Wolfgang Niedecken über den Nazi-Überfall auf Connewitz und die wieder sehr politische neue Bap-Platte „Lebenslänglich“
Leipzig. „Et rüsch noh Kristallnaach“. Schon 1982 hatte Wolfgang Niedecken, Sänger, Texter, Verkörperung der Kölsch-Rock-Band Bap, diesen Geruch in der Nase. Von einer „Volksseele“, die „Richtung Siedepunkt wütet“, sang er, von einem „Lynch-Mob“, der „Heil – Halali!“ schreit. Vor gut einer Woche trafen sich Bap in Berlin zum Proben und feierten dort am Wochenende die Veröffentlichung des neuen Albums „Lebenslänglich“ mit einem Konzert. Doch nachdem Niedecken eines Abends in den Nachrichten gehört hatte, dass mehr als 200 Nazis den Leipziger Stadtteil Connewitz überfallen und dabei zwar kein „Heil“, jedoch „Hooligans, Hooligans“ gebrüllt hatten, war dem 64-Jährigen nach allem anderen als feiern zumute.
Riecht es wieder nach Kristallnacht?
Es ist unfassbar. Als ich das in den Tagesthemen sah, ist mir ein Schauer den Rücken runtergelaufen. Am nächsten Morgen hatten wir ohnehin vor, „Kristallnaach“ zu proben, und da kam es mir selbst unglaublich vor, wie sehr das Lied zu den Ereignissen von Connewitz passt. Jetzt machen sich diese Nazihorden auf und tun so, als würden sie uns beschützen. Es riecht wirklich nach Kristallnacht.
Das Lied handelt auch vom unheilvollen Zusammenwirken von Biedermännern und Brandstiftern. Während die Nazis in Connewitz randalierten, marschierte in der Innenstadt Legida. Wie wichtig sind die einen für die anderen?
Das große Problem ist, dass Demokratie nur funktioniert, wenn die Leute über die Zusammenhänge Bescheid wissen, statt sich nur gegenseitig in ihren Vorurteilen zu bestärken. Schon im alten Rom gab es panem et circenses, Brot und Spiele, um die Leute abzulenken – und das ist in abgewandelter Form natürlich immer noch ein Mittel. Marx hat zwar gesagt, Religion sei das Opium fürs Volk, aber mittlerweile überdecken noch jede Menge anderer Sachen das eigentlich Wesentliche. Wenn man will, kann man die Leute gezielt verblöden. Da muss man nur nachts durchs Fernsehprogramm zappen, auf irgendwelche kruden Internetseiten surfen – oder sich eben den Stuss anhören, den Pegida & Co verzapfen.
Auch auf der neuen Bap-Platte texten Sie, dass wir „viele zu lange akzeptiert“ haben, „dass man Fakten einfach ignoriert“. Haben Sie denn noch Lust, dagegen anzusingen?
„Absurdistan“ ist ein zorniges Stück, in dem ich meine eigene Ratlosigkeit zugebe. Aber ich werde nicht resignieren. Und ich werde nicht zynisch. Ich darf das nicht, weil ich vier Kinder in die Welt gesetzt habe. Ich möchte dafür kämpfen, dass auch sie die Möglichkeit erhalten, Familien zu gründen.
In „Kristallnaach“ deuten Sie an, dass auch der eine oder andere Politiker ganz froh ist, wenn der Mob die Drecksarbeit macht. Wie sieht das heute aus?
Es ist einfach furchtbar, wenn sich in Leipzig eine Bundestagsabgeordnete von einer friedlichen Lichterkette der demokratischen Legida-Gegner distanziert, weil sie kein Signal der Weltoffenheit nach draußen senden möchte. Es ärgert mich sehr, wenn mit diesem Thema Wahlkampf gemacht wird. Die Politiker müssen sich zusammenreißen, wir dürfen uns als Demokraten nicht auseinanderdividieren lassen. Ich finde auch, dass man unsere Kanzlerin nicht im Regen stehen lassen darf. Ich hab noch nie CDU gewählt, aber ich muss attestieren, dass sich Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage großartig verhält. Jahrelang dachte ich, dass das C in der CDU reiner Etikettenschwindel sei. Aber sie hat mir gezeigt, dass das nicht unbedingt stimmt.
Auch Ihre Heimatstadt Köln hat ein Problem mit Hooligans, die sich dort „Hogesa“ nennen.
Die Hogesa ist aber kein Kölner Phänomen. Vielmehr kommen gezielt Leute hierher und machen Stunk, um den Eindruck zu erwecken, als würde Köln an seiner Weltoffenheit scheitern. Auch in der Silvesternacht sind erstaunlich viele Leute aus Duisburg angereist, um am Dom einen Riot zu veranstalten. In Köln ist man darüber fassungslos, und es ist zurzeit fast so, als müsste ich mich dafür entschuldigen, was passiert ist. Leider fallen viele Medien drauf rein und verbreiten die falsche Botschaft, dass Weltoffenheit ein Problem sei.
Wer rechte Parolen kritisiert, wird heutzutage nicht zuletzt über virtuelle Kanäle massiv bedroht. Wie ergeht es Ihnen?
Das kennen wir natürlich auch, klar. Aber ich bin in der Lage, mich zu wehren. Wenn jemand auf unserer Homepage oder bei Facebook AfD-Werbung oder Pegida-Parolen verbreiten will, verschwindet das schnell wieder. So sind nun mal unsere Spielregeln.
Zum Glück hören Sie auch sonst keineswegs auf, sich einzumischen. „Vision vun Europa“ auf der neuen Platte setzt schon musikalisch ein Statement: eine arabisch anmutende Melodie auf einer Art Walzer-Rock.
Das Stück wollte ich schon vor acht oder neun Jahren schreiben, ich hatte aber nie die passende Musik dazu. Die Idee dafür kam mir, als ich vor ein paar Jahren allein mit dem Auto von Tanger nach Ceuta fuhr. Die Küstenstraße verläuft hoch oben, ich konnte bis nach Spanien rübergucken und habe dort die ganzen schwarzafrikanischen Männer bemerkt, die auf ihre Chance warteten. Es ist ein wunderbarer Zufall, dass wir in der Band einen marokkanischen Percussion-Spieler haben, der weiß, wie so etwas klingen sollte.
Die Protagonisten des Lieds verbinden Europa mit einer „Vision von Würde, von Respekt, wo alle Menschen gleich sind“. Hält Europa dieses Versprechen?
Europa muss sich zusammenreißen. Vor allem einige osteuropäische Länder – Polen, Ungarn – verwechseln da was. Europa ist nicht nur eine Zugewinngemeinschaft, sondern vor allem eine Solidargemeinschaft. Andernfalls können wir Europa vergessen – und alle Sonntagsreden, Krippenspiele und Sankt-Martins-Züge gleich mit. Dann regiert der Darwinismus, und das war’s dann.
Bap wird dieses Jahr 40 Jahre alt, im neuen Stück „Alles relativ“ singen Sie von einer maßlos intensiven Zeit. Kommt sie Ihnen relativ kurz oder relativ lang vor?
Es war ein Wimpernschlag. Ich sitze gerade in Berlin im Auto an der Oranienstraße – wie viele Jahre ist der Mauerfall her? Ich weiß noch, wie wir die ersten Male in Berlin gespielt haben. Hier in der Gegend waren wir abends in den Kneipen und saßen im Sommer an der Mauer. Das war für mich gestern. „Alles fließt“ – die Feststellung kommt im selben Lied vor. Wir sollten das Beste daraus machen. Das hat meine Mutter schon immer gesagt: Jung, maach et Beste druss!
Ein Vorsatz, den Ihr Schlaganfall 2011 noch einmal verstärkt hat?
Auf jeden Fall. Ich bin durch den Schlaganfall entschlossener geworden. Ich komme schneller zu einer Entscheidung. Früher ging ich immer davon aus, dass es sich schon irgendwie zurechtruckeln wird, mittlerweile weiß ich, dass ich keine Zeit mehr zu verlieren habe. Keine Ahnung, wie lange ich noch aktiv sein kann. Doch ich bin fest entschlossen, meine Zeit zu nutzen. Mir macht das Leben einen unglaublichen Spaß. Jetzt endlich wieder mit meiner eingeschworenen Band auf der Bühne zu stehen, verschafft mir sehr glückliche Momente. Es ist schon ein Privileg, so leben zu dürfen.
Zur Bandgeschichte gehört auch, dass Sie 1984 nur beinahe durch die DDR getourt sind. Wegen des eigens komponierten „Deshalv spilll’ mer he“ mussten Sie kurzfristig wieder abreisen.
Ich denke oft daran, auch wenn das Ganze in der Öffentlichkeit kaum nochthematisiert wird. Dabei war’s damals sehr wichtig. Viele Westkollegen ließen sich zensieren, als sie in der DDR spielten, wir nicht. Darauf bin ich nach wie vor stolz.
War es keine Option, das Lied zu spielen, ohne es vorher anzumelden?
Nein, dann wären wir wortbrüchig geworden. Wir spielen immer mit offenen Karten. Man hatte kein Jungdiplomatenkorps eingeladen, sondern eine Rock ’n’ Roll-Band, und Rock ’n’ Roll handelt von Gefühlen. Wir fühlten uns verscheißert, man wollte uns an den Nasenring kriegen: Wir sollten sagen, dass die SS-20 Friedensraketen und die Pershings Kriegsraketen seien. Aber so platt geht’s mit uns nicht. Ich musste dieses Lied schreiben, um deutlich zu machen, wieso wir in der DDR spielen wollten. Wobei ich sagen muss, dass ich damals mit den realsozialistischen Begebenheiten nicht sehr vertraut war. Der Text war in den Augen der DDR-Kultur-Oberen unverschämt, sie konnten ihn nicht durchgehen lassen – aber das war mir vorher nicht klar.
Mit Ihrem Complizen-Projekt waren Sie 1987 mit David Bowie unterwegs. Mit Bap haben Sie später „Heroes“ gecovert. Wie sehr nimmt Sie sein Tod mit?
Als sich die Nachricht verbreitete, waren wir schon zur Probe in Berlin – irre, dass wir ausgerechnet hier sind, wenn Bowie stirbt. Mir gingen ohne Ende kleine Filme durch den Kopf. Die gemeinsame Tour war sehr schön, er hatte eine tolle Band, sagenhaft, Peter Frampton spielte Gitarre. Am Nürburgring habe ich Bowies Konzert aus dem Graben miterlebt – von ganz nah. Es war gigantisch.
Interview: Mathias Wöbking
Niedeckens Bap: „Lebenslänglich“ (Vertigo/Capitol); Konzerte am 22. Mai in Erfurt (Messe), 15. Juli in Chemnitz (Schloss Klaffenbach) und 16. Juli in Dresden (Junge Garde)