Populismus bei den Grünen: Folgen der Verbürgerlichung

Erstveröffentlicht: 
26.01.2016

Schon gehört? Erst fällt flüchtlingsbedingt irgendwo am Rhein der Karneval aus, dann bleiben anderswo vor Männergruppen, die einen nordafrikanischen Eindruck machen, die Schwimmbadtüren verschlossen – und jetzt das: Freiburg, ausgerechnet das traditionell linksalternative und grün regierte Freiburg, schließt die Grenzen seines Nachtlebens vor dem Ansturm amüsierwütiger und womöglich notgeiler Flüchtlinge.

 

Da können die Gutmenschen mal sehen! Das kann selbst die Lügenpresse nicht verschweigen! Sogar der grüne Oberbürgermeister sagt, wie ’ s ist. Es handele sich, so Dieter Salomon, bei den mutmaßlichen Tätern um mutmaßliche Maghrebiner, „die kampfbereit und bewaffnet sind“. Frisches Brackwasser auf die Mühlen einer gesellschaftlichen Diskussion, in der noch der winzigste Ansatz zur Differenzierung zuverlässig zu Staub zermahlen wird. Hier „wir“, dort „die“, Zaun dazwischen, fertig.

 

Zum Repertoire selbst konservativer Politiker zählt längst die Forderung nach „Versachlichung“ einer Debatte, die offenbar nur noch von Mob und Gegenmob geführt wird. Wer behält die Nerven? Und was ist überhaupt passiert? Die Badische Zeitung hatte am Wochenende berichtet, unter anderem sei es im linken White Rabbit zu einer versuchten Vergewaltigung und zu Übergriffen bis in die Kabine der Damentoilette gekommen. Besucherinnen seien auf der Tanzfläche bedrängt worden und über „das Maß normaler Anmache“, was immer das genau sein mag, hinaus von männlichen Flüchtlingen belästigt worden – von Taschendiebstählen und Messerstechereien ganz zu schweigen.

 

„Wir haben beschlossen, dass wir vorerst keine Menschen mehr in das White Rabbit reinlassen werden, die nur eine Aufenthaltsgestattung besitzen“, zitiert die Badische Zeitung aus einer E-Mail, die seitens des Betreibers an Veranstalter ging. Wobei es ohnehin das gute Recht jedes Türstehers ist, nur jene Menschen reinzulassen, deren Nase ihm gefällt. Und sollte pauschal eine ganze Gruppe ausgegrenzt werden, ist es deren gutes Recht, gegen Diskriminierung zu klagen.

 

Nun wären Linksalternative keine Linksalternativen, suchten sie nicht nach linken Alternativen zu pauschalen Verboten. Ins White Rabbit kommt nur noch, wer sich durch erklärte Ablehnung von Gewalt, Sexismus und Diskriminierung eine entsprechende Clubkarte erwerbe. Schilder werden aufgehängt und T-Shirts getragen, auf denen ein Orientierungsloser die Regeln nachlesen kann. Der Sozialbürgermeister (SPD) will einen runden Tisch anberaumen. Die Stadt selbst schätzt die Mehrheit der Flüchtlinge als „rechtstreu“ ein. Und während sich auf diese Weise die Wogen des Allgemeinwohls glätten, während schon die Clubs selbst die erste Berichterstattung als „reißerisch“ kritisieren – gibt Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon der FAZ ein Interview.

 

Darin fordert der Grüne ein „hartes Durchgreifen“ und eine „harte Linie“, damit „das Sicherheitsgefühl auf den Straßen zunimmt und die Polizei mehr Präsenz zeigen kann“. Eine Polizei wohlgemerkt, die laut eigener Auskunft gar keine Kenntnis von einem nennenswerten Ansteigen von Straftaten hat.

 

Salomons Kalkül, nun bei gewissen Wählerschichten „trotz“ seiner Parteizugehörigkeit als „Realist“ wahrgenommen zu werden, spielt einer abwartenden Rechten in die Hände. Wenn sogar der Salomon das sagt, wählt doch gleich das Original. Effizienter als mit einer solchen markigen Mischung aus Mutmaßungen und Härte lässt sich der ohnehin schwankende Wille zur fallweisen Differenzierung gar nicht brechen. Warum aber äußert sich ausgerechnet ein Grüner, der’s doch besser wissen müsste, so populistisch und ungeschickt?

 

Vielleicht, weil die grünen Schwebeteilchen dort, wo sie Verantwortung tragen, bereits allzu tief in den schlammigen Bodensatz der Tagespolitik eingesunken sind. Mancherorts scheint die Verbürgerlichung der Grünen, verbunden mit einer Durchdringung durch „bürgerliche“ Werte und Wehrhaftigkeitsfantasien, so weit fortgeschritten zu sein, dass die entsprechenden Politiker den Anschluss an die Zivilgesellschaft vor Ort verloren haben – und die ist, nicht nur in Freiburg, viel weiter.