nicht entgegengewirkt wird, stellt sich die Frage, was die Behörden seitdem dazugelernt haben. Vor allem aber braucht es eine Zivilgesellschaft, die sich diesen Tendenzen entgegenstellt. Jeden Tag.

 

- Unser Auto: Kilian Behrens (27) ist freier Journalist in Berlin mit Themenschwerpunkt Extreme Rechte. Er arbeitet u. a. für das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin apabiz e.V.

- Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die SZ kontroverse Texte, die Denkanstöße geben und zur Diskussion anregen sollen.