„Es ist nicht nur die Politik gefordert“

Erstveröffentlicht: 
26.10.2015
Der Moscheebau in Gohlis nimmt Formen an – jetzt hat der Bürgerverein Gohlis Wissenschaft, Politik, muslimische Gemeinde und Bürger zum Dialog an einen Tisch geholt, um Ängste abzubauen. Man will im Gespräch bleiben – die Diskussion war nur der Auftakt für eine Reihe weiterer Foren.

VON KATRIN KLEINOD

 

Leipzig. Wenn wir ein verzerrtes Bild des Islam für die Realität halten, dann werden wird die Herausforderungen, die vor uns liegen, nicht bewältigen,“, sagte Oliver Decker am Sonnabend bei einer Veranstaltung des Bürgervereins Gohlis. Nicht Ängste seien das zentrale Problem im Umgang mit den Muslimen, sondern Aggression und Abwertung, so der Sozialpsychologe und Rechtsextremismusforscher an der Uni Leipzig. „Menschenrechte müssen für alle gelten oder gar nicht.“

 

„Angst vor religiöser Vielfalt?“ - unter diesem Titel fand am Sonnabend die Auftaktveranstaltung einer Themenreihe des Bürgervereins Gohlis statt. „Wir möchten eine Plattform für Dialog in unserem Stadtteil bieten. Niemand soll sagen können: Nun kommt hier eine Moschee hin und wir konnten nicht darüber reden“, sagte Vereinschef Peter Niemann. Für Gesprächsbedarf im Stadtteil sorgen neben dem geplanten Moscheeneubau in der Georg-Schumann-Straße auch die für 2016 geplante Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in der Max-Liebermann-Straße und die bereits existierende Notunterkunft für Asylsuchende in der General-Olbricht-Kaserne.

 

Die Diskussion im Mediencampus Villa Ida war angeregt und kontrovers. Weitgehende Einigkeit bestand unter den etwa 60 Teilnehmern darin, dass Kontakte zu Asylsuchenden enorm wichtig seien, um Vorurteile abzubauen. Kritisiert wurde die, wie es hieß, oft einseitig negative Berichterstattung in den Medien. Gelungene Beispiele für Integration seien ebenso rar wie Interviews mit gemäßigten Mitgliedern der muslimischen Gemeinden.

 

In einer Podiumsdiskussion ging es um die Frage „Islamophobie und Islamfeindlichkeit in Leipzig: Wie können wir gegensteuern?“ Als muslimischer Religionsvertreter war Abdullah Uwe Wagishauser angereist, Bundesvorsitzender der Ahmadiyya-Gemeinde Deutschland. Er kenne Statistiken über Islamfeindlichkeit, mache selbst jedoch andere, positive Erfahrungen. „Ein großer Teil der Bevölkerung beginnt sich zu informieren, und es gibt eine Unzahl von Initiativen, die sich für Religionsfreiheit einsetzen“, so der Vorsitzende des Gemeindeverbundes, dessen Leipziger Ableger den Moscheeneubau plant.

 

In seiner Forschungstätigkeit beschäftige er sich mit den Umständen, unter denen eine islamfeindliche Einstellung bei Individuen zustande komme, erklärte Oliver Decker, der auch Sprecher des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus und Demokratieforschung ist. Dabei gehe es um die Bedingungen, unter denen Menschen demokratisch denken können oder nicht. In Deutschland seien in den letzten 20 Jahren die Möglichkeiten Einzelner, Wünsche und Erwartungen umzusetzen, durch Veränderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen gesunken. Das befördere autoritäre Strukturen, die wiederum die Öffnung der Gesellschaft für Neues und Fremdes erschwerten.

 

Florian Illerhaus vom Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus Deutschland beschrieb eine Argumentationskette der Pegida-Anhänger. Ausgehend von (subjektiven) Annahmen, alle Muslime seien gleich und hätten die Absicht, unsere Gesellschaft zu unterwandern, leiteten sie für sich das Recht ab, diese Unterwanderung abzuwehren. Auf die Frage, wie nun auf die Probleme zu reagieren sei, meinte Illerhaus: „Die Politik kann zivilgesellschaftliche Initiativen stärken.“ Dem fügte Oliver Decker hinzu: „Was unsere Gesellschaft im Moment stabil hält, ist die Kraft der zivilgesellschaftlichen Projekte, die seit den 90er-Jahren entstanden sind.“

 

Holger Mann, SPD-Abgeordneter im sächsischen Landtag, ist überzeugt, dass genau darin der Unterschied zwischen Leipzig und Dresden bestehe, dass in der Messestadt ein breites Bündnis aus Politik, Kirchen, Vereinen, ja selbst Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer sofort mit Gegendemonstrationen reagiert habe. Pegida in Dresden habe da deutlich weniger Gegenwind bekommen als die Leipziger „Patrioten“.

 

Auf die Frage, was Politik noch tun könne, antwortete Mann: „Es wird Veränderungen im Bereich von Schule und Ausbildung geben. Bekenntnisorientierter Islamunterricht und Imamausbildung an den Universitäten sind dazu nur zwei Stichworte.“ Außerdem sei es wichtig, in Deutschland geborene Migranten in die Arbeit mit den Neuankömmlingen einzubeziehen.

 

Abdullah Wagishauser sah auch die Muslime in der Pflicht, für Bewegung zu sorgen und zum Beispiel auf Zugezogene zuzugehen, die Demokratie aus ihren Heimatländern nicht kennen.

 

Laut Oliver Decker ist es keine Lösung, nur Forderungen an die Politik zu stellen. „Demokratie ist, dass sich alle beteiligen unter Anerkennung ihrer Verschiedenheiten.“ Er habe da weniger Erwartungen an Politiker als vielmehr an Menschen, die eingreifen.

 

Die nächsten Veranstaltungen in der Reihe finden am 14. November („Interreligiöser Dialog? Aktuelle Problemlagen und zukünftige Herausforderungen“) und am 22. November statt („Menschen wandern. Na und? Perspektiven auf Einwanderung“). Immer im Mediencampus Villa Ida, jeweils von 10 bis 17 Uhr.