40 Jahre Fristenlösung – ein fauler Kompromiss
In den 1970er Jahren kämpften Feministinnen in Österreich für die Streichung des Abtreibungsparagraphen, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Damit forderten sie Hüter_innen der Moral, Verteidiger_innen der sittlichen und rechtsstaatlichen Ordnung und auf die Verfügungsgewalt Gottes verweisende ChristInnen heraus. 1975 trat schließlich die Fristenlösung in Kraft, durch die Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate zwar straffrei aber nicht legal wurde.
Schwangerschaftsabbrüche sind in der medizinischen Rechtsprechung einzigartig: die Entscheidung für und der Zugang zu diesem Eingriff sollen nicht „zu leicht“ gemacht werden. Durch die rechtliche Lage wird der Fötus zum (Rechts-)Subjekt. Dies suggeriert einen Interessenkonflikt zwischen den angeblichen Bedürfnissen des Fötus und jenen der Schwangeren. Die verzerrte bildliche Darstellung von Föten bei medizinischen Voruntersuchungen und Pränataldiagnostik lassen den Fötus als unabhängig von Schwangeren erscheinen und verstärken die Subjektivierung. Seit 40 Jahren gilt diese Fristenlösung, die ein rechtsstaatlicher Kompromiss zwischen den Forderungen der Frauenbewegung nach Selbstbestimmung und dem staatlichen Lebensschutzgebot ist.
Fehlende Zugänglichkeit zu Schwangerschaftsabbrüchen
Gesetze schaffen keine Zugänglichkeit zu Schwangerschaftsabbrüchen, unter anderem, weil sie die Klassengesellschaft nicht aufheben, sondern zementieren. Egal ob straffrei oder illegal, ein Schwangerschaftsabbruch ist immer eine ökonomische Frage. Wer sich keinen Abbruch leisten kann, hat auch keinen Zugang dazu. Die Gesundheitsministerin von Chile fasste das mit dem Satz „Reiche brauchen keine Gesetze“ zusammen und musste deshalb schließlich zurücktreten. Selbst wenn der Eingriff, wie beispielsweise in Frankreich, von der Krankenkasse bezahlt wird, schließt das Nichtversicherte und Menschen ohne Papiere aus.
Neben den Kosten von Schwangerschaftsabbrüchen stellt auch oft der (gewollte) Mangel an Infrastruktur ein Hindernis dar. Sowohl ungewollt Schwangere aus Texas als auch aus Tirol müssen für einen Abbruch weite Strecken auf sich nehmen. Die konkreten Gründe dafür sind allerdings verschieden. In Texas wurde durch neue Vorschriften für die technische Ausstattung die Schließung eines Großteils der Kliniken erzwungen. In Tirol hingegen verweigert die Landesregierung nach wie vor die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen an öffentlichen Krankenhäusern. Viele ungewollt Schwangere aus Tirol müssen deshalb für einen Abbruch nach Salzburg fahren; wenn sie denn die Gynmed finden, denn diese ist nicht auf der Website des Landeskrankenhauses erwähnt.
Um eine Zugänglichkeit zu Schwangerschaftsabbrüchen für alle herzustellen, genügt es nicht, sich für die Streichung von Abtreibungsparagraphen einzusetzen. Schließlich müssen unmittelbar konkrete Lebenssituationen bewältigt werden. Ein Beispiel für mögliche direkte Aktionen ist eine Aktion von Women on Waves, die mit Drohnen Medikamente für Schwangerschaftsabbrüche nach Polen transportierten und so ganz konkret Abbrüche ermöglichten. Das zeigt die Notwendigkeit, uns zu organisieren und zu solidarisieren, und zwar sowohl über Grenzen hinweg als auch vor Ort.
Am 5. Dezember wollen organisierte AbtreibungsgegnerInnen mit einer Kundgebung vor dem Landeskrankenhaus gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch mobil machen. Dem stellen wir uns entgegen.
Solidarität mit allen nach einem Schwangerschaftsabbruch Kriminalisierten!
Solidarität mit allen ungewollt Schwangeren!
Nieder mit dem Patriarchat!
Pro-Choice-Kundgebung am 5. 12. 2015 um 16 Uhr beim Landeskrankenhaus Salzburg und(Müllner Seite)
1 Roe vs. Wade ist eine Grundsatzentscheidung, die der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten 1973 fällte. Damit wurde der Schwangerschaftsabbruch automatisch unter das Recht auf Privatsphäre gestellt.