Nach den Ereignissen in Connewitz und in der Südvorstadt - Der Stadtrat tagt: Aktuelle Stunde zu politisch motivierten Ausschreitungen in Leipzig

Erstveröffentlicht: 
20.01.2016

Knapp zwei Stunden lang äußerten sich Experten und Stadträte zu den Ausschreitungen zwischen Polizei und Linksautonomen am 12. Dezember 2015 sowie dem Angriff von rechten Hooligans auf Connewitz am 11. Januar dieses Jahres. Bestimmend waren dabei die Distanzierung von Gewalt und die Forderung, keine rechtsfreien Räume zuzulassen.

 

Anlässlich der Ereignisse in der Südvorstadt hatten die beiden FDP-Stadträte Hobusch und Morlok sowie die AfD-Fraktion im Dezember eine Aktuelle Stunde zum Thema beantragt. „Diese wird natürlich um die Ereignisse vom 11. Januar erweitert“, erklärte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) zu Beginn der heutigen Sitzung. (Das Audio der Debatte finden Sie am Ende des Beitrages). Am Ende hatte er eine kleine Überraschung zu verkünden – ab 1. März wird es mehr Polizisten in Leipzig geben.

 

Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz machte den Auftakt: „Ich war entsetzt von dem Gewaltexzess im Dezember. Dieser bedarf einer Erklärung.“ Einsatzführer hätten ihm gegenüber geäußert, dass sie die Situation als noch schlimmer empfunden hätten als die Proteste gegen die Eröffnung der EZB in Frankfurt im März vergangenen Jahres. Eine junge Beamtin hätte anschließend geweint und gefragt: „Was machen die hier? Ich habe auch Kinder.“ Am Ende des Tages standen laut Merbitz 69 verletzte Beamte, 50 beschädigte Polizeifahrzeuge und Sachschaden in sechsstelliger Höhe zu Buche. Es würden knapp 100 Ermittlungsverfahren laufen.

 

Auch zu dem Neonaziübergriff in Connewitz äußerte sich Merbitz. „Ich war fast fassungslos, als mir über Funk mitgeteilt wurde, dass etwa 250 dunkel Gekleidete und mit Äxten Bewaffnete durch Connewitz ziehen“, so der Polizeipräsident. Anders als zunächst vermeldet würden hier nicht 211, sondern 226 Ermittlungsverfahren laufen.

 

„Mich bewegt die Frage, wie es in dieser Stadt mit den Gewaltexzessen weitergehen soll“, führte Merbitz weiter aus und benannte einige andere Beispiele für von Linksautonomen begangene Gewalttaten. „Es gibt Leute, die sich damit rühmen, in der Randaleliga an erster Stelle zu stehen.“ Merbitz forderte für Leipzig eine „offene, parteiübergreifende Diskussion über links- und rechtsextremistische Gewalt.“ Auch von den Stadträten erwarte er konkrete Vorschläge.

 

Am Ende wiederholte Merbitz seine bereits auf einer Infoveranstaltung zur Unterbringung Geflüchteter im Brühl-Hochhaus geäußerte Feststellung, dass Legida der Stadt „nicht gut tut“.

 

Als zweiter Experte war der Soziologieprofessor Kurt Mühler geladen, der unter anderem dem Kriminalpräventiven Rat der Stadt Empfehlungen ausspricht. Er betonte, dass Gewalt nicht über Nacht entstehe, sondern sich langsam aufbaue. „Eine gute Sozialpolitik ist die beste Kriminalitätsprävention.“ Weiterhin schlug er vor, das Vertrauen in die Polizeiarbeit zu stärken. Dies könne geschehen, indem die Beamten bei ihrer Arbeit, zum Beispiel im Rahmen von Demonstrationen, transparenter agierten. Im Nachgang solle die Polizei offensiv kommunizieren, wie es verletzten Beamten geht und ob diese vielleicht Angst vor ihrem nächsten Einsatz empfänden.

 

Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) präsentierte schließlich einige Zahlen zu links- und rechtsmotivierter Gewalt, die weitgehend dem sächsischen Verfassungsschutzbericht für 2014 entstammten. Darin war unter anderem festgehalten worden, dass Leipzig das Zentrum der linksautonomen Szene in Sachsen sei.

 

Im Anschluss bekamen die Vertreter der Stadtratsfraktionen die Gelegenheit, sich zu dem Thema zu äußern. Achim Haas von der CDU betonte die Bedeutung Leipzigs als Stadt der Friedlichen Revolution. Dem entgegen stehe das „Phänomen Connewitz“, das sich die Stadt seit den 1990er Jahren selbst geschaffen habe. „Da waren wir auf dem linken Auge blind.“ Auf der anderen Seite würden „Legida und rechte Gruppierungen“ das Leben in der Innenstadt Woche für Woche lahmlegen. „Davon hat der Leipziger Bürger die Schnauze voll.“

 

Institutionen, die „politisch motivierte Gewalt unterstützen“, müsste „ohne Wenn und Aber“ sofort die finanzielle Unterstützung entzogen werden. Kritik übte er – nicht als Einziger an diesem Tag – auch an Juliane Nagel (Linke), die in erster Reihe mit Linksautonomen laufen würde. Anschließend forderte er: „Es muss Schluss sein mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, auch hier im Stadtrat.“

 

Dann ergriff Adam Bednarsky von der Linkspartei das Wort: „Angesichts von 994 Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte allein in 2015 wird auf erschreckende Weise deutlich, dass die größte Gefahr von rechts außen kommt.“ NPD-Stadtrat Enrico Böhm reagierte mit einem Zwischenruf: „Schwachsinn!“

 

Gleichwohl betonte Bednarsky im Zusammenhang mit dem 12. Dezember, dass die Linke gegen Gewalt gegen Sachen oder Personen sei. „Das gilt insbesondere auch gegenüber Polizisten.“ Diese wiederum kritisierte er dafür, Tränengas auf eine angemeldete und friedliche Kundgebung geschossen zu haben.

 

„Gewalt besitzt eine nicht zu leugnende Akzeptanz in unserer Stadtgesellschaft“, stellte Axel Dyck aus der SPD-Fraktion fest. „Es beginnt mit Worten und einer Verrohung der Sprache. Mit der Gewalt in der Sprache beginnt die Gewalt gegen Sachen und Personen.“ In diesem Zusammenhang kritisierte Dyck beispielsweise das Motto für die antifaschistische Demonstration, die als Reaktion auf die Angriffe in Connewitz stattgefunden hatte. Dieses lautete „Fight back! Rechte Strukturen zerschlagen!“. So etwas führe nicht zur Mäßigung.

 

Norman Volger aus der Fraktion der Grünen betonte, nicht gleichsetzen, sondern differenzieren zu wollen. „Der 11. Januar ist etwas anderes als der 12. Dezember. Alles in einen Topf zu schmeißen, bringt uns nicht weiter.“ Rechtsextremismus zu widersprechen sei nicht linksradikal, sondern Bürgerpflicht. „Die große Mehrheit der Stadtgesellschaft will einen Grundkonsens der demokratischen Parteien sehen, auf dessen Grundlage die Diskussion über unterschiedliche politische Positionen erst stattfinden kann.“

 

Als Tobias Keller aus der AfD zum Rednerpult schritt, verließ eine Stadträtin der Linken mit den Worten „Das muss ich mir nicht antun“ den Saal. Keller forderte, „die Dinge beim Namen zu nennen: Die linksextremistische Gewalt in Leipzig nimmt leider seit einem Jahr in besorgniserregender Geschwindigkeit zu. Auch Stadträte in Leipzig tragen eine Mitverantwortung“.  Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Krefft, würde den Handschlag verweigern. Die CDU sei für den Stellenabbau bei der Polizei verantwortlich.

 

An Juliane Nagel richtete Keller die Frage: „Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie den Opfern der fortwährenden linksextremistischen Gewalt zumute ist?“ Auch die klare Ablehnung der Inhalte von Legida vor deren erster Kundgebung durch Oberbürgermeister Burkhard Jung kritisierte der AfD-Politiker. Am Ende sprach er sich für einen Runden Tisch aus, der alle relevanten Gruppierungen zusammenführen müsste.

 

René Hobusch (FDP) sprach von einem „Pingpongspiel von Extremisten“. Die einen würden den Leipziger Süden zu ihrem Revier erklären, die anderen würden ihn zurückerobern wollen. Als der vorletzte Redner, Enrico Böhm (NPD), das Wort ergriff, verließen die meisten Linkspolitiker sowie die komplette CDU-Fraktion den Saal.

 

Die aktuelle Stunde endete mit einem Zitat der Piratin Ute Elisabeth Gabelmann, die der sozialdemokratischen Fraktion angehört. Sie berief sich bei der Bewertung der Gefahr durch Links- und Rechtsextremisten auf eine sarkastisch gemeinte Passage aus einem Text des Künstlers Marc-Uwe Kling: „Ob Links- oder Rechtsterrorismus – da sehe ich keinen Unterschied. ‚Doch, doch‘, ruft das Känguru, ‚die einen zünden Ausländer an, die anderen Autos. Und Autos sind schlimmer, denn es hätte meines sein können. Ausländer besitze ich keine.'“

 

Nachtra: Am Ende gab es noch eine „gute Botschaft“ vom Oberbürgermeister nach Rücksrache mit Polizeipräsidenten Bernd Merbitz. Ab 1. März 2016 gäbe es weitere 110 Beamte zusätzlich in der Polizeidirektion Leipzig. Offenbar hat man nach nun 2 Jahren den Ruf der Messestadt in Dresden vernommen und ein erstes Signal in Richtung Wachstumsstadt gesetzt.