Anlässlich des 20. Jahrestages der rassistischen Anschläge auf eine Unterkunft für Geflüchtete in der Lübecker Hafenstraße am 18. Januar 1996 gab es in den vergangenen Wochen eine Vielzahl von Veranstaltungen. Neben einer Demonstration unter dem Motto "Gedenken und anklagen - 20 Jahre Hafenstraße - Refugees Welcome" mit rund 600 Teilnehmer_innen wurde versucht, durch Vorführungen des Filmes "Tot in Lübeck" mit anschließender Disskussionsrunde auf dem Campus der Universität und im Kommunalen Kino Lübeck auch eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. An der eigentlichen Gedenkveranstaltung am Abend des 18. Januar 2016 nahmen neben 300 weiteren Menschen auch Überlebende und Angehörige der Opfer des Lübecker Brandanschlags teil.
Im Folgenden dokumentieren wir den Beitrag des Lübecker Flüchtlingsforums bei der Gedenkveranstaltung am 18. Januar 2016:
18. Januar 1996 – wie viele Menschen in Lübeck, wie viele Menschen in anderen Orten erinnern sich mit Grauen daran, was in der Nacht zum 18.1.1996 hier in Lübeck passiert ist.s
10 Menschen starben in Flammen und Rauch hier in der Hafenstraße. Von den Überlebenden wurden viele schwer verletzt und leiden bis heute an den Folgen. Die Menschen, die in diesem Haus untergebracht waren, kamen nach Deutschland, weil sie Zuflucht gesucht hatten vor Krieg, Diktatur und Hoffnungslosigkeit. Weil sie ein Leben in Freiheit und Frieden und Chancen für ihre Kinder suchten… Für mich persönlich wird der 18. Januar immer ein Datum bleiben, mit dem ich Schock und Trauer ebenso verbinde wie Wut und Empörung über das, was Geflüchteten in Lübeck passiert ist.
Wie entsetzt war ich damals, als innerhalb kurzer Zeit die Stimmung in der Öffentlichkeit von Betroffenheit in Abwehr umschlug, als man begann, einen Hausbewohner anzuklagen. Zweimal wurde Safwan Eid vor Gericht gezerrt, zweimal wurde deutlich, dass die Beschuldigungen gegen ihn haltlos waren, zweimal wurde er freigesprochen. Dagegen wurden die Ermittlungen gegen vier tatverdächtige junge Männer aus der rechten Szene trotz vieler Indizien von der damaligen Staatsanwaltschaft fallengelassen und selbst ein späteres Geständnis eines Verdächtigen wurde nicht zum Anlass genommen, den Prozess neu aufzurollen.
Auch nach den schockierenden Erkenntnissen der NSU-Morde, die uns allen ein erschreckendes Bild offenbart haben von systematischer rassistisch motivierter Gewalt in Kombination mit jahrelanger Kriminalisierung der Opferfamilien durch staatliche Ermittlungsbehörden, bleiben die Ermittlungen im Hafenstraßenbrandanschlag bis heute eingestellt. Wir werden nicht aufhören, juristische Gerechtigkeit für die Morde an den 10 Menschen einzufordern. Dieser Anschlag war damals – wie auch die Anschläge in Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln und anderen Orten - eingebettet in ein öffentliches Hetz-Klima, in dem weite Teile der Politik und Medien die Angst vor sogenannten Flüchtlingsströmen geschürt haben. Erst durch die damalige mediale und politisch aufgeheizte Stimmung gegen Geflüchtete, die gezielt genutzt wurde, um das Asylrecht auszuhöhlen, konnten sich auch rassistische Täter mit ihren Taten sicher fühlen.
Und was ist heute? Momentan kommt es in Deutschland jeden Tag zu Übergriffen auf Geflüchtete. Damals wie heute sind die Angriffe auf Geflüchtete, Brandanschläge auf Unterkünfte, aber auch rassistische Pöbeleien eingebettet in eine öffentliche Stimmungsmache, die aus politischen Kreisen immer wieder befeuert wird.
Der Brandanschlag vor 20 Jahren war für mich Auslöser, um mich mit ganz anderen Augen in meiner Stadt umzusehen und erstmals Partei für Geflüchtete zu ergreifen. Ich lernte zum ersten Mal Geflüchtete kennen, sah zum ersten Mal richtig, wie sie im reichen Deutschland leben müssen und erfuhr von ihnen, was es bedeutet, jahrelang im Kampf um Asyl-Anerkennung zu sein und auf ein Bleiberecht zu hoffen. Ich lernte, was es für Menschen bedeutet, lange in Massenunterkünften zu leben, von Deutschkursen und Arbeit ausgeschlossen zu sein, ich begann zu ahnen, wie es sich anfühlt, auf der Straße wegen der Hautfarbe angefeindet zu werden oder beim Gang zu Ämtern nicht als Kunde, sondern als Störenfried behandelt zu werden. Seit 20 Jahren nun höre ich Fluchtgeschichten von Menschen, die vor Kriegen fliehen, die von Deutschland aus mitfinanziert werden, die sich aus zerstörten Städten retten müssen, weil wir mit unseren Rüstungsexporten blutige Bürgerkriege unterstützen, Menschen, die aus diktatorischen Regimen fliehen, mit denen sich die europäischen Regierungen bestens verstehen oder Flüchtende, die aus Regionen zu uns kommen, die ihren Lebensunterhalt verloren, z.B. weil europäische Fischereiflotten alles weggefangen haben.
Besonders schlimm waren die Berichte von Menschen zu ertragen, die ihre Liebsten im Mittelmeer versinken sahen, weil sie nicht Fähren benutzen durften, um zu uns zu kommen.
In diesen 20 Jahren habe ich erlebt, wie schnell es passiert,
- dass in unseren Köpfen aus einer kopftuchtragenden Frau eine gewaltbereite Islamistin gemacht wird,
- dass in unseren Köpfen aus jungen Männern mit dunklerer Hautfarbe potentielle Vergewaltiger entstehen
- und ich habe erlebt, wie Politiker aus Eltern, die für die Zukunft ihrer Kinder Bildung und Berufschancen suchen, sogenannte abschiebungsfähige Flüchtlinge mit schlechter Prognose machen.
Aber ich habe in diesen 20 Jahren eben auch gelernt, dass es hilft, wenn wir zusammenstehen gegen Ausgrenzung, Diskriminierung, Rassismus, wenn wir gemeinsam solidarisch für die Rechte von Geflüchteten kämpfen. Und es macht Hoffnung, dass dies auf verschiedene Art und Weise in Lübeck immer mehr Menschen tun.
Heute Abend sind wir hierhergekommen, um an die Menschen zu erinnern, die in unseren Gedanken immer ihren Platz haben werden:
- Sylvio Amoussou,
- Rabia El Omari,
- Maiamba Bunga
- Susanna Bunga
- Franscoise Makodila
- Christelle Makodila
- Legrand Makodila
- Christine Makodila
- Miya Makodila
- Jean Daniel Makodila