Dresden. Die sächsische Union befindet sich derzeit wie in einem Zwischenreich. Im Grunde ist alles wie immer, auf vielen Feldern regiert die CDU still vor sich hin. Und natürlich gibt es auch weiterhin solche und solche: engagierte Christdemokraten und träge, differenzierte und jene mit der Sehnsucht nach der ganz einfachen Wahrheit. All das hat sich nicht geändert. Was sich im Zuge der Asylkrise aber gravierend gewandelt hat, ist die Stimmung: Zum ersten Mal seit der Wende steckt die durch Dauererfolge schläfrig gewordene Sachsen-Union akut in der Klemme. Und so scheint auch dem Letzten in der Partei zu dämmern: Es muss was geschehen, mit der gewohnten Politik aus dem Schlafwagenabteil geht es nicht mehr lange gut.
Das ist die Gemengelage vor dem Landesparteitag am Wochenende in Neukieritzsch (Kreis Leipzig). Und längst zeichnet sich deutlich ab, in welche Richtung die Reise geht. Ob es die klare Rückendeckung aus Sachsen für Bundesinnenminister Thomas de Mazières (CDU) harte Linie beim Thema syrische Flüchtlinge ist oder die Tatsache, dass ausgerechnet Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nach Neukieritzsch eingeladen wurde – stets ist es Ausdruck für dasselbe Motiv: Gemäßigte wie auch traditionell auf einen Hardliner-Kurs getrimmte Christdemokraten blicken alle in eine Richtung, die gesamte Sachsen-Union wandert geschlossen nach rechts.
So ist es kein Wunder, dass in Unionskreisen längst neue Töne zu hören sind. „Wir sind der festen Überzeugung, dass der Familiennachzug eingeschränkt werden muss, der Zuzug insgesamt“, hat Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer nicht zufällig gesagt, und in dem Leitantrag für Neukieritzsch steht auch genau das drin. Weitere Indizien gibt es zuhauf. Da ist zum Beispiel der sogenannte Brandbrief von CDU-Abgeordneten an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen eine „Politik der offenen Grenzen“ – unterschrieben auch von vier Parlamentariern aus dem Sächsischen. Mit Christian Piwarz, Alexander Dierks, Martin Modschiedler und Patrick Schreiber handelt es sich aber bei allen um junge Abgeordnete und keinesfalls Vertreter der „Law and Order“-Fraktion.
In genau dasselbe Themenfeld gehören auch die denkwürdigen Sätze von Innenpolitiker Christian Hartmann, der ebenfalls nicht zu den schlichten CDU-Gemütern zählt. „Mit Blick auf die Entwicklung der vergangenen Wochen und unsere eigene Gesellschaft werden wir Prioritäten und Obergrenzen definieren müssen, so schwer uns das auch fällt“, meinte er kürzlich und fügte hinzu: „Und dann werden wir alle gemeinsam auch die Verantwortung tragen müssen, Bilder auszuhalten, die wir möglicherweise nicht wollen.“ Was Hartmann damit meint, ist klar: unschöne Bilder. Denn wer den Zuzug von Flüchtlingen wirksam an den Außengrenzen bekämpfen will, muss sich im Klaren sein, dass das kaum ohne Militäreinsatz samt Toten zu haben sein wird.
All das belegt, dass kaum einer der Unionschristen im Freistaat mehr an den Merkel-Satz vom „Wir schaffen das“ glaubt. Erleichtert wird ihnen diese Abkehr durch Sachsens SPD-Chef Martin Dulig, der ebenfalls einen beachtlichen Kurswechsel hingelegt hat – weg von der reinen Willkommenskultur, hin zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Und nicht zuletzt kommt die Tatsache hinzu, dass viele Kommunalpolitiker – von Bürgermeistern bis hin zur versammelten Landräteschar – längst mächtig Druck machen, vor allem an die Adresse der CDU.
Das treibt die Christdemokraten im Freistaat seit vielen Wochen um, und am kommenden Wochenende soll nun der Schalter umgelegt werden. Das Motiv dahinter ist aber nicht nur der rapide Stimmungsumschwung samt Pegida im Land, sondern auch die Angst der CDU vor einer auf rechts getrimmten AfD. Ob der eigene Parteitag der erfolgsverwöhnten CDU hier aber wirklich aus der Patsche helfen kann, ist offen. Zwar dürften die Beschlüsse von Neukieritzsch den einen oder anderen Parteigänger beruhigen, doch für alle verbrieften Asylgegner bleibt die AfD wohl weiter das, was sie ist: das Original. „Zum Glück“, hat SPD-Mann Dulig vor kurzem gesagt, ständen 2016 in Sachsen keine Wahlen auf dem Programm, und man kann getrost unterstellen: Die CDU sieht das ganz ähnlich.