"Gebt uns mehr Internet in den Heimen", appellierte die somalische Menschenrechtlerin Fatuma Musa Afrah an die Hackergemeinde, die sich auf ihrem Jahrestreffen mit "Gated Communities" auseinandersetzt. Rassismus sei ein Mangel an Information.
Die Überraschung war gelungen: Kein "Hacker-Rockstar", kein Insider und kein anerkannter Internet-Experte hielt am Sonntag die Eröffnungsrede für das diesjährige Stelldichein der Datenreisenden in Hamburg, sondern mit Fatuma Musa Afrah eine über Kenia nach Deutschland geflüchtete somalische Menschenrechtlerin, die als erstes bekannte: "Ich verstehe nichts von IT, ich kann nur mein Laptop bedienen."
Kontrastprogramm pur also für die nach wie vor meist männlich-weiße Hackergemeinde, die längst mit ihren mobilen Computern zusammengewachsen und den Traum vom Cyborg mental vorzuleben scheint. Der Chaos Computer Club (CCC) hatte die Hauptrednerin bis zum Schluss geheim gehalten. Lange hatte das Gerücht die Runde gemacht, dass der Mittelfinger-Zeiger Jan Böhmermann den Auftakt machen sollte.
"Der Rest ist Bullshit"
Doch wer hätte die Techniktüftler besser einen Blick hinter den Horizont der "Gated Communities" werfen lassen können, die das Motto des 32. Chaos Communication Congress (32C3) sind, als eine bunt gekleidete Schwarze, die hierzulande zunächst in einem Flüchtlingslager im brandenburgischen Eisenhüttenstadt strandete? Die Filterblase der Hacker platzte an der Elbe jedenfalls sehr schnell.
Flüchtlinge sei kein politisch korrektes Wort, klärte Afrah die zahlreich erschienenen Teilnehmer im vollgepackten Saal 1 des Congress Center Hamburg (CCH) zunächst auf. "Neuankömmlinge" sei die freundlichere Variante. Wichtig sei vor allem, Mauern einzureißen und Tore zu öffnen, indem man Wege finde, miteinander zu kommunizieren: "Wir müssen uns gegenseitig so respektieren, wie wir sind. Der Rest ist Bullshit."
Jeder Mensch müsse die gleichen Freiheiten genießen, sich beispielsweise auszudrücken, betonte die Somalierin: "Eine gute Frau sollte vor vielen Menschen stehen und ihre Meinung sagen." Sie glaube nicht an Rassismus, sondern an unzureichende Information und Aufklärung: "Die Leute wissen nicht, wo wir herkommen und was wir durchgemacht haben." Es sei wichtig, die Flüchtlingshasser ihrerseits nicht zu diskreditieren, da viele in einer Kommune selbst Hilfe bräuchten und arm seien. Gegner könne man nur dazu ermuntern, gemeinschaftlich Aktionen durchzuführen und so eventuell etwas zu erreichen.
"Gebt uns mehr Internet in den Heimen"
Die Politiker forderte Afrah auf, nicht die eigenen Interessen an die erste Stelle zu rücken, sondern die Menschenrechte. Es sei wichtig, sich an die Vergangenheit zu erinnern, da man sonst immer die gleichen Fehler mache. Als sie anfangs hierzulande mit etwa zehn anderen Neuankömmlingen in einen kleinen Raum in einem Camp gezwängt worden sei, habe sie es als großen Lichtblick empfunden, wenigstens einen vernetzten Rechner entdeckt zu haben. Die Hacker bat sie daher: "Gebt uns mehr Internet in den Heimen." Wer behaupte, dass sich die dortigen Nutzer damit nur Pornos reinziehen wollten, solle sich schämen.
Die "Zugereiste" räumte ein, "dass wir überall in geschlossenen Gemeinschaften leben, im Beruf und im Alltag". Auch die vor Ort versammelten IT-Experten starrten hauptsächlich auf ihre Bildschirme, "man weiß gar nicht, ob das Menschen sind oder Maschinen". Ihr Motto dagegen dürfte dem einen oder anderen Zuhörer aber zu stark nach Eierkuchen geklungen haben, warb die Frohmutige doch für: "Friede, Liebe und Einheit."
"Bitte regelmäßig Hände waschen"
Zuvor hatten Carina Haupt und Linus Neumann vom CCC als "Zeremonienmeister" die Überlebensregeln für die vier bunten Tage durchgegeben. "Mindestens sechs Stunden Schlaf, zwei Mahlzeiten und eine Dusche pro Tag" empfahlen sie. "Bitte regelmäßig Hände waschen", gab Haupt den Anwesenden mit auf den Weg. Viren seien schließlich eine bekannte Gefahr für Hacker. Neumann stellte zudem klar, dass es sich bei dem grenzüberschreitenden Treffen nicht um eine gängige IT-Konferenz handle, also auch keine Nabelschau von Startups gefragt sei.
Im Kongresszentrum steht den mehreren Tausend Teilnehmern wieder ein eigenes Telefonnetz zur Verfügung, das von einem eigenen Phone Operation Center (POC) betrieben wird. Wer darüber kommunizieren will, benötigt ein DECT-Telefon. Erstmals gibt es ein Indoor-Navigationssystem, um den Besuchern den Weg durch das weit verzweigte CCH zu weisen. Wer es nicht nach Hamburg schafft, wo es nur noch Tagestickets für das Hacker-Stelldichein gibt, kann die meisten Vorträge per Streaming verfolgen oder sich Videoaufzeichnungen ansehen.
Unter dem Aufhänger "Congress Everywhere" werden in zahlreichen Städten weltweit auch Möglichkeiten angeboten, die Übertragungen im Kollektiv mit Gleichgesinnten zu verfolgen. Am Montag findet vor Ort erneut ein "Junghackertag " statt. Er soll es dem Nachwuchs erlauben, Spaß am Gerät zu finden. Willkommen ist jeder, der einen Lötkolben halten kann. Das Wiki für den Kongress mit näheren Informationen und Ablaufplan ist derzeit stark überlastet, wartet noch auf den ein oder anderen "Bugfix".