„Nichts ist mehr so, wie es einmal war“

Erstveröffentlicht: 
02.10.2013

Immer mehr Namen von kritischen Journalisten geraten nun an die Öffentlichkeit, die vom Verfassungsschutz in Niedersachsen beobachtet werden. Auch der Fachjournalist André Aden gehört dazu. „Man ist verunsichert und weiß nicht, wer in das Leben eingegriffen hat. Man weiß nicht, wer, was, wann beobachtet“, sagt der Journalist nachdem er über seine Beobachtung informiert wurde.


von Stefan Schölermann, mit freundlicher Genehmigung von NDR Info

 

„Du fühlst Dich, als ob in deine Wohnung eingebrochen wurde!“ André Aden ist der Schreck immer noch anzumerken. Wenige Tage zuvor hat er erfahren, dass er offenkundig seit Jahren im Visier von Niedersachsens Verfassungsschutz steht. Seitdem ist nichts mehr so, wie es einmal war: „Man ist verunsichert und weiß nicht, wer in das Leben eingegriffen hat. Man weiß nicht, wer, was, wann beobachtet“, sagt der 33-Jährige aus dem Heidekreis. „Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Und das heißt nicht, dass es besser ist.“

 

Also er von der Nachricht erfuhr, habe er zunächst einmal sein Haus abgesucht. Seine bange Frage: „Gibt es Wanzen, sind das Telefon, der Computer manipuliert?“

 

Berichte über rechtsextreme Strukturen


Das Interesse des niedersächsischen Nachrichtendienstes an Aden mag nicht von ungefähr kommen: Der gelernte Steinsetzer hat umgesattelt. Seit Jahren gilt er bundesweit als einer der führenden Experten, wenn es um rechtsextreme Strukturen geht. Er hat eng mit der renommierten Neonazi-Expertin Andrea Röpke zusammengearbeitet, die ebenfalls im Visier des niedersächsischen Verfassungsschutzes stand. Er hat ein Netzwerk von Kollegen aufgebaut, die systematisch die Aktivitäten von Rechtsextremisten dokumentieren. Das Archiv von „Recherche Nord“ – so heißt das Netzwerk – umfasst rund eine Million Fotos von Neonazis: „Wir waren die Fotografen, die sich eingegraben haben, als es darum ging, Fotos von der  Hitler-Jugend-Nachfolgeorganisation HDJ zu schießen,“ sagt er. Die Organisation wurde 2009 verboten.

 

„Ich kann niemandem mehr vertrauen“


Die Nachricht, dass er vom  Verfassungsschutz beobachtet wird, habe ihn in schwere Konflikte gestürzt, sagt Aden: „Ich bin erschreckt, dass ich angefangen habe, Freunde und Bekannte latent zu verdächtigen. Das ist eigentlich das  Schlimmste, dass ich niemandem mehr vertrauen kann.“

 

Bis heute weiß Aden nicht, was der Nachrichtendienst konkret über ihn zusammengetragen hat, wie weit die Beobachtung gegangen ist. Und das verunsichert ihn um so mehr. „Dieser Verlust an Sicherheit ist das Allerschlimmste. Dass ich in mein Haus gehe und denke: Verdammt, irgendjemand hört mir jetzt zu, wie ich mit meiner Freundin, meiner Mutter spreche. Und das wird aufgezeichnet. Und ich ertappe mich dabei, dass ich Gespräche abbreche, weil ich denke, das keiner wissen soll, dass ich vielleicht diese oder jene Emotion habe.“

 

Gefragter Interviewpartner

 

Adens Informationen sind gefragt über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. Er lieferte belastbare Dossiers an deutsche Wochenmagazine, Tageszeitungen und elektronische Medien, war an Buchveröffentlichungen beteiligt, ist gefragter Interviewpartner in internationalen Blättern wie der renommierten spanischen Tageszeitung „El Pais“. Seine Detailkenntnis ist auch bei offiziellen Stellen bekannt. Aus einer Verfassungsschutzbehörde in Norddeutschland bekam er den Satz zu hören. „Herr Aden, wenn Sie es nicht wissen, dann wissen wir es auch nicht.“

 

Jahrelang hat Aden sich auf Furcht vor Attacken der Neonazis versteckt, hat nach eigenen Angaben alle drei bis vier Jahre den Wohnsitz gewechselt, um den Radarschirm der Rechten zu unterlaufen, wie er es nennt. Nun fühlt er sich an den Pranger gestellt. „Die erste Reaktion meiner Freundin war: Wir verlassen dieses Haus. Unser Leben ist ins Trudeln geraten.“

 

„Ich berichte über kritische Themen, mehr nicht“


Warum er ins Visier des niedersächsischen Nachrichtendienstes geraten ist, ist ihm unerklärlich. Vor mehr als zehn Jahren habe er sich bei der Antifa gegen Rechtsextremisten engagiert, aber das sei sehr lange her, sagt er. Es sei für ihn nicht der richtige Weg gewesen. „Ich arbeite heute als Journalist präventiv gegen die Strukturen, die unsere Grundordnung, die wir gemeinsam haben, abschaffen wollen.“ Mehr Bekenntnis zum Grundgesetz geht kaum. Umso unverständlicher ist es ihm, dass der Nachrichtendienst Dateien über ihn angelegt hat: „Ich trete nicht in der Öffentlichkeit auf und rufe zur Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung auf. Ich berichte als Journalist über kritische Themen, aber das war es auch schon.“

 

Beruf des Journalisten schützt offenbar nicht vor Beobachtung


Niedersachsens Verfassungsschutz hat mehrfach betont, dass der Beruf des Journalisten generell nicht davor schütze, in die Dateien des Nachrichtendienstes zu geraten, wenn es entsprechende Hinweise auf eine extremistische Betätigung gebe. Zu konkreten Einzelfällen könne sich die Behörde aber nicht äußern. Der NDR hat deshalb im „Fall André Aden“ auf eine konkrete Nachfrage verzichtet.

 

Möglicherweise ist das „Beobachtungsproblem“ zukünftig für Aden erledigt: Im Verfassungsschutzausschuss in Hannover wurden hinter verschlossenen Türen nach Informationen von NDR Info am vergangenen Freitag nur solche Fälle erörtert, die aus Sicht der neuen Behördenleitung als rechtlich zumindest zweifelhaft gelten. Dazu gehört offenkundig auch der „Fall André Aden“.

 

Siehe auch: Verfassungsschutz bespitzelt Göttinger Anwalt, Verfassungsschutz in Niedersachen spionierte Journalisten aus, Journalist wegen Ausübung seines Berufs im Visier des Verfassungsschutz