[K] Über die neuen wohnungspolitischen Kämpfe

Zülpi 290

Seit Ende 2013 haben sich wohnungspolitische Kämpfe (wieder) zu einem festen Bestandteil emanzipatorischer Politik in Köln entwickelt 1). Die folgende Annäherung versucht Linien nachzuzeichnen und Gründe zu finden. Zugleich soll der Beitrag auch Mut machen und Engagement fördern, was Mensch in Zeiten des omnipotenten Kapitalismus und der beinahen Alltäglichkeit rechten Terrors, gut brauchen kann.

 

Wohnen wird halt immer teurer


Die Entwicklung das immer mehr Menschen von Wohnraum in Köln ausgeschlossen werden, dauert schon Jahrzehnte. Die neuen wohnungspolitischen kämpfe aber allein auf die steigende Mieten und Wohnungskündigungen zurückzuführen, greift zu kurz (dann währen teuer Städte wie München oder Düsseldorf die Hochburgen der Mieterproteste). Einer solchen Vorstellung liegt der Irrtum zugrunde, dass es am Ausmaß der Not liege ob sich Betroffene wehren oder nicht. Anpassung, Relativierung oder Apathie sind ebenso menschliche Reaktionsformen. Nicht zu vergessen, dass Dagegensein für den Einzelnen mit Nachteilen und Sanktionen verbunden sein kann. Zu hören sind dann Sätze wie: "woanders ist noch schlimmer", "es war schon immer so" oder "man kann daran ja nichts ändern". Diese demobilisierenden Einstellungen werden von Politiker*innen natürlich instinktiv genutzt und unterstützt. Herrschaft baut auf die gefühlte Machtlosigkeit der Beherrschten auf. (Mieter-) Widerstand hängt also weniger von der "objektiven" Situation ab, als von der jeweiligen, subjektiven Definition der Situation. Wird die Definition jedoch in Handlung umgesetzt, kann sie die „objektive“ Situation verändern 2).

Die Menschheitsgeschichte zeigt, dass Weg zur Überzeugung: "das ist scheiße und ich akzeptiere es nicht" Jahrhunderte dauern kann.

 

Alle für Kalle – Kalle für Alle


Bei Kalle Gerigk hat es zum Glück nicht so lange gedauert. Als er wegen Eigenbedarf aus seiner Wohnung geklagt wurde, beschloss er sich dagegen zu wehren. Dabei traf er auf (kleine) Wohnraum-Initiativen, welche bei der Organisation des Protestes halfen. Dabei gelang es mit einer klaren Aktionsorientierung Lager übergreifend zusammen zu arbeiten.

 

Am 20.02.2014 wurde der erste Termin der Zwangsräumung durch über 300 Nachbar*innen und Aktivist*innen blockiert. Der Heterogenität der Teilnehmenden war es zu verdanken, dass die Polizei auf ein Räumungsversuch verzichtete. Autonome und Senior*innen haben sich durch ihre Anwesenheit gegenseitig geschützt. Die Einen wollten die Polizist*innen nicht hart angehen, die Anderen ließen sich allein verbal nicht einschüchtern oder belabern. Die Polizisten waren zum taktischen Rückzug gezwungen und die Zwangsräumung war fürs Erste abgewendet. Um nicht wieder in so eine unangenehme Situation zu kommen, wurden beim nächsten Versucht das umgebende Viertel großräumig abgeriegelt und die nachbarschaftliche Unterstützung durch ein martialisches Polizeiaufgebot abgeschreckt. Durch die bundesweite, positive Presseresonanz zum zivilen Ungehorsam und der Aufklärung zum Thema Gentrifizierung, wurde ein Beitrag zur Neudefinition der Wohnungssituation geleistet. Kalle wurde zu einem Vorbild für andere Mieter*innen, die sich in Folge gegen Luxussanierung, Mietwucher und Verdrängung gewehrt haben 3).

 

Seit dem gab es Protest und Widerstand u.a. in der GAG Siedlung in Zollstock, in der Pfälzerstr 12 & 14, in der Robertstr 12, der Rolshoverstr 98, der Genovevastr 40, der Bergisch Gladbacher Str. 93 und dem Adenauer-Haus in Niehl. Des Weiteren fanden 2014 & 2015 Kundgebungen gegen die GAG-Hauptversammlung statt, sowie regelmäßige Mahnwachen gegen eine drohende Zwangsräumung in Berlin durch Kölner Vermieterinnen.

 

Der Kapitalismus frisst die Komfortzone


Da die Wohnraumfrage elementar die Lebensbedürfnisse der Menschen berührt, führt eine thematische Konfrontation mit ihr, schnell zu einer radikaleren Kritik an herrschenden Verhältnissen. Sie kann bislang opportune Bürger*innen politisieren und aktivieren. Positive Vorbilder, unterstützende Strukturen und vielfältige Angebote helfen dabei. Um die Heterogenität der urbanen Bevölkerung ansprechen zu können, sollte der Mut bestehen, vielfältige Formen der Kommunikation und Aktion zu erproben. Die erfolgreiche Mobilisierung gegen die Zwangsräumung hatte in Köln Modellcharakter für weitere Aktionen und zeichnete sich unter anderem aus durch:

 

- niederschwellige Beteiligungsformen

- heterogene Angebote/ Kommunikationswege & Aktionsformen

- Betonung der sozialen Frage

- Spektren-übergreifende Zusammenarbeit

 

Kartäuserwall ist überall


Am deutlichsten lebte das Muster wieder bei der ein-einmonatigen Besetzung des Kartäuserwall 14 im September 2015 auf. Zuvor wurde der dort wohnenden Familie gekündigt, um Platz für Luxus-Eigentum zu schaffen.

Die Charakter der offenen Hausbesetzung wurde durch Angebote an die Nachbarschaft verstärkt. Es gab Info-Tische, Nachbarschaftstreffen, Kinoabende und ein gemeinsames Tatort-Schauen. Ziel war es mögliche Schwellenängste der Nachbar*innen abzubauen, um miteinander in Kontakt zu kommen und Vertrauen aufzubauen.

Trotz eines Strafantrags sah die Polizei zunächst von einer Räumung ab. Maßgeblich für die Bedenken der Polizei war die solidarische Unterstützung aus der Nachbarschaft. Das zeigt, wie das Agieren der Kölner Polizei nicht nur aus der Sorge vor militanter Gegenwehr, sondern auch vor einem Verlust des bürgerlichen Ansehens beeinflusst wird.

Auf Drängen des Eigentümers (der Hüsten Gewerbepark GmbH) wurde das Haus am ersten Oktober geräumt. In Folge dessen kam es, am Abend zu einer Spontan-Demonstration und am nächsten Morgen zu einer weiteren, kurzzeitigen Hausbesetzung (Rolshoverstr 98). Auch dieses Haus wurde entmietet, mit dem Ziel den Profit zu maximieren.

 

Kriesenland Europa in Köln


Die sogenannte "Finanzkrise" macht Betongold, als Renditeobjekt und sichere Anlagemöglichkeit immer wertvoller. Der Markt belohnt die Vertreibung von einkommensschwachen Bewohnern aus der Stadt, um Wohnraum für Wenige zu schaffen. Kommunen verschärfen diese Situation durch den Ausverkauf oder die Mietverteuerung ihrer Wohnungsbestände.

 

Durch die geglückte Überwindung der Festung Europa durch Geflüchtete ist auch der tatsächliche Bedarf an Wohnraum angestiegen. Dabei wird die Situation auf dem Wohnungsmarkt als Überlastung einer ansonsten funktionierenden Wohnraumversorgung definiert. Somit werden die Geflüchteten zum Problem erklärt und Massenunterkünfte wie Zelte, Container oder umfunktionierten Gewerbeimmobilien legitimiert.

 

Dieser Situationsdefinition heißt es entgegen zu halten. Nicht der Bedarf an einer menschenwürdigen Unterkunft ist das Problem, sondern die Organisation des Grundbedürfnisses Wohnen durch den Markt.

Die wohnungspolitischen Kämpfe sind auch praktischer Antifaschismus, denn die Konkurrenz von einkommensschwachen Menschen, um eine menschenwürdige Unterkunft ist ein Nährboden für Rassismus. Das gilt auch für die Vermieter*innenseite. Hier artikulieren sich rassistische Vorstellungen als Angst davor, dass durch „kulturfremde“ Mieter*innen, der Wert des eigenen Eigentums sinkt. So wird angeblich die Nachbarschaft abgewertet und mit den vermieteten Wohnungen nicht pfleglich umgegangen.

Um dem unsichtbaren Rassismus auf dem Wohnungsmarkt und der ökonomischen Selektion, durch den Wohnungsmarkt etwas entgegen zu setzen (nämlich: Wohnraum für alle), wurde am 11.12.2015 die Zülpicher Str. 290 und das Nebengebäude in der Joseph-Stelzmann Str. 2a besetzt. Damit gingen wohnungspolitische Kämpfe in Köln in die Offensive. Anders als die thematisch ähnlichen Hausbesetzungen in Frankfurt, Leipzig und Berlin, konnte das Gebäude in Köln bislang gehalten werden. Jeder Tag ist ein Erfolg, denn die Räumungsgefahr nimmt zu 3).

 

 

1) https://linksunten.indymedia.org/de/node/130238

2) https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas-Theorem

3) http://zwangsraeumung-verhindern.de/

4) www.karti14.noblogs.org