Düsseldorf. In der Generaldebatte des Bundestags Ende November hat der Linken-Abgeordnete Dietmar Bartsch einen Satz gesagt, der zum geflügelten Wort geworden ist: „Die teuersten Flüchtlinge in Deutschland sind die Steuerflüchtlinge.“ Glaubt man den Finanzministern der Bundesländer, hat der Linke recht.
Im jetzt zur Neige gehenden Jahr hat sich die Zahl der Selbstanzeigen von Steuersündern mit Schwarzgeldkonten im Ausland im Vergleich zum Rekordwert des Vorjahres mehr als halbiert. Grund zur Entwarnung? Eine Renaissance des Anstands? Nein, sagen Experten. Geld vor dem Fiskus zu verstecken wird nur immer schwieriger. Gleichzeitig werden die Tricks immer cleverer. Und viel zu viele Banken spielen mit.
Einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei den Finanzministerien der Länder zeigt: Bis zum Herbst haben rund 14 500 Steuerhinterzieher versucht, mit einer Selbstanzeige reinen Tisch zu machen und straffrei davonzukommen. Bis zum Jahresende werden es noch einige mehr gewesen sein. Aber: Maßstab ist der Ausnahmerekord von 40 000 Selbstanzeigen 2014. Und der kam durch die Aussicht zustande, dass Steuerbetrüger vom 1. Januar 2015 an deutlich mehr für ein straffreies Davonkommen zahlen müssen. „Ich glaube nicht an eine moralische Wende. Solange die Gelegenheit besteht, wird es auch den Versuch geben, Steuern zu hinterziehen“, sagt Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) zufolge zeigen die weiterhin fünfstelligen Zahlen der Selbstanzeiger, dass „immer noch Schwarzgeld im Ausland gebunkert wird“.
Vor allem NRW zeigt sich bei der Verfolgung hartnäckig. Das Land habe seit 2010 elf Steuer-CDs oder USB-Sticks mit brisanten Bankdaten gekauft oder erhalten, sagt Walter-Borjans. Der Erwerb ist nicht unumstritten, denn bei den Informationen handelte es sich oft um gestohlene Daten. Insgesamt habe man knapp 18 Millionen Euro für die Datenträger gezahlt, rechnet der Minister vor. Der Einsatz hat sich gelohnt: Seit 2010 zeigten sich 120 000 Steuerbetrüger bundesweit an, Mehreinnahmen von 4 bis 5 Milliarden Euro waren laut NRW-Ministerium die Folge.
Bisher standen Privatpersonen und Einzelfälle im öffentlichen Rampenlicht, auch angesichts prominenter Beispiele. Der Fokus richtet sich jetzt aber verstärkt auf die Banken. Nicht nur Walter-Borjans fordert ein Unternehmensstrafrecht, mit dem sich Banken-Beihilfe zur Steuerhinterziehung besser packen und sanktionieren lässt. Das Land versucht derzeit, ein dubioses Kettengeschäft zu durchdringen, mit dem der Fiskus offenbar im großen Stil und über viele Jahre um enorme Summen bei der Kapitalertragsteuer geprellt worden ist. „Es ist schon schlimm, wenn es eine systematische Beihilfe zur Steuerhinterziehung gibt. Aber es ist noch viel schlimmer, wenn man ein Geschäftsmodell eigens dafür entwickelt, dass sich viele Anleger Steuern zurückerstatten lassen können, die sie nie bezahlt haben“, sagt Walter-Borjans.
Diesem „Steuerdiebstahl“ könnten Fahnder mithilfe eines jüngst erworbenen Datenträgers und ausgewerteten Selbstanzeigen nun auf die Spur kommen. Banken aus dem In- und Ausland „in dreistelliger Zahl“ sollen bei den „Cum-Ex-Geschäften“ involviert sein. Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Steuer-Gewerkschaft, spricht von „einer richtigen Industrie“ und fürchtet: „Es ist von vielen Milliarden Steuerausfällen zulasten des Fiskus auszugehen.“
Zum steigenden Fahndungsdruck kommt eine länderübergreifende Zusammenarbeit, die Steueroasen austrocknen und Steuerflucht eindämmen soll. Grundlage ist das internationale Abkommen zum automatischen Informationsaustausch von Finanzdaten ab Herbst 2017. „Die wesentlichen Länder sind dabei, auch der EU-Raum, auch die Schweiz“, sagt Eigenthaler. Das Bankgeheimnis falle, Zinsdaten und Vermögensstände würden in gewaltigem Umfang transferiert. Eigenthaler formuliert das Ziel der verschärften Gangart recht drastisch: „Die Schlinge zieht sich immer fester um den Hals der Steuerhinterzieher.“