Sächsischer Chauvinismus begünstigt das Phänomen Pegida

Erstveröffentlicht: 
21.01.2016
Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer präsentiert Buch über die Empörungsbewegung

VON PAUL FELIX MICHAELIS

 

Dresden. Dresdner Konservatismus, sächsischer Chauvinismus und freistaatlicher Ethnozentrismus – darin sieht Hans Vorländer, Professor an der Dresdner Technischen Universität, die Hauptgründe für den Erfolg von Pegida in der sächsischen Landeshauptstadt. Seit einem Jahr marschieren beinahe jede Woche Tausende von Unzufriedenen durch Dresdens Straßen. Der Politikwissenschaftler untersucht in seinem gestern vorgestellten zweiten Buch „Pegida – Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung“, warum es die Protestbewegung noch immer gibt.

 

Konservatismus


Im Gegensatz zu anderen deutschen Städten mit mehr als einer halben Million Einwohnern hat sich laut Vorländer in Dresden keine vergleichbare urbane Kultur herausgebildet. Hier lebe man von und in der Vergangenheit: „selbstzufrieden, selbstbezogen und selbstverliebt“. Dies reiche so weit, dass die bürgerliche Stadtbevölkerung sich in „klamheimlicher Sympathie“ mit der Pegida-Bewegung identifiziere oder diese zumindest stillschweigend unterstütze.

 

Chauvinismus


Dieses Problem werde flankiert von einem „sächsischen Chauvinismus“, einer Selbstüberhöhung, die man sowohl bei Pegida als auch in der offiziellen Politik finde, erklärte Vorländer. Seit der Wende vergleiche Sachsen sich ständig mit anderen und bilanziere seine Erfolge.

 

Ethnozentrismus


Dies wäre für sich genommen kein Problem, doch geselle sich ein spezifischer „Ethnozentrismus“ hinzu. Der zeige sich in dem Bestreben, seine Einzigartigkeit und Besonderheit zu unterstreichen. Es gebe „ein Vorrecht der Alteingesessenen“, beklagte der Politikwissenschaftler Vorländer, der selbst seit mehr als 20 Jahren in Dresden lebt und sich „noch immer nicht als Dresdner wahrgenommen“ fühlt. Aus dieser Abwertung von Auswärtigen und Nicht-Dresdnern entstehe leicht eine Reserviertheit gegen Neues. Diese habe sich auf Westdeutsche Medien, Politik, Zugezogene und in logischer Konsequenz auch auf Flüchtlinge, Migranten sowie das gesamte bundesdeutsche System übertragen.

 

Widerspruch gegen die Thesen


Der Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, widerspricht Vorländer teils. Der einstige Kaplan sieht in den prekären wirtschaftlichen und demografischen Verhältnissen auf dem Land und in Kleinstädten einige der Hauptursachen für den Pegida-Erfolg. Die Unzufriedenheit mit der persönlichen Lage werde jede Woche in die Großstädte Dresden und Leipzig getragen. „Man kann das leicht an den Nummernschildern der montags parkenden Autos ablesen,“ so Richter.

 

Im Sommer vergangenen Jahres war Pegida eigentlich schon auf ein vergleichsweise kleines Häuflein Unbeirrbarer zusammengeschrumpft. Doch die Flüchtlingskrise habe der Bewegung rund um ihren Gründer Lutz Bachmann „ein zweites Leben eingehaucht“, sagte Vorländer. Damit einhergegangen sei eine „Radikalisierung der Rhetorik, die Verrohung auf der Straße und die Gewalt am Rande“. Mit Blick auf Reden von Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling sprach Vorländer von „offenem Rassismus“. Ein Ende von Pegida sei nicht abzusehen. „Es muss sich totlaufen“, sagte er. Eine Entwicklung zu einer Partei, deren Bildung Bachmann mehrfach angekündigt hat, sieht der Politikwissenschaftler nicht. Der politische Raum sei bereits besetzt, etwa mit Parteien wie der AfD.

 


 

Leipziger AfD distanziert sich von Pegida-Annäherung

Der Vorstoß des Leipziger AfD-Kreischefs Siegbert Droese vom Dienstag zur Annäherung an Pegida und Legida war offenbar ein Alleingang. Der AfD-Kreisverband distanzierte sich gestern von den Äußerungen. „Es handelt sich nur um die persönliche Meinung unseres sehr geschätzten Kreisvorsitzenden“, sagte Vorstandsmitglied und Pressesprecher Ralf Nahlob. Der Verband habe bisher zu keinem Zeitpunkt eine Abstimmung oder einen Vorstandsbeschluss zu einer Annäherung getroffen. „Wir respektieren Legida/Pegida als Protestplattform und Möglichkeit zur Ausübung der Meinungsfreiheit für unzufriedene oder besorgte Bürger. Sicherlich sind ein Teil der mutigen Teilnehmer von Pegida treue AfD-Wähler, auch schon vor dem Aufruf von Frau Tatjana Festerling“, erklärte Nahlob.

 

Diese erklärte am Montag in Dresden: „Einzige Opposition in Deutschland ist die Straße, das sind wir, das ist Pegida und das ist die AfD.“ Droese dazu: „Die Leipziger AfD begrüßt den beabsichtigten Schulterschluss.“ Als konkreten Schritt könne sich die AfD „eine gemeinsame Großdemonstration in Leipzig“ vorstellen.

 

Am Montagabend grenzte Brandenburgs AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sich und die Partei gegen Festerling ab. In der ARD betonte er: „Frau Festerling ist bei Pegida, ich nicht.“ Er stimmte sinngemäß Moderator Frank Plasberg zu, dass er sich gegen diese Art Wahlhilfe nun nicht wehren könne.