Leipzig. Samstagvormittag brennen in Ilona Fleischmanns 30-Quadratmeter-Kiez-Buchladen „W.Otto Nachf.“ in der Wolfgang-Heinze-Straße alle verfügbaren Lampen. Eine große Spanplatte vorm zertrümmerten Schaufenster lässt jegliches Tageslicht draußen. Als heute vor einer Woche Neonazis ihren Gewaltexzess in dieser Connewitzer Straße abließen, war auch Fleischmanns Schaufenster zerkloppt worden, landeten Bücher auf der Straße. „Laut meiner Uhr in der Auslage, die dabei stehenblieb, war es 19.32 Uhr“, deutet die 65-Jährige auf den kaputten Zeitmesser. Mit einem Glaser rechne sie erst diesen Montag oder Dienstag. „Die kommen hier bei den vielen beschädigten Geschäften einfach nicht nach.“ Mittlerweile weiß sie, dass es der großformatige „Literarische Katzenkalender“ war, der letztlich Schlimmeres für die Buchhandlung, die sie seit 36 Jahren betreibt, ja vielleicht sogar für das ganze Haus verhindert hat. „Ein Brandkörper, den man uns reingeschmissen hatte, war just darauf gelandet. Das Fotopapier entzündete sich nicht, verkohlte nur. Es stank furchtbar, aber es kam zu keinem Brand.“
Alarmiert in jenen späten Abendstunden von ihrer Sekretärin, war Ilona Fleischmann samt Ehemann sofort zum Laden geeilt. „Schock pur!“, umreißt sie einen Moment, wie sie ihn bis dato in ihrem Buchhändlerleben noch nie erlebt hatte. „Aber dann haben wir wie auch alle anderen Geschäfte hier eine derartige Welle der Solidarität erlebt, die einfach ihresgleichen sucht! Ich wäre ja völlig hilflos gewesen. Aber die Mitglieder vom UT-Kino-Verein nebenan waren sofort da, halfen wahnsinnig schnell. Als ich dann gegen 21.30 Uhr den Laden erst mal wieder zugesperrt hatte, wusste ich, dass es am nächsten Tag weitergehen kann.“
Nicht nur das. Die ganze letzte Woche sollte – wie andere Geschäftsinhaber in der Straße – auch Fleischmann eine Gruß- und Hilfswelle ereilen, die sie sehr berührte und als „ungemein ermutigend“ empfand. „Kunden kamen und kauften nun gerade heftig Bücher bei mir“, erzählt sie. Peter Hinke, Chef der Connewitzer Verlagsbuchhandlung, schenkte der Kollegin nicht nur eine handsignierte Clemens-Meyer-Ausgabe („Rückkehr in die Nacht!“), sondern machte offenbar auch die Branche in punkto Beistand ganz schön mobil.
Als Fleischmann am Samstag um 10 Uhr „W. Otto Nachf.“ aufschloss, wartete auch schon wieder eine Ladung frisch Gedrucktes, diesmal vom Berliner Aufbau-Verlag spendiert. „Solche Sendungen konnte ich jetzt fast täglich auspacken – ob vom Gerstenberg-Verlag, ob von einer kleinen Buchhändlerin aus Bielefeld…“, berichtet sie. „Wir können zwar keine Fensterscheiben reparieren, Ihnen aber vielleicht mit Büchern Freude bereiten“, fügte der Hamburger Königskinder-Verlag seinem Paket bei. Und: „So ein Scheiß! Kolleginnen aus Puchheim bei München senden herzliche Grüße! Nicht klein machen lassen!“, ermunterte eine Karte mit dem Aufdruck „Dummheit ist international!“ vom Aladin-Verlag, der Fleischmann zugleich mit „den weltbesten Pralinen aus Puchheim“ tröstete. Nicht zuletzt, so Fleischmann, habe ein Bote Blumen gebracht: „Bücher sind stärker als Idioten“, ließen so Kollegen vom Berliner Medienversand Kohlibri wissen und boten ihrerseits Beistand an.