Nach den Ausschreitungen von 250 rechtsextremen Hooligans im Leipziger Stadtteil Connewitz versuchen rechte Politiker, die Vorgänge zu relativieren.
von René Loch
Straßenterror – diese Bezeichnung verwendete Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) kürzlich erneut. Er bezog sich auf die Taten von »Extremisten, diesmal von rechtsaußen«. Gemeint war der Angriff von etwa 250 rechtsextremen Hooligans auf einen Straßenzug im Stadtteil Connewitz in der vergangenen Woche. Er setzte die Attacke somit mit den Ausschreitungen im Dezember gleich, für die er denselben, üblicherweise mit der SA assoziierten Begriff »Straßenterror« verwendet hatte.
Bereits im Dezember wollten Nazis »Connewitz in Schutt und Asche legen«. So zumindest hatte es die »Brigade Halle« im Internet angekündigt. Zum damaligen Zeitpunkt gingen die Nazis noch davon aus, im Dezember gemeinsam mit der »Offensive für Deutschland«, die sich von Legida abgespalten hat, und der Partei »Die Rechte« durch das linksalternative Leipziger Viertel ziehen zu dürfen. Die Stadt verlegte den Aufmarsch jedoch in die benachbarte Südvorstadt, sodass die geplante Provokation ins Leere lief.
Mit etwas Verspätung haben rechte Hooligans aus Leipzig, Halle und dem übrigen Bundesgebiet ihr Vorhaben nun aber doch in die Tat umgesetzt. Während am Montag voriger Woche Legida im Stadtzentrum mit ungefähr 3 000 Teilnehmern den Jahrestag der ersten Demonstration feierte, nutzten zur gleichen Zeit etwa 250 Hooligans in Connewitz die Abwesenheit zahlreicher Antifaschisten und richteten dort erheblichen Schaden an.
Augenzeugenberichten zufolge marschierten sie minutenlang geschlossen über die zentrale Wolfgang-Heinze-Straße, skandierten Parolen und griffen mit Steinen, Baseballschlägern, Äxten und Pyrotechnik mehr als 20 Wohnungen und Geschäfte an, darunter den Fanladen des antirassistischen Fußballvereins Roter Stern und ein Dönerlokal. In letzterem brachte ein Sprengkörper einen Teil der Decke zum Einsturz und zerstörte einen Großteil der Einrichtung. Inhaber und Gäste konnten sich – genau wie in den anderen Geschäften – in Sicherheit bringen. Es blieb nach derzeitigen Erkenntnissen bei einigen Leichtverletzten. Noch am selben Abend gingen Antifaschisten zum Gegenangriff über und attackierten die Hooligans, als diese von der Polizei abtransportiert werden sollten. Die starke Polizeipräsenz setzte dem Vorhaben jedoch Grenzen.
Connewitz galt lange Zeit als eine der letzten verbliebenen Bastionen gegen den umfassenden Rechtsruck in Sachsen – ein roter Punkt auf einer ansonsten schwarzen, zunehmend braunen Karte. Am Selbstverständnis der Bewohner des Stadtteils wird sich wohl auch nach den Angriffen nichts ändern. Das rechtsextreme Milieu dürfte jedoch weiter an Selbstbewusstsein gewinnen. Bereits in den vergangenen Monaten hatten sich die Attacken auf Linke im Stadtgebiet gehäuft.
Dass es in Connewitz überhaupt so weit kommen konnte, liegt nach Ansicht vieler Beobachter und politischer Gruppen vor allem in der Verantwortung des sächsischen Verfassungsschutzes. Dieser hatte in den Vorwochen des Legida-Geburtstags eindringlich vor möglichen Krawallen durch Linksautonome gewarnt und dabei auch das zivilgesellschaftliche Aktionsnetzwerk »Leipzig nimmt Platz« (LNP) kritisiert. Diesem vor allem von Parteien, Kirchen und Gewerkschaften getragenen Bündnis warf der Verfassungsschutz in einer internen Einschätzung vor, Möglichkeiten zur Vernetzung zu schaffen, auf angeblich linksextreme Organisationen wie den Ermittlungsausschuss hinzuweisen und eine Demonstration zu bewerben, die in die Nähe der Legida-Kundgebung führen sollte und daher »konfrontativ« ausgerichtet sei. Tatsächlich blieb es im Umfeld des Legida-Aufmarsches ruhig. Die Polizei setzte ihre seit einem Jahr bewährte Strategie fort und sperrte mit einem großen Aufgebot an Personal und Fahrzeugen, darunter zwölf Wasserwerfer, die Demonstrationsroute weiträumig ab.
Nicht nur der Verfassungsschutz sah die größere Gefahr offenbar im linken Milieu. Nachdem ein ehemaliger Pfarrer zur Teilnahme an einer Lichterkette aufgerufen hatte, rückten einige sogenannte Bürgerrechtler die Gefahr von links in den Vordergrund. Sie nahmen ein Jahr rassistischer Hetze durch Legida nicht etwa zum Anlass, sich mit dieser Bewegung inhaltlich auseinanderzusetzen, sondern zählten stattdessen detailliert auf, wann und wo »Linksextremisten« in jüngster Vergangenheit Staat und politische Gegner angegriffen hätten.
Die Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla distanzierte sich sogar ausdrücklich von den Zielen der Lichterkette. Sie störte sich beispielsweise an der »lapidaren Betonung des Grundrechts auf Asyl«. Zudem erklärte sie, von »parteiübergreifenden Aufrufen« nichts zu halten. Und weiter: »Ich halte auch nichts davon, wenn politische Amts- und Funktionsträger im Rahmen von Demonstrationen auf der Straße ihren politischen Willen bekunden.« Nach den Gewalttaten in Connewitz meldete sich die CDU-Politikerin via Twitter ein weiteres Mal zu Wort. Der Forderung von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, entgegnete sie: »Bitte objektiv sein! Es sind die Linksradikalen!« Zwei Tage später schob sie nach, dass es »auch Rechtsradikale« gewesen seien.
Die Verharmlosung des Straßenterrors der Nazis setzte sich in den Wortmeldungen ihrer Parteikollegen fort. Der Landtagsabgeordnete Ronald Pohle äußerte, dass ein »linker Mob« Ähnliches in »einer viel massiveren Form« betrieben habe, und spielte dabei auf die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Antifaschisten im Dezember an. Auch Christian Hartmann, der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, fand vor allem das Verhalten der Linksradikalen »entlarvend«, die den Abtransport der rechtsextremen Hooligans angegriffen hatten. Die sächsische AfD veröffentlichte zwei Tage nach den rechtsextremen Angriffen eine Pressemitteilung mit dem vielsagenden Titel »Linksrotgrüne Politiker nach Leipziger Randale weiter auf dem linken Auge blind«.
Der Historiker Sascha Lange bewertete das Geschehen hingegen als »den massivsten Überfall von Rechtsradikalen auf Geschäfte und Wohnhäuser in Leipzig seit dem Novemberpogrom 1938«. Ernsthafte Konsequenzen sind dennoch nicht zu erwarten. Auch die großen überregionalen Medien berichteten nur kurz und oberflächlich. In der ARD reichte es nur zu einer knapp 30sekündigen Meldung am Ende der »Tagesschau«.
Die bislang stärkste Reaktion zeigten die Bewohner von Connewitz selbst. Innerhalb weniger Stunden ließen sich mehr als 2 000 Menschen zu einer kurzfristig organisierten antifaschistischen Demonstration am folgenden Abend bewegen. Der Geist von Connewitz scheint also weiterhin ungebrochen. Doch um Connewitz herum wird es immer dunkler.