Was passiert eigentlich, wenn die Polizei radikalisierte Demonstrationen falsch einschätzt und verharmlost und gleichzeitig mit untauglichen Mitteln anrückt? Ungefähr das, was am 12. Dezember in Leipzig passierte. Dann kippen Einschätzungen, werden Entwicklungen verharmlost und ein wohl doch irgendwie erwarteter autonomer Gewaltauftritt wird gleich mal zum Testfeld für überlagerte Tränengas-Bestände.
Zwei Anfragen zu jenem 12. Dezember in Leipzig, als eine angereiste Truppe gewaltwilliger Autonomer durch die Südvorstadt und Connewitz wütete, wurden jetzt im sächsischen Landtag beantwortet. Immerhin bewegt das Thema seither auch die überregionalen Medien, die gern auch mutmaßten, man hätte es in Leipzig-Connewitz mit einer speziellen gewalttätigen Ballung von Autonomen zu tun. Dass das zu kurz gedacht war, wurde ja bekanntlich am 11. Januar klar, als die seinerzeit verhinderten rechtsradikalen Akteure sich ohne Demonstrationsanmeldung nach Connewitz aufmachten, um zu randalieren.
Und ein Teil von ihnen wird wohl darauf gebaut haben, dass die sächsische Justiz bei rechten Randalierern eher ein Auge zudrückt. Die bessern sich ja noch, wenn man ihnen sagt, dass sie sich besser benehmen sollen, oder?
Jedenfalls ist die Verharmlosung der gewalttätigen rechtsradikalen Milieus in Sachsen auch längst in den Sprachgebrauch der Behörden eingedrungen. Danach hatte nämlich Juliane Nagel, Leipziger Wahlkreisabgeordnete der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, gefragt und eine ziemlich burschikose Antwort von der Staatsregierung bekommen.
„Die sächsischen Behörden sind auf dem rechten Auge blind. Dies führt nicht nur die Antwort auf meine Kleine Anfrage vor Augen, sondern auch das Ignorieren der Hinweise auf eine geplante Eskalation am 11.01.2016 in Leipzig, als 250 Nazis in den Abendstunden in den Leipziger Stadtteil Connewitz einmarschierten“, erklärt sie nun zu diesen beiden Ereignissen, die natürlich etwas miteinander zu tun haben. Denn der von den Rechtsextremen für den 12. Dezember geplante „Sternmarsch auf Connewitz“ war ja als Provokation gedacht gewesen. Nur sahen sich die sächsischen Behörden irgendwie nicht geneigt, die zur Provokation angereisten Rechtsextremen auch so zu benennen.
„Ich hatte die Einstufung der VeranstalterInnen des Aufmarsches der extrem rechten Partei ‚Die Rechte‘ und der ‚Offensive für Deutschland‘ als ‚rechtspopulistisch‘ hinterfragt. Diese Einstufung nahm die Polizei in ihrer Pressemitteilung zum Versammlungsgeschehen am 12.12.2015 im Leipziger Süden vor. Die Antwort der Staatsregierung lautet lapidar, dass diese Einschätzung eine ‚redaktionelle Vereinfachung‘ gewesen war. – Dazu stelle ich fest: Damit relativiert die Polizei Nazis. Dies zeigt nicht nur die Einstufung einer vom Landesamt für Verfassungsschutz als ‚rechtsextremistisch‘ eingestuften Partei wie ‚Die Rechte‘ als ‚rechtspopulistisch‘, sondern auch der Nicht-Umgang mit Hinweisen auf rechte Angriffe im Windschatten der Legida-Demonstration am 11. Januar in Leipzig.“
Wobei diese Aussage nicht mal das Spannendste an der Antwort war. Dazu gleich mehr.
Denn durchaus umstritten ist ja die Frage, ob die Polizei den 11. Januar so auf dem Schirm hatte oder nicht.
„Die Leipziger Polizei behauptet im Nachhinein, dass sie auf den Angriff in Connewitz vorbereitet gewesen wäre (Sprecher Uwe Voigt im Sachsenspiegel vom 12.01.2016), wie auch der Innenminister behauptet, dass der Verfassungsschutz relevante Informationen über die Bedrohung von rechts am 11.01.2016 geliefert hätte. Öffentlich kommuniziert wurden vorher jedoch nur vermeintliche linke Gewalttaten, von denen am besagten Tag keine Spur zu finden war“, so die Abgeordnete. „Wenn Polizei und Innenminister die konzertierte Naziaktion in Connewitz als Quasi-Bandenkrieg zwischen links und rechts relativieren, dann bin ich nur noch sprachlos. Die zuständigen Behörden haben am 11.01. nicht zum ersten Mal versagt. Zusammengenommen mit den öffentlich gewordenen Verbindungen aus dem Polizeiapparat zur Naziszene stellt sich ein düsteres Bild bezüglich Polizei und Verfassungsschutz dar: Repressiv nach links und auf dem rechten Auge blind. Dass Sachsen bundesweiter Negativ-Spitzenreiter in Sachen rassistischer und rechts motivierter Gewalt ist, verwundert vor diesem Hintergrund kaum. Mit ihrer politisch flankierten Fehleinschätzung der Zustände im Land bieten die Behörden Nazis und RassistInnen ein sicheres Hinterland, ob gewollt oder ungewollt.“
Dass da am 12. Dezember möglicherweise noch etwas anderes vor sich ging, zeigen die Zahlen. Denn neben den offiziell eingesetzten 1.600 Polizisten in Uniform spricht Sachsens Innenminister auch von „130 Polizeibediensteten in ziviler Kleidung“. Das ist eine ganze Menge und man darf sich wohl fragen, wo die an diesem 12. Dezember eigentlich unterwegs waren. Denn unter den rund 300 demonstrierenden Rechtsradikalen werden sie sich ja nicht versteckt haben.
Aber dubios war ja am 12. Dezember auch der massive Einsatz von Tränengas – und das sichtlich aus Patronen, die noch während des Einsatzes ihren Geist aufgaben. Dazu hat der innenpolitische Sprecher der Grünen, Valentin Lippmann, nachgefragt. Und staunt nach der Antwort erst recht über den seltsamen Einsatz: Insgesamt 78 Reizstoffpatronen mit überschrittenem Verbrauchsdatum wurden im Rahmen des Polizeieinsatzes am 12. Dezember 2015 in Leipzig zum Einsatz gebracht, erfuhr er von Innenminister Markus Ulbig (CDU).
„Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass die sächsische Polizei bei einem Einsatz ihr altes CS-Gas quasi entsorgt, ohne vorher zu prüfen, ob diese noch nutzbar sind. Das mutet an wie ein Feldversuch – zumal das Reizgas auch gegen friedliche Demonstranten eingesetzt wurde. Der Einsatz abgelaufener Reizgaskartuschen durch die sächsische Polizei ist offenkundig rechtswidrig und nicht hinnehmbar“, urteilt Lippmann.
Innenminister Ulbig hatte in seiner Antwort angegeben, dass Bestände von Reizstoffpatronen, deren Verwendbarkeitsdatum überschritten ist, nach Ersatzlieferung ausgetauscht, im Rahmen von Übungen genutzt oder nach erfolgter sachverständiger Munitionsbewertung für eine weitere Nutzungsdauer zertifiziert werden. Die am 12. Dezember 2015 eingesetzten Kartuschen wurden jedoch nicht sachverständig bewertet.
„Ich fordere den Innenminister auf, umgehend die weiteren 280 vorhandenen überlagerten Reizstoffpatronen zu entsorgen oder auf ihre weitere Verwendbarkeit zu überprüfen und dem Landtag darüber zu unterrichten. Insgesamt scheint im Beschaffungswesen der Polizei etliches im Argen zu liegen, wenn offensichtlich eine rechtzeitige Ersatzbeschaffung unterblieben ist. Ulbig muss seinen Aufsichtspflichten endlich nachkommen, damit sich ein solch rechtswidriger Einsatz nicht wiederholt“, sagt Lippmann. Und zur Angemessenheit des Einsatzes hat er auch seine Meinung: „Der Einsatz von Reizgas ist eine ultima ratio der Polizei, der stets der Verhältnismäßigkeit zu unterliegen hat. Auch schwere Angriffe auf die Polizei, wie am 12. Dezember, rechtfertigen nicht den Einsatz nicht mehr zu Verwendung vorgesehener Mittel.“
Und er erinnert daran, dass so etwas in Leipzig nicht zum ersten Mal vorkam. Schon bei einer Demonstration am 3. Februar 2014 in Leipzig wurden seitens der Polizei rechtswidrig Feuerlöschmittel gegen Personen eingesetzt.
Antwort von Innenminister Markus Ulbig auf die Anfrage von Juliane Nagel zum 12. Dezember. 3578